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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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ihm sowol von Seiten der Westmächte als von Seiten Oestreichs officiell mitgetheilt
wurde, unterschreiben wolle oder nicht. Für den ersten Fall betrachteten die
Großmächte seine Theilnahme an den Wiener Conferenzen als selbstverständ¬
lich. Preußen dagegen erklärte, eS könne ein solches Instrument nicht unter¬
schreiben, das einen specifisch östreichischen Charakter habe, es sei dagegen be¬
reit, einen Separatvertrag mit den Westmächten abzuschließen. Haben wir
das alles nur geträumt, oder hat die zugeknöpfte Politik in der That bereits so
große Erfolge davongetragen, daß die alliirten Mächte jetzt verschmähen, was
sie noch vor einem Monat um jeden Preis begehrten? Wie es scheint genügt
den Westmächten die einfache Unterzeichnung des Protokolls von Seiten Preußens
nicht mehr, sie verlangen vielmehr Garantien dafür, daß diese Unterzeichnung
erforderlichen Falles auch thatsächliche Folgen nach sich ziehen werde. -- Ist
irgendein Umstand eingetreten, der den Weltmächten diese Vorsicht zur Pflicht
macht? Es scheint so, denn das Schriftstück sagt: "Der Bund bleibt unge¬
achtet der dem östreichischen Staate gegen Rußland hilfeverheißenden Beschlüsse
vom 24. Juli und 9. December vorigen Jahres völlig neutral, weil diese
Bundescvoperation nur für den Fall eintritt, daß Oestreich von Rußland an¬
gegriffen wird, mithin nur zum Zweck der Defensive des genannten Kaiser¬
staats." Diese Deduction ist thatsächlich falsch, denn jene Verträge verpflichten
den Bund nicht nur für den Fall, daß der östreichische Staat von Rußland
angegriffen wird, sondern auch für den Fall, daß die Positionen der östrei¬
chischen Armeen in den Donaufürstenthümern gefährdet werden, was doch etwas
ganz Anderes ist und unvereinbar mit der völligen Neutralität des Bundes.
Die Anforderung des preußischen Bundestagsgesandter, die Bundesfestungen
gegen Frankreich ebenso zu armiren, als die gegen Nußland, mußte daher
gerechtes Erstaunen erregen. Noch in dem Schriftstück erklärt Preußen sich
von der Ungerechtigkeit der russischen Prätensionen überzeugt; dennoch will es
sich nicht dazu verpflichten, dieser Ueberzeugung auch thatsächliche Folge zu
geben. Was will es also eigentlich? "Preußen will sich wie die übrigen Mit-
pacisccnten seine Entschließungöfreiheit für den Fall des Scheiterns der Wiener
Konferenz vorbehalten, um prüfen zu können, ob die für dasselbe anzuführen¬
den Motive für genügend anzuerkennen seien oder nicht. Im erstern Fall
will Preußen sich zur Anwendung coercitiver Maßregeln gegen Nußland ver¬
stehen, im andern Fall aber -- -- --

Was will Preußen im andern Fall thun? Denn hier ist der Punkt, wo
die zugeknöpfte Politik den andern Mächten doch wenigstens einen Fingerzeig
geben muß, wie sie sich gegen dieselbe zu stellen haben.

Im anderen Fall aber sich mit Oestreich in weiteres Ein¬
vernehmen zu setzen versuchen."


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ihm sowol von Seiten der Westmächte als von Seiten Oestreichs officiell mitgetheilt
wurde, unterschreiben wolle oder nicht. Für den ersten Fall betrachteten die
Großmächte seine Theilnahme an den Wiener Conferenzen als selbstverständ¬
lich. Preußen dagegen erklärte, eS könne ein solches Instrument nicht unter¬
schreiben, das einen specifisch östreichischen Charakter habe, es sei dagegen be¬
reit, einen Separatvertrag mit den Westmächten abzuschließen. Haben wir
das alles nur geträumt, oder hat die zugeknöpfte Politik in der That bereits so
große Erfolge davongetragen, daß die alliirten Mächte jetzt verschmähen, was
sie noch vor einem Monat um jeden Preis begehrten? Wie es scheint genügt
den Westmächten die einfache Unterzeichnung des Protokolls von Seiten Preußens
nicht mehr, sie verlangen vielmehr Garantien dafür, daß diese Unterzeichnung
erforderlichen Falles auch thatsächliche Folgen nach sich ziehen werde. — Ist
irgendein Umstand eingetreten, der den Weltmächten diese Vorsicht zur Pflicht
macht? Es scheint so, denn das Schriftstück sagt: „Der Bund bleibt unge¬
achtet der dem östreichischen Staate gegen Rußland hilfeverheißenden Beschlüsse
vom 24. Juli und 9. December vorigen Jahres völlig neutral, weil diese
Bundescvoperation nur für den Fall eintritt, daß Oestreich von Rußland an¬
gegriffen wird, mithin nur zum Zweck der Defensive des genannten Kaiser¬
staats." Diese Deduction ist thatsächlich falsch, denn jene Verträge verpflichten
den Bund nicht nur für den Fall, daß der östreichische Staat von Rußland
angegriffen wird, sondern auch für den Fall, daß die Positionen der östrei¬
chischen Armeen in den Donaufürstenthümern gefährdet werden, was doch etwas
ganz Anderes ist und unvereinbar mit der völligen Neutralität des Bundes.
Die Anforderung des preußischen Bundestagsgesandter, die Bundesfestungen
gegen Frankreich ebenso zu armiren, als die gegen Nußland, mußte daher
gerechtes Erstaunen erregen. Noch in dem Schriftstück erklärt Preußen sich
von der Ungerechtigkeit der russischen Prätensionen überzeugt; dennoch will es
sich nicht dazu verpflichten, dieser Ueberzeugung auch thatsächliche Folge zu
geben. Was will es also eigentlich? „Preußen will sich wie die übrigen Mit-
pacisccnten seine Entschließungöfreiheit für den Fall des Scheiterns der Wiener
Konferenz vorbehalten, um prüfen zu können, ob die für dasselbe anzuführen¬
den Motive für genügend anzuerkennen seien oder nicht. Im erstern Fall
will Preußen sich zur Anwendung coercitiver Maßregeln gegen Nußland ver¬
stehen, im andern Fall aber — — —

Was will Preußen im andern Fall thun? Denn hier ist der Punkt, wo
die zugeknöpfte Politik den andern Mächten doch wenigstens einen Fingerzeig
geben muß, wie sie sich gegen dieselbe zu stellen haben.

Im anderen Fall aber sich mit Oestreich in weiteres Ein¬
vernehmen zu setzen versuchen."


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[0491] ihm sowol von Seiten der Westmächte als von Seiten Oestreichs officiell mitgetheilt wurde, unterschreiben wolle oder nicht. Für den ersten Fall betrachteten die Großmächte seine Theilnahme an den Wiener Conferenzen als selbstverständ¬ lich. Preußen dagegen erklärte, eS könne ein solches Instrument nicht unter¬ schreiben, das einen specifisch östreichischen Charakter habe, es sei dagegen be¬ reit, einen Separatvertrag mit den Westmächten abzuschließen. Haben wir das alles nur geträumt, oder hat die zugeknöpfte Politik in der That bereits so große Erfolge davongetragen, daß die alliirten Mächte jetzt verschmähen, was sie noch vor einem Monat um jeden Preis begehrten? Wie es scheint genügt den Westmächten die einfache Unterzeichnung des Protokolls von Seiten Preußens nicht mehr, sie verlangen vielmehr Garantien dafür, daß diese Unterzeichnung erforderlichen Falles auch thatsächliche Folgen nach sich ziehen werde. — Ist irgendein Umstand eingetreten, der den Weltmächten diese Vorsicht zur Pflicht macht? Es scheint so, denn das Schriftstück sagt: „Der Bund bleibt unge¬ achtet der dem östreichischen Staate gegen Rußland hilfeverheißenden Beschlüsse vom 24. Juli und 9. December vorigen Jahres völlig neutral, weil diese Bundescvoperation nur für den Fall eintritt, daß Oestreich von Rußland an¬ gegriffen wird, mithin nur zum Zweck der Defensive des genannten Kaiser¬ staats." Diese Deduction ist thatsächlich falsch, denn jene Verträge verpflichten den Bund nicht nur für den Fall, daß der östreichische Staat von Rußland angegriffen wird, sondern auch für den Fall, daß die Positionen der östrei¬ chischen Armeen in den Donaufürstenthümern gefährdet werden, was doch etwas ganz Anderes ist und unvereinbar mit der völligen Neutralität des Bundes. Die Anforderung des preußischen Bundestagsgesandter, die Bundesfestungen gegen Frankreich ebenso zu armiren, als die gegen Nußland, mußte daher gerechtes Erstaunen erregen. Noch in dem Schriftstück erklärt Preußen sich von der Ungerechtigkeit der russischen Prätensionen überzeugt; dennoch will es sich nicht dazu verpflichten, dieser Ueberzeugung auch thatsächliche Folge zu geben. Was will es also eigentlich? „Preußen will sich wie die übrigen Mit- pacisccnten seine Entschließungöfreiheit für den Fall des Scheiterns der Wiener Konferenz vorbehalten, um prüfen zu können, ob die für dasselbe anzuführen¬ den Motive für genügend anzuerkennen seien oder nicht. Im erstern Fall will Preußen sich zur Anwendung coercitiver Maßregeln gegen Nußland ver¬ stehen, im andern Fall aber — — — Was will Preußen im andern Fall thun? Denn hier ist der Punkt, wo die zugeknöpfte Politik den andern Mächten doch wenigstens einen Fingerzeig geben muß, wie sie sich gegen dieselbe zu stellen haben. Im anderen Fall aber sich mit Oestreich in weiteres Ein¬ vernehmen zu setzen versuchen." 61*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/491>, abgerufen am 29.06.2024.