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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Feinheiten und arbeitete mit sauberer Genauigkeit auch die unbedeutendste
Einzelheit heraus, um durch sie zu wirken. Vielleicht nie hat ein Schauspieler
größere Sorgfalt auf die Maske gewandt, keiner vielleicht arbeitete noch während
der Vorstellung soviel mit dem Kopf. Jede Rolle war für ihn eine mühevolle
und anstrengende Arbeit. Daher machten alle seine großen Rollen den Ein¬
druck einer Fertigkeit, Abgeschlossenheit und der allerzweckmäßigsten Verwendung
der Wirkungen, daher war er auch zuweilen in Gefahr, zu viel in der Rolle
zu künsteln, Feinheiten hereinzutragen und schlaue Mittel zu gebrauchen, daher
sah man seinen Darstellungen nicht selten die Arbeit an, und auch wo er
Virtuosenstückchen machte, war der emsige, ernste, hypochondrische Mann nicht
zu verkennen; immer vorausgesetzt, daß er dabei ein Mann von Geist und
einer sehr bedeutenden Technik war. Bekannt ist z. B. seine Darstellung des
Carlos im Clavigo und des Mephistopheles. Wenn er als Carlos in der
Ueberredungsscene das Spiel des Clavigo in unbilliger Weise todtschlug da¬
durch, daß er gegenüber dem Unschlüssigen, Beweglichen, Schwankenden wahrend
der ganzen Scene mit eiserner Ruhe, mit untergeschlagenen Armen, den Rücken
an den Schreibtisch gelehnt, ohne eine Bewegung des Körpers spielte, so war
diese virtuose Wirkung das Resultat einer Reflerion, welche ihn verleitete, dem
Gegensatz zwischen den beiden Charakteren nicht einen lebendigen, sondern
einen symbolischen Ausdruck zu geben. Und' wenn er als Mephistopheles
das, was der Rolle fehlt, Geschlossenheit des Charakters, dadurch herzustellen
suchte, daß er die Holzschnittfigur des Teufels in den deutschen Volksbüchern
idealisirte und das Gespenstige, Fratzenhafte, den hinkenden Fuß, die wunder¬
lichen Gesten mit einem unerhörten Fleiß zu firiren suchte, so war auch dies
das Resultat eines emsigen und pflichtgetreuen Nachdenkens.

Auch Dawison ist ein Talent, welches sich viele Wirkungen sorgfältig vor¬
bereitet und durch Reflexion klar macht. Er arbeitet an seinen Rollen nicht
weniger fleißig, als Seydelmann; auch ihm begegnet zuweilen, daß man die
Absicht aus seinem Spiel heraussieht und dadurch erkältet wird, aber in andrer
Beziehung ist er ein auffallender Gegensatz zu dem verstorbenen- Deutschen.
Während Seydelmann über einer getreuen, den Intentionen des Dichters ent¬
sprechenden Auffassung emsig brütete, macht sichs Dcnvisons elastischer und leb¬
hafter Geist leichter. Die Idee, welche er in der Rolle sucht, ist moderner,
tendenziöser, pointirter, er ist geneigt, die Rollen zu benutzen, um eine möglichst
große Berechtigung ihres Charakters zur Geltung zu bringen, über gelegentliche
Dissonanzen, in welche seine Auffassung mit dem übrigen Inhalt des Stücks kommt,
geht er leicht weg. Was ihm an den Charakteren am lebhaftesten aufschießt,
sind die Momente, 'in welchen die dialektische Eigenthümlichkeit derselben deut¬
lich zutagekommt. Ihre Monologe, Selbstbetrachtungen, die Sophistik der
Leidenschaft scheinen ihn zumeist zu locken und in solchen Momenten ist sein


Feinheiten und arbeitete mit sauberer Genauigkeit auch die unbedeutendste
Einzelheit heraus, um durch sie zu wirken. Vielleicht nie hat ein Schauspieler
größere Sorgfalt auf die Maske gewandt, keiner vielleicht arbeitete noch während
der Vorstellung soviel mit dem Kopf. Jede Rolle war für ihn eine mühevolle
und anstrengende Arbeit. Daher machten alle seine großen Rollen den Ein¬
druck einer Fertigkeit, Abgeschlossenheit und der allerzweckmäßigsten Verwendung
der Wirkungen, daher war er auch zuweilen in Gefahr, zu viel in der Rolle
zu künsteln, Feinheiten hereinzutragen und schlaue Mittel zu gebrauchen, daher
sah man seinen Darstellungen nicht selten die Arbeit an, und auch wo er
Virtuosenstückchen machte, war der emsige, ernste, hypochondrische Mann nicht
zu verkennen; immer vorausgesetzt, daß er dabei ein Mann von Geist und
einer sehr bedeutenden Technik war. Bekannt ist z. B. seine Darstellung des
Carlos im Clavigo und des Mephistopheles. Wenn er als Carlos in der
Ueberredungsscene das Spiel des Clavigo in unbilliger Weise todtschlug da¬
durch, daß er gegenüber dem Unschlüssigen, Beweglichen, Schwankenden wahrend
der ganzen Scene mit eiserner Ruhe, mit untergeschlagenen Armen, den Rücken
an den Schreibtisch gelehnt, ohne eine Bewegung des Körpers spielte, so war
diese virtuose Wirkung das Resultat einer Reflerion, welche ihn verleitete, dem
Gegensatz zwischen den beiden Charakteren nicht einen lebendigen, sondern
einen symbolischen Ausdruck zu geben. Und' wenn er als Mephistopheles
das, was der Rolle fehlt, Geschlossenheit des Charakters, dadurch herzustellen
suchte, daß er die Holzschnittfigur des Teufels in den deutschen Volksbüchern
idealisirte und das Gespenstige, Fratzenhafte, den hinkenden Fuß, die wunder¬
lichen Gesten mit einem unerhörten Fleiß zu firiren suchte, so war auch dies
das Resultat eines emsigen und pflichtgetreuen Nachdenkens.

Auch Dawison ist ein Talent, welches sich viele Wirkungen sorgfältig vor¬
bereitet und durch Reflexion klar macht. Er arbeitet an seinen Rollen nicht
weniger fleißig, als Seydelmann; auch ihm begegnet zuweilen, daß man die
Absicht aus seinem Spiel heraussieht und dadurch erkältet wird, aber in andrer
Beziehung ist er ein auffallender Gegensatz zu dem verstorbenen- Deutschen.
Während Seydelmann über einer getreuen, den Intentionen des Dichters ent¬
sprechenden Auffassung emsig brütete, macht sichs Dcnvisons elastischer und leb¬
hafter Geist leichter. Die Idee, welche er in der Rolle sucht, ist moderner,
tendenziöser, pointirter, er ist geneigt, die Rollen zu benutzen, um eine möglichst
große Berechtigung ihres Charakters zur Geltung zu bringen, über gelegentliche
Dissonanzen, in welche seine Auffassung mit dem übrigen Inhalt des Stücks kommt,
geht er leicht weg. Was ihm an den Charakteren am lebhaftesten aufschießt,
sind die Momente, 'in welchen die dialektische Eigenthümlichkeit derselben deut¬
lich zutagekommt. Ihre Monologe, Selbstbetrachtungen, die Sophistik der
Leidenschaft scheinen ihn zumeist zu locken und in solchen Momenten ist sein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/517>, abgerufen am 29.06.2024.