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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Kaiser Napoleon seiner Politik bis jetzt diese Wendung noch nicht gegeben hat,
so lag der Grund lediglich in der Rücksicht auf seine Alliirten. Für sich allein
wird er es nicht wagen, einen so folgenschweren Schritt zu thun. Allein wenn
die Rücksichten auf England und Oestreich aufhören? --Wir möchten dem ver¬
ehrten Verfasser des Schriftstücks nicht gern als Unheilspropheten erscheinen, aber
wir können doch nicht verhehlen, daß uns seine Auffassung des Kaisers Napoleon
etwas sanguinisch erscheint. Wir wollen den Ruhm des Freiherrn von Man-
teuffel, der zugeknöpfteste Staatsmann Preußens zu sein, nicht bestreiten, allein
die zugeknöpfte Politik pflegt nur dann Furcht einzuflößen, wenn man plötzlich
den Rock aufreißt, das darunter versteckte Schwert zieht und dreinschlägt. In
diesem Sinne möchte wol der Kaiser der Franzosen der zugeknöpfte Staatsmann
Europas sein. Der verehrte Schriftsteller geht von der Ueberzeugung aus,
daß der Kaiser Napoleon nach der Krim gehen wolle und leitet daraus allerlei
Folgerungen her. Wie wenn es nun die Absicht des Kaisers Napoleon wäre,
grade dem verehrten Schriftsteller und seinen Freunden und Gönnern diesen
Glauben einzuflößen? Wie wenn er plötzlich erklärte, sein Herz zöge ihn zwar
nach dem Orient, aber eine traurige Nothwendigkeit zwänge ihn, vorher einen
kleinen Abstecher nach dem Rhein zu machen?

Wenden wir uns zu Oestreich. Alle Achtung vor den deutschen Gesin¬
nungen des Cabinets! Aber werden diese ausreichen, wenn der Drang der Um¬
stände Gesinnung und, Gesinnung in Conflict bringt? Die Circularnote an die
kleinen deutschen Hose war in der That sehr bedenklich. Bekanntlich gibt es
eine Partei in Oestreich, die weder klein noch unmächtig ist, die specifisch
schwarzgelbe Partei, die sich noch an den siebenjährigen Krieg und an den
Verlust, Schlesiens erinnert. Wird diese Partei, wenn die Reibungen zwischen
Preußen und den Verbündeten immer größer werden, sich nicht einmal geltend¬
machen? Auch hier scheint uns der verehrte Schriftsteller gar zu sanguinisch.
Wenn er in der vorher angeführten Stelle erklärte, man wolle versuchen, sich
mit Oestreich in weiteres Einvernehmen zu setzen, so sollte er von Oestreich
nicht in einem Tone sprechen, wie im folgenden Passus: "daß Oestreich mit
Frankreich verbündet ist und einer französischen Hilfsiruppe gegen Nußland
dringend bedürfen mag" u. f. w. und in ähnlichen Stellen.

Der Schriftsteller schließt mit folgenden Worten: "In dem Augenblick, wo
wir dies schreiben, wird zu Paris vielleicht der Würfel geworfen über Preu¬
ßens und Deutschlands nächste Zukunft. Wie er auch fallen möge, Preu¬
ßens Entschließungen sind gesaßt und die Kraft zu ihrer Ausführung unge¬
brochen."

Warum soll der Würfel in Paris geworfen werden, warum nicht in Ber¬
lin? Vor drei Vierteljahren war Preußen Herr der Situation. Es konnte
den Verbündeten jede Bedingung stellen; es konnte sich thatsächlich zu einer


Kaiser Napoleon seiner Politik bis jetzt diese Wendung noch nicht gegeben hat,
so lag der Grund lediglich in der Rücksicht auf seine Alliirten. Für sich allein
wird er es nicht wagen, einen so folgenschweren Schritt zu thun. Allein wenn
die Rücksichten auf England und Oestreich aufhören? —Wir möchten dem ver¬
ehrten Verfasser des Schriftstücks nicht gern als Unheilspropheten erscheinen, aber
wir können doch nicht verhehlen, daß uns seine Auffassung des Kaisers Napoleon
etwas sanguinisch erscheint. Wir wollen den Ruhm des Freiherrn von Man-
teuffel, der zugeknöpfteste Staatsmann Preußens zu sein, nicht bestreiten, allein
die zugeknöpfte Politik pflegt nur dann Furcht einzuflößen, wenn man plötzlich
den Rock aufreißt, das darunter versteckte Schwert zieht und dreinschlägt. In
diesem Sinne möchte wol der Kaiser der Franzosen der zugeknöpfte Staatsmann
Europas sein. Der verehrte Schriftsteller geht von der Ueberzeugung aus,
daß der Kaiser Napoleon nach der Krim gehen wolle und leitet daraus allerlei
Folgerungen her. Wie wenn es nun die Absicht des Kaisers Napoleon wäre,
grade dem verehrten Schriftsteller und seinen Freunden und Gönnern diesen
Glauben einzuflößen? Wie wenn er plötzlich erklärte, sein Herz zöge ihn zwar
nach dem Orient, aber eine traurige Nothwendigkeit zwänge ihn, vorher einen
kleinen Abstecher nach dem Rhein zu machen?

Wenden wir uns zu Oestreich. Alle Achtung vor den deutschen Gesin¬
nungen des Cabinets! Aber werden diese ausreichen, wenn der Drang der Um¬
stände Gesinnung und, Gesinnung in Conflict bringt? Die Circularnote an die
kleinen deutschen Hose war in der That sehr bedenklich. Bekanntlich gibt es
eine Partei in Oestreich, die weder klein noch unmächtig ist, die specifisch
schwarzgelbe Partei, die sich noch an den siebenjährigen Krieg und an den
Verlust, Schlesiens erinnert. Wird diese Partei, wenn die Reibungen zwischen
Preußen und den Verbündeten immer größer werden, sich nicht einmal geltend¬
machen? Auch hier scheint uns der verehrte Schriftsteller gar zu sanguinisch.
Wenn er in der vorher angeführten Stelle erklärte, man wolle versuchen, sich
mit Oestreich in weiteres Einvernehmen zu setzen, so sollte er von Oestreich
nicht in einem Tone sprechen, wie im folgenden Passus: „daß Oestreich mit
Frankreich verbündet ist und einer französischen Hilfsiruppe gegen Nußland
dringend bedürfen mag" u. f. w. und in ähnlichen Stellen.

Der Schriftsteller schließt mit folgenden Worten: „In dem Augenblick, wo
wir dies schreiben, wird zu Paris vielleicht der Würfel geworfen über Preu¬
ßens und Deutschlands nächste Zukunft. Wie er auch fallen möge, Preu¬
ßens Entschließungen sind gesaßt und die Kraft zu ihrer Ausführung unge¬
brochen."

Warum soll der Würfel in Paris geworfen werden, warum nicht in Ber¬
lin? Vor drei Vierteljahren war Preußen Herr der Situation. Es konnte
den Verbündeten jede Bedingung stellen; es konnte sich thatsächlich zu einer


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[0493] Kaiser Napoleon seiner Politik bis jetzt diese Wendung noch nicht gegeben hat, so lag der Grund lediglich in der Rücksicht auf seine Alliirten. Für sich allein wird er es nicht wagen, einen so folgenschweren Schritt zu thun. Allein wenn die Rücksichten auf England und Oestreich aufhören? —Wir möchten dem ver¬ ehrten Verfasser des Schriftstücks nicht gern als Unheilspropheten erscheinen, aber wir können doch nicht verhehlen, daß uns seine Auffassung des Kaisers Napoleon etwas sanguinisch erscheint. Wir wollen den Ruhm des Freiherrn von Man- teuffel, der zugeknöpfteste Staatsmann Preußens zu sein, nicht bestreiten, allein die zugeknöpfte Politik pflegt nur dann Furcht einzuflößen, wenn man plötzlich den Rock aufreißt, das darunter versteckte Schwert zieht und dreinschlägt. In diesem Sinne möchte wol der Kaiser der Franzosen der zugeknöpfte Staatsmann Europas sein. Der verehrte Schriftsteller geht von der Ueberzeugung aus, daß der Kaiser Napoleon nach der Krim gehen wolle und leitet daraus allerlei Folgerungen her. Wie wenn es nun die Absicht des Kaisers Napoleon wäre, grade dem verehrten Schriftsteller und seinen Freunden und Gönnern diesen Glauben einzuflößen? Wie wenn er plötzlich erklärte, sein Herz zöge ihn zwar nach dem Orient, aber eine traurige Nothwendigkeit zwänge ihn, vorher einen kleinen Abstecher nach dem Rhein zu machen? Wenden wir uns zu Oestreich. Alle Achtung vor den deutschen Gesin¬ nungen des Cabinets! Aber werden diese ausreichen, wenn der Drang der Um¬ stände Gesinnung und, Gesinnung in Conflict bringt? Die Circularnote an die kleinen deutschen Hose war in der That sehr bedenklich. Bekanntlich gibt es eine Partei in Oestreich, die weder klein noch unmächtig ist, die specifisch schwarzgelbe Partei, die sich noch an den siebenjährigen Krieg und an den Verlust, Schlesiens erinnert. Wird diese Partei, wenn die Reibungen zwischen Preußen und den Verbündeten immer größer werden, sich nicht einmal geltend¬ machen? Auch hier scheint uns der verehrte Schriftsteller gar zu sanguinisch. Wenn er in der vorher angeführten Stelle erklärte, man wolle versuchen, sich mit Oestreich in weiteres Einvernehmen zu setzen, so sollte er von Oestreich nicht in einem Tone sprechen, wie im folgenden Passus: „daß Oestreich mit Frankreich verbündet ist und einer französischen Hilfsiruppe gegen Nußland dringend bedürfen mag" u. f. w. und in ähnlichen Stellen. Der Schriftsteller schließt mit folgenden Worten: „In dem Augenblick, wo wir dies schreiben, wird zu Paris vielleicht der Würfel geworfen über Preu¬ ßens und Deutschlands nächste Zukunft. Wie er auch fallen möge, Preu¬ ßens Entschließungen sind gesaßt und die Kraft zu ihrer Ausführung unge¬ brochen." Warum soll der Würfel in Paris geworfen werden, warum nicht in Ber¬ lin? Vor drei Vierteljahren war Preußen Herr der Situation. Es konnte den Verbündeten jede Bedingung stellen; es konnte sich thatsächlich zu einer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/493>, abgerufen am 29.06.2024.