Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Spiel meisterhaft. Es ist vielleicht kein Zufall, daß unter den großen Lieb-
lingsrvllen seiner Gastspiele, Hamlet, Mephistopheles, Carlos, Othello,
Richard III. und Franz Moor, drei sind, Hamlet, Mephisto und Franz, in
denen aus verschiedenen Gründen die Dichterarbeit dem Schauspieler große
Freiheit läßt, den Charakter nach seinem persönlichen Bedürfniß zu nuanciren.

Jede Darstellung des Hamlet hat mit der Schwierigkeit zu kämpfen, daß
dieser Charakter, scheinbar vom Dichter mit solchem Detail ausgeführt, wie
wenige, doch in seiner innern Structur mehr Mängel, Lücken und Ungleich-
Mäßigkeiten zeigt, als irgendein andrer, den Shakespeare geschaffen har. Wir
wissen, daß mehrfache Ueberarbeitung eines auf der Bühne bereits hei¬
mischen Stückes solche Uebelstände fast unvermeidlich macht. Was der große
Dichter bei den fast porträtartigen Zügen, welche er dem Helden bei der letzten
Uebercirbeitung gegeben hat, Und mit den prachtvollen Selbstgesprächen ungefähr
hat sagen wollen, ist leicht zu verstehen, aber daneben ist manches aus der alten
Tradition geblieben, woran der Darsteller immer anstoßen wird, die rohe und
zerbröckelnde Handlung des zweiten Theiles, der unbefriedigende Theaterscbluß
und -- z. B. -- die mangelhafte Ausführung des entscheidenden Momenies, die
Scene, wo der König zu beten versucht und Hamlet durch das Zimmer schleicht,
ohne ihn zu tödten. In diesem Selbstgespräch Hamlets ist für den Darsteller
eine Lücke, welche dem Dichter zur Schuld fällt. Wenn Hamlet den Degen
gegen den König zuckt und gleich daraus eine sophistische Reflexion, wortreich
und zugespitzt, wie sie der Mensch sich nachträglich zur Beschönigung seiner
Feigheit zurechtlegt, aus seinem Munde fließt, so ist diese Rhetorik, unver¬
mittelt wie sie jetzt in der Rolle steht, unwahr, sie täuscht über den Charakter
und es ist nicht zu ersehen, welches moralische Gewicht ihr der Dichter selbst
beilegt. Verständlich wird Hamlets Charakter in dieser Scene, von welcher
alles abhängt, nur, wenn man ihm in dem Moment, wo er den König erstechen
will, die Schwäche, die hier am richtigsten als physischer^ Schauder vor der
Blutthat sich äußern würde, deutlich ansieht. Das durfte nicht dem Schauspieler
allein überlassen bleiben; es war, da es der Angelpunkt des Charakters ist, auch im
Tert auszuführen. Die Auffassung dieser Rolle durch Dawison ist: ein geistreicher
Sonderling, welcher mit einer Phrase u ut Zungenfertigkeit sich über jeden Entschluß
weghilft, der sich selbst in der Phrase berauscht und montirt und wenn er ausgespro¬
chen hat gebrochen zusammenfällt. Mit großer Feinheit und Eleganz hat er alle da¬
hin zielenden Scenen ausgearbeitet; der Genuß, mit welchem Hamlet spricht, die
etwas blasirte Art, wie er seine barocken Scherze gegen die Hofleute herabfallen
läßt, ist vortrefflich, die nachlässige Weise, mit welcher der Königssohn gegen
Laertes ficht, hebt selbst diese sonst matte Scene. Dagegen ist in den Momenten,
wo Grausen und ein wilder Schreck die Seele Hamlets erschüttern, sein Spiel
nicht ebenso lobenswert!). Es sind zuviel Kunstmittel aufgewandt, ohne daß


Spiel meisterhaft. Es ist vielleicht kein Zufall, daß unter den großen Lieb-
lingsrvllen seiner Gastspiele, Hamlet, Mephistopheles, Carlos, Othello,
Richard III. und Franz Moor, drei sind, Hamlet, Mephisto und Franz, in
denen aus verschiedenen Gründen die Dichterarbeit dem Schauspieler große
Freiheit läßt, den Charakter nach seinem persönlichen Bedürfniß zu nuanciren.

Jede Darstellung des Hamlet hat mit der Schwierigkeit zu kämpfen, daß
dieser Charakter, scheinbar vom Dichter mit solchem Detail ausgeführt, wie
wenige, doch in seiner innern Structur mehr Mängel, Lücken und Ungleich-
Mäßigkeiten zeigt, als irgendein andrer, den Shakespeare geschaffen har. Wir
wissen, daß mehrfache Ueberarbeitung eines auf der Bühne bereits hei¬
mischen Stückes solche Uebelstände fast unvermeidlich macht. Was der große
Dichter bei den fast porträtartigen Zügen, welche er dem Helden bei der letzten
Uebercirbeitung gegeben hat, Und mit den prachtvollen Selbstgesprächen ungefähr
hat sagen wollen, ist leicht zu verstehen, aber daneben ist manches aus der alten
Tradition geblieben, woran der Darsteller immer anstoßen wird, die rohe und
zerbröckelnde Handlung des zweiten Theiles, der unbefriedigende Theaterscbluß
und — z. B. — die mangelhafte Ausführung des entscheidenden Momenies, die
Scene, wo der König zu beten versucht und Hamlet durch das Zimmer schleicht,
ohne ihn zu tödten. In diesem Selbstgespräch Hamlets ist für den Darsteller
eine Lücke, welche dem Dichter zur Schuld fällt. Wenn Hamlet den Degen
gegen den König zuckt und gleich daraus eine sophistische Reflexion, wortreich
und zugespitzt, wie sie der Mensch sich nachträglich zur Beschönigung seiner
Feigheit zurechtlegt, aus seinem Munde fließt, so ist diese Rhetorik, unver¬
mittelt wie sie jetzt in der Rolle steht, unwahr, sie täuscht über den Charakter
und es ist nicht zu ersehen, welches moralische Gewicht ihr der Dichter selbst
beilegt. Verständlich wird Hamlets Charakter in dieser Scene, von welcher
alles abhängt, nur, wenn man ihm in dem Moment, wo er den König erstechen
will, die Schwäche, die hier am richtigsten als physischer^ Schauder vor der
Blutthat sich äußern würde, deutlich ansieht. Das durfte nicht dem Schauspieler
allein überlassen bleiben; es war, da es der Angelpunkt des Charakters ist, auch im
Tert auszuführen. Die Auffassung dieser Rolle durch Dawison ist: ein geistreicher
Sonderling, welcher mit einer Phrase u ut Zungenfertigkeit sich über jeden Entschluß
weghilft, der sich selbst in der Phrase berauscht und montirt und wenn er ausgespro¬
chen hat gebrochen zusammenfällt. Mit großer Feinheit und Eleganz hat er alle da¬
hin zielenden Scenen ausgearbeitet; der Genuß, mit welchem Hamlet spricht, die
etwas blasirte Art, wie er seine barocken Scherze gegen die Hofleute herabfallen
läßt, ist vortrefflich, die nachlässige Weise, mit welcher der Königssohn gegen
Laertes ficht, hebt selbst diese sonst matte Scene. Dagegen ist in den Momenten,
wo Grausen und ein wilder Schreck die Seele Hamlets erschüttern, sein Spiel
nicht ebenso lobenswert!). Es sind zuviel Kunstmittel aufgewandt, ohne daß


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0518" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/99370"/>
          <p xml:id="ID_1812" prev="#ID_1811"> Spiel meisterhaft. Es ist vielleicht kein Zufall, daß unter den großen Lieb-<lb/>
lingsrvllen seiner Gastspiele, Hamlet, Mephistopheles, Carlos, Othello,<lb/>
Richard III. und Franz Moor, drei sind, Hamlet, Mephisto und Franz, in<lb/>
denen aus verschiedenen Gründen die Dichterarbeit dem Schauspieler große<lb/>
Freiheit läßt, den Charakter nach seinem persönlichen Bedürfniß zu nuanciren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1813" next="#ID_1814"> Jede Darstellung des Hamlet hat mit der Schwierigkeit zu kämpfen, daß<lb/>
dieser Charakter, scheinbar vom Dichter mit solchem Detail ausgeführt, wie<lb/>
wenige, doch in seiner innern Structur mehr Mängel, Lücken und Ungleich-<lb/>
Mäßigkeiten zeigt, als irgendein andrer, den Shakespeare geschaffen har. Wir<lb/>
wissen, daß mehrfache Ueberarbeitung eines auf der Bühne bereits hei¬<lb/>
mischen Stückes solche Uebelstände fast unvermeidlich macht. Was der große<lb/>
Dichter bei den fast porträtartigen Zügen, welche er dem Helden bei der letzten<lb/>
Uebercirbeitung gegeben hat, Und mit den prachtvollen Selbstgesprächen ungefähr<lb/>
hat sagen wollen, ist leicht zu verstehen, aber daneben ist manches aus der alten<lb/>
Tradition geblieben, woran der Darsteller immer anstoßen wird, die rohe und<lb/>
zerbröckelnde Handlung des zweiten Theiles, der unbefriedigende Theaterscbluß<lb/>
und &#x2014; z. B. &#x2014; die mangelhafte Ausführung des entscheidenden Momenies, die<lb/>
Scene, wo der König zu beten versucht und Hamlet durch das Zimmer schleicht,<lb/>
ohne ihn zu tödten. In diesem Selbstgespräch Hamlets ist für den Darsteller<lb/>
eine Lücke, welche dem Dichter zur Schuld fällt. Wenn Hamlet den Degen<lb/>
gegen den König zuckt und gleich daraus eine sophistische Reflexion, wortreich<lb/>
und zugespitzt, wie sie der Mensch sich nachträglich zur Beschönigung seiner<lb/>
Feigheit zurechtlegt, aus seinem Munde fließt, so ist diese Rhetorik, unver¬<lb/>
mittelt wie sie jetzt in der Rolle steht, unwahr, sie täuscht über den Charakter<lb/>
und es ist nicht zu ersehen, welches moralische Gewicht ihr der Dichter selbst<lb/>
beilegt. Verständlich wird Hamlets Charakter in dieser Scene, von welcher<lb/>
alles abhängt, nur, wenn man ihm in dem Moment, wo er den König erstechen<lb/>
will, die Schwäche, die hier am richtigsten als physischer^ Schauder vor der<lb/>
Blutthat sich äußern würde, deutlich ansieht. Das durfte nicht dem Schauspieler<lb/>
allein überlassen bleiben; es war, da es der Angelpunkt des Charakters ist, auch im<lb/>
Tert auszuführen. Die Auffassung dieser Rolle durch Dawison ist: ein geistreicher<lb/>
Sonderling, welcher mit einer Phrase u ut Zungenfertigkeit sich über jeden Entschluß<lb/>
weghilft, der sich selbst in der Phrase berauscht und montirt und wenn er ausgespro¬<lb/>
chen hat gebrochen zusammenfällt. Mit großer Feinheit und Eleganz hat er alle da¬<lb/>
hin zielenden Scenen ausgearbeitet; der Genuß, mit welchem Hamlet spricht, die<lb/>
etwas blasirte Art, wie er seine barocken Scherze gegen die Hofleute herabfallen<lb/>
läßt, ist vortrefflich, die nachlässige Weise, mit welcher der Königssohn gegen<lb/>
Laertes ficht, hebt selbst diese sonst matte Scene. Dagegen ist in den Momenten,<lb/>
wo Grausen und ein wilder Schreck die Seele Hamlets erschüttern, sein Spiel<lb/>
nicht ebenso lobenswert!).  Es sind zuviel Kunstmittel aufgewandt, ohne daß</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0518] Spiel meisterhaft. Es ist vielleicht kein Zufall, daß unter den großen Lieb- lingsrvllen seiner Gastspiele, Hamlet, Mephistopheles, Carlos, Othello, Richard III. und Franz Moor, drei sind, Hamlet, Mephisto und Franz, in denen aus verschiedenen Gründen die Dichterarbeit dem Schauspieler große Freiheit läßt, den Charakter nach seinem persönlichen Bedürfniß zu nuanciren. Jede Darstellung des Hamlet hat mit der Schwierigkeit zu kämpfen, daß dieser Charakter, scheinbar vom Dichter mit solchem Detail ausgeführt, wie wenige, doch in seiner innern Structur mehr Mängel, Lücken und Ungleich- Mäßigkeiten zeigt, als irgendein andrer, den Shakespeare geschaffen har. Wir wissen, daß mehrfache Ueberarbeitung eines auf der Bühne bereits hei¬ mischen Stückes solche Uebelstände fast unvermeidlich macht. Was der große Dichter bei den fast porträtartigen Zügen, welche er dem Helden bei der letzten Uebercirbeitung gegeben hat, Und mit den prachtvollen Selbstgesprächen ungefähr hat sagen wollen, ist leicht zu verstehen, aber daneben ist manches aus der alten Tradition geblieben, woran der Darsteller immer anstoßen wird, die rohe und zerbröckelnde Handlung des zweiten Theiles, der unbefriedigende Theaterscbluß und — z. B. — die mangelhafte Ausführung des entscheidenden Momenies, die Scene, wo der König zu beten versucht und Hamlet durch das Zimmer schleicht, ohne ihn zu tödten. In diesem Selbstgespräch Hamlets ist für den Darsteller eine Lücke, welche dem Dichter zur Schuld fällt. Wenn Hamlet den Degen gegen den König zuckt und gleich daraus eine sophistische Reflexion, wortreich und zugespitzt, wie sie der Mensch sich nachträglich zur Beschönigung seiner Feigheit zurechtlegt, aus seinem Munde fließt, so ist diese Rhetorik, unver¬ mittelt wie sie jetzt in der Rolle steht, unwahr, sie täuscht über den Charakter und es ist nicht zu ersehen, welches moralische Gewicht ihr der Dichter selbst beilegt. Verständlich wird Hamlets Charakter in dieser Scene, von welcher alles abhängt, nur, wenn man ihm in dem Moment, wo er den König erstechen will, die Schwäche, die hier am richtigsten als physischer^ Schauder vor der Blutthat sich äußern würde, deutlich ansieht. Das durfte nicht dem Schauspieler allein überlassen bleiben; es war, da es der Angelpunkt des Charakters ist, auch im Tert auszuführen. Die Auffassung dieser Rolle durch Dawison ist: ein geistreicher Sonderling, welcher mit einer Phrase u ut Zungenfertigkeit sich über jeden Entschluß weghilft, der sich selbst in der Phrase berauscht und montirt und wenn er ausgespro¬ chen hat gebrochen zusammenfällt. Mit großer Feinheit und Eleganz hat er alle da¬ hin zielenden Scenen ausgearbeitet; der Genuß, mit welchem Hamlet spricht, die etwas blasirte Art, wie er seine barocken Scherze gegen die Hofleute herabfallen läßt, ist vortrefflich, die nachlässige Weise, mit welcher der Königssohn gegen Laertes ficht, hebt selbst diese sonst matte Scene. Dagegen ist in den Momenten, wo Grausen und ein wilder Schreck die Seele Hamlets erschüttern, sein Spiel nicht ebenso lobenswert!). Es sind zuviel Kunstmittel aufgewandt, ohne daß

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/518
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/518>, abgerufen am 29.06.2024.