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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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zu erlangen, daß dieses sich im Falle eines resultatlosen Auseinandergehens
' der Wiener Konferenzen verbindlich mache, seine weitern Maßregeln der Majo¬
rität dieser Konferenzen unterzuordnen, -- diese Anforderungen sind in der
That nicht von der Art, wie sie ein Staat an einen gleich mächtigen zu stellen
pflegt und Preußen hat allen Grund, darüber ungehalten zu sein; ebensoviel
Grund, als ihm vor einem Vierteljahr die Ueberraschung darbot, die ihm
Oestreich durch den Decembervertrag bereitete. -- Aber an wem liegt die
Schuld, daß Frankreich und Oestreich auf diese Weise gegen Preußen vpr-
schreiten zu müssen glauben?

Die Frage ist um so nothwendiger, da das Schriftstück wieder mit der
ganzen suffisance abgefaßt ist, welche die dienstbaren Federn der preußischen
Cabinetspolitik jedes Mal zeigen, wenn Preußen durch eigne Schuld in eine
üble Lage gerathen ist. "sowol der wortkarge Lord John Russel wie der tief¬
gelehrte und redegewandte Unterstaatssecretär Mr. Hainmond nahmen keine
andre Ueberzeugung von Berlin nach dem sogenannten Wiener Friedenscongreß
mit sich hinweg, als daß der Ministerpräsident von Manteuffel der zugeknöpf¬
teste Staatsmann sei, den Preußen jemals besessen habe." -- Wie glücklich
wird sich der Schreiber jener Zeilen gefühlt haben, der Politik seines Chefs
ein so unermeßliches Lob zu spenden! Der zugeknöpfteste Staatsmann!
Unter allen den zugeknöpften Staatsmännern, deren sich Preußen bisher er¬
freut hat, der allerzugeknöpfteste! Und welch imponirenden Eindruck, welche
tiefe, ehrfurchtsvolle Scheu dies zugeknöpfte Wesen den auswärtigen Mächten
eingeflößt hat, das zeigen ja aufs deutlichste jene Anforderungen, die Herr
Drouin de Lhuys an den preußischen Bevollmächtigten zu stellen sich bemüßigt
gefunden hat. Aber noch einen andern Umstand enthüllt uns jenes Schrift¬
stück, einen Umstand, der die siegreichen Erfolge der zugeknöpften Politik auf
das evidenteste an den Tag bringt, den wir dreimal hintereinander lesen
mußten, ehe wir unsern Augen trauten. "Der Berliner Hof hat sich
dahin erklären zu müssen geglaubt: er halte sich auf Grund seines vom
9. April vorigen Jahres ab durch Protokolle und Bündnisse bewährten prin¬
cipiellen Einverständnisses über die Ungerechtigkeit russischer Prätensionen für
befugt zur Theilnahme an den Wiener Conferenzen, um bei der Schlußpräci-
sirung der an Rußland zu stellenden Forderungen sein Gewicht als das einer
coordinirten Großmacht mit in die Wagschale legen zu dürfen. Zum Beweise,
wie Preußen keinem mit seiner Ehre verträglichen Schritt sich zu entziehen
suche, solle die Unterzeichnung des dem Herrn von Wedell officiell mitgetheilten
Protokolles vom 28. December, enthaltend die bisherige Interpretation der
vier Punkte angeboten werden." -- '

Haben wir denn zwei Monate lang geträumt? Soviel wir hörten, handelte
es sich bis jetzt nur Darum, 'ob Preußen das Protokoll vom 28. December, das


zu erlangen, daß dieses sich im Falle eines resultatlosen Auseinandergehens
' der Wiener Konferenzen verbindlich mache, seine weitern Maßregeln der Majo¬
rität dieser Konferenzen unterzuordnen, — diese Anforderungen sind in der
That nicht von der Art, wie sie ein Staat an einen gleich mächtigen zu stellen
pflegt und Preußen hat allen Grund, darüber ungehalten zu sein; ebensoviel
Grund, als ihm vor einem Vierteljahr die Ueberraschung darbot, die ihm
Oestreich durch den Decembervertrag bereitete. — Aber an wem liegt die
Schuld, daß Frankreich und Oestreich auf diese Weise gegen Preußen vpr-
schreiten zu müssen glauben?

Die Frage ist um so nothwendiger, da das Schriftstück wieder mit der
ganzen suffisance abgefaßt ist, welche die dienstbaren Federn der preußischen
Cabinetspolitik jedes Mal zeigen, wenn Preußen durch eigne Schuld in eine
üble Lage gerathen ist. „sowol der wortkarge Lord John Russel wie der tief¬
gelehrte und redegewandte Unterstaatssecretär Mr. Hainmond nahmen keine
andre Ueberzeugung von Berlin nach dem sogenannten Wiener Friedenscongreß
mit sich hinweg, als daß der Ministerpräsident von Manteuffel der zugeknöpf¬
teste Staatsmann sei, den Preußen jemals besessen habe." — Wie glücklich
wird sich der Schreiber jener Zeilen gefühlt haben, der Politik seines Chefs
ein so unermeßliches Lob zu spenden! Der zugeknöpfteste Staatsmann!
Unter allen den zugeknöpften Staatsmännern, deren sich Preußen bisher er¬
freut hat, der allerzugeknöpfteste! Und welch imponirenden Eindruck, welche
tiefe, ehrfurchtsvolle Scheu dies zugeknöpfte Wesen den auswärtigen Mächten
eingeflößt hat, das zeigen ja aufs deutlichste jene Anforderungen, die Herr
Drouin de Lhuys an den preußischen Bevollmächtigten zu stellen sich bemüßigt
gefunden hat. Aber noch einen andern Umstand enthüllt uns jenes Schrift¬
stück, einen Umstand, der die siegreichen Erfolge der zugeknöpften Politik auf
das evidenteste an den Tag bringt, den wir dreimal hintereinander lesen
mußten, ehe wir unsern Augen trauten. „Der Berliner Hof hat sich
dahin erklären zu müssen geglaubt: er halte sich auf Grund seines vom
9. April vorigen Jahres ab durch Protokolle und Bündnisse bewährten prin¬
cipiellen Einverständnisses über die Ungerechtigkeit russischer Prätensionen für
befugt zur Theilnahme an den Wiener Conferenzen, um bei der Schlußpräci-
sirung der an Rußland zu stellenden Forderungen sein Gewicht als das einer
coordinirten Großmacht mit in die Wagschale legen zu dürfen. Zum Beweise,
wie Preußen keinem mit seiner Ehre verträglichen Schritt sich zu entziehen
suche, solle die Unterzeichnung des dem Herrn von Wedell officiell mitgetheilten
Protokolles vom 28. December, enthaltend die bisherige Interpretation der
vier Punkte angeboten werden." — '

Haben wir denn zwei Monate lang geträumt? Soviel wir hörten, handelte
es sich bis jetzt nur Darum, 'ob Preußen das Protokoll vom 28. December, das


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[0490] zu erlangen, daß dieses sich im Falle eines resultatlosen Auseinandergehens ' der Wiener Konferenzen verbindlich mache, seine weitern Maßregeln der Majo¬ rität dieser Konferenzen unterzuordnen, — diese Anforderungen sind in der That nicht von der Art, wie sie ein Staat an einen gleich mächtigen zu stellen pflegt und Preußen hat allen Grund, darüber ungehalten zu sein; ebensoviel Grund, als ihm vor einem Vierteljahr die Ueberraschung darbot, die ihm Oestreich durch den Decembervertrag bereitete. — Aber an wem liegt die Schuld, daß Frankreich und Oestreich auf diese Weise gegen Preußen vpr- schreiten zu müssen glauben? Die Frage ist um so nothwendiger, da das Schriftstück wieder mit der ganzen suffisance abgefaßt ist, welche die dienstbaren Federn der preußischen Cabinetspolitik jedes Mal zeigen, wenn Preußen durch eigne Schuld in eine üble Lage gerathen ist. „sowol der wortkarge Lord John Russel wie der tief¬ gelehrte und redegewandte Unterstaatssecretär Mr. Hainmond nahmen keine andre Ueberzeugung von Berlin nach dem sogenannten Wiener Friedenscongreß mit sich hinweg, als daß der Ministerpräsident von Manteuffel der zugeknöpf¬ teste Staatsmann sei, den Preußen jemals besessen habe." — Wie glücklich wird sich der Schreiber jener Zeilen gefühlt haben, der Politik seines Chefs ein so unermeßliches Lob zu spenden! Der zugeknöpfteste Staatsmann! Unter allen den zugeknöpften Staatsmännern, deren sich Preußen bisher er¬ freut hat, der allerzugeknöpfteste! Und welch imponirenden Eindruck, welche tiefe, ehrfurchtsvolle Scheu dies zugeknöpfte Wesen den auswärtigen Mächten eingeflößt hat, das zeigen ja aufs deutlichste jene Anforderungen, die Herr Drouin de Lhuys an den preußischen Bevollmächtigten zu stellen sich bemüßigt gefunden hat. Aber noch einen andern Umstand enthüllt uns jenes Schrift¬ stück, einen Umstand, der die siegreichen Erfolge der zugeknöpften Politik auf das evidenteste an den Tag bringt, den wir dreimal hintereinander lesen mußten, ehe wir unsern Augen trauten. „Der Berliner Hof hat sich dahin erklären zu müssen geglaubt: er halte sich auf Grund seines vom 9. April vorigen Jahres ab durch Protokolle und Bündnisse bewährten prin¬ cipiellen Einverständnisses über die Ungerechtigkeit russischer Prätensionen für befugt zur Theilnahme an den Wiener Conferenzen, um bei der Schlußpräci- sirung der an Rußland zu stellenden Forderungen sein Gewicht als das einer coordinirten Großmacht mit in die Wagschale legen zu dürfen. Zum Beweise, wie Preußen keinem mit seiner Ehre verträglichen Schritt sich zu entziehen suche, solle die Unterzeichnung des dem Herrn von Wedell officiell mitgetheilten Protokolles vom 28. December, enthaltend die bisherige Interpretation der vier Punkte angeboten werden." — ' Haben wir denn zwei Monate lang geträumt? Soviel wir hörten, handelte es sich bis jetzt nur Darum, 'ob Preußen das Protokoll vom 28. December, das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/490>, abgerufen am 29.06.2024.