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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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suchte 18Ä3, sich in Dresden oder Leipzig eine literarische Stellung zu erwerben;
es gelang ihm nicht und er mußte sich entschließen, die gemeine Laufbahn des
bürgerlichen Lebens anzutreten.

1824 machte er in seiner Vaterstadt sein juristisches Examen und wurde
Advocat; eine Stellung, die er für eine unerhörte Entwürdigung seines Genies
hielt und die er durch Geringschätzung gegen die spießbürgerliche Welt, die in
ihm nicht den Dichter ehren wollte und durch ein excentrisches Leben zu rächen
suchte.

18A7 erschien der erste Band seiner Dramen, die ein ungewöhnliches Auf¬
sehen erregten; gleichzeitig wurde er als Auditeur angestellt. Seine poetische
Thätigkeit dauerte seit der Zeit fort, seine amtliche Stellung wurde vernach¬
lässigt. Die Verrücktheiten, die uns sein Biograph aus dieser Zeit gau; treu¬
herzig erzählt, gehen über alle Beschreibung und es ist nur unbegreiflich, daß
die Behörden dergleichen solange geduldet haben.

Nach einigen anderweitigen Liebesversuchen verheirathete er sich 1833. Die
Bekanntschaft mit seiner Frau, mit der er schon frülier ein Verhältniß gehabt,-
wurde durch Freiligraths Gedichte erneuert, der bekanntlich später in seinem
Freund und Landsmann den Typus eines deutschen Dichters oder eines
Dichters überhaupt gefeiert hat. Die Ehe ist ein ernster Prüfstein für den
sittlichen Werth eines Menschen. Was uns der Herausgeber von dieser Ehe
erzählt, ist nicht blos albern und abgeschmackt, sondern gradezu scheußlich.
Selbst Herr Ziegler findet sich doch veranlaßt, S. 131 zu sagen: "Er sprach
häusig in öffentlichen Gesellschaften über seine häuslichen Verhältnisse in so
cynischer Weise, daß allerdings nur die Freundschaft Entschuldigung finden
konnte." Die strafbare Vernachlässigung seines Amts wurde nebenbei immer
größer, so daß man ihn endlich 1834 veranlaßte, seine Entlassung zu nehmen.

Er begab sich darauf, indem er seine Frau zurückließ, nach Frankfurt, wo
er namentlich mit Eduard Dukter verkehrte, und die Gesellschaft durch
Schmähungen auf seine zurückgelassene Frau unterhielt. Von dort aus wandte
er sich an Immermann um Hilfe; ein freundlicher Brief desselben veranlaßte
ihn, sich nach Düsseldorf überzusiedeln. Ueber seinen dortigen Aufenthalt hat
uns bereits Immermann in seinen Memorabilien ausführliche Mittheilungen
gegeben, die durch Zicglers Notizen im ganzen wenig Zuwachs empfangen.
Daß zwischen den beiden entgegengesetzten Naturen endlich ein Bruch eintreten
mußte, war vorauszusehen. Die Sticheleien gegen Immermann hätte der
Herausgeber wol unterlassen können.

Grabbe kehrte 1836 nach Detmold zurück, vollständig gebrochen und den
Tod im Herzen. Er starb noch in demselben Jahr. Sein Ende mag in dem
Buche nachlesen, wer eine Vorliebe für die Mysterien des menschlichen Lebens
hat. --


suchte 18Ä3, sich in Dresden oder Leipzig eine literarische Stellung zu erwerben;
es gelang ihm nicht und er mußte sich entschließen, die gemeine Laufbahn des
bürgerlichen Lebens anzutreten.

1824 machte er in seiner Vaterstadt sein juristisches Examen und wurde
Advocat; eine Stellung, die er für eine unerhörte Entwürdigung seines Genies
hielt und die er durch Geringschätzung gegen die spießbürgerliche Welt, die in
ihm nicht den Dichter ehren wollte und durch ein excentrisches Leben zu rächen
suchte.

18A7 erschien der erste Band seiner Dramen, die ein ungewöhnliches Auf¬
sehen erregten; gleichzeitig wurde er als Auditeur angestellt. Seine poetische
Thätigkeit dauerte seit der Zeit fort, seine amtliche Stellung wurde vernach¬
lässigt. Die Verrücktheiten, die uns sein Biograph aus dieser Zeit gau; treu¬
herzig erzählt, gehen über alle Beschreibung und es ist nur unbegreiflich, daß
die Behörden dergleichen solange geduldet haben.

Nach einigen anderweitigen Liebesversuchen verheirathete er sich 1833. Die
Bekanntschaft mit seiner Frau, mit der er schon frülier ein Verhältniß gehabt,-
wurde durch Freiligraths Gedichte erneuert, der bekanntlich später in seinem
Freund und Landsmann den Typus eines deutschen Dichters oder eines
Dichters überhaupt gefeiert hat. Die Ehe ist ein ernster Prüfstein für den
sittlichen Werth eines Menschen. Was uns der Herausgeber von dieser Ehe
erzählt, ist nicht blos albern und abgeschmackt, sondern gradezu scheußlich.
Selbst Herr Ziegler findet sich doch veranlaßt, S. 131 zu sagen: „Er sprach
häusig in öffentlichen Gesellschaften über seine häuslichen Verhältnisse in so
cynischer Weise, daß allerdings nur die Freundschaft Entschuldigung finden
konnte." Die strafbare Vernachlässigung seines Amts wurde nebenbei immer
größer, so daß man ihn endlich 1834 veranlaßte, seine Entlassung zu nehmen.

Er begab sich darauf, indem er seine Frau zurückließ, nach Frankfurt, wo
er namentlich mit Eduard Dukter verkehrte, und die Gesellschaft durch
Schmähungen auf seine zurückgelassene Frau unterhielt. Von dort aus wandte
er sich an Immermann um Hilfe; ein freundlicher Brief desselben veranlaßte
ihn, sich nach Düsseldorf überzusiedeln. Ueber seinen dortigen Aufenthalt hat
uns bereits Immermann in seinen Memorabilien ausführliche Mittheilungen
gegeben, die durch Zicglers Notizen im ganzen wenig Zuwachs empfangen.
Daß zwischen den beiden entgegengesetzten Naturen endlich ein Bruch eintreten
mußte, war vorauszusehen. Die Sticheleien gegen Immermann hätte der
Herausgeber wol unterlassen können.

Grabbe kehrte 1836 nach Detmold zurück, vollständig gebrochen und den
Tod im Herzen. Er starb noch in demselben Jahr. Sein Ende mag in dem
Buche nachlesen, wer eine Vorliebe für die Mysterien des menschlichen Lebens
hat. —


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[0469] suchte 18Ä3, sich in Dresden oder Leipzig eine literarische Stellung zu erwerben; es gelang ihm nicht und er mußte sich entschließen, die gemeine Laufbahn des bürgerlichen Lebens anzutreten. 1824 machte er in seiner Vaterstadt sein juristisches Examen und wurde Advocat; eine Stellung, die er für eine unerhörte Entwürdigung seines Genies hielt und die er durch Geringschätzung gegen die spießbürgerliche Welt, die in ihm nicht den Dichter ehren wollte und durch ein excentrisches Leben zu rächen suchte. 18A7 erschien der erste Band seiner Dramen, die ein ungewöhnliches Auf¬ sehen erregten; gleichzeitig wurde er als Auditeur angestellt. Seine poetische Thätigkeit dauerte seit der Zeit fort, seine amtliche Stellung wurde vernach¬ lässigt. Die Verrücktheiten, die uns sein Biograph aus dieser Zeit gau; treu¬ herzig erzählt, gehen über alle Beschreibung und es ist nur unbegreiflich, daß die Behörden dergleichen solange geduldet haben. Nach einigen anderweitigen Liebesversuchen verheirathete er sich 1833. Die Bekanntschaft mit seiner Frau, mit der er schon frülier ein Verhältniß gehabt,- wurde durch Freiligraths Gedichte erneuert, der bekanntlich später in seinem Freund und Landsmann den Typus eines deutschen Dichters oder eines Dichters überhaupt gefeiert hat. Die Ehe ist ein ernster Prüfstein für den sittlichen Werth eines Menschen. Was uns der Herausgeber von dieser Ehe erzählt, ist nicht blos albern und abgeschmackt, sondern gradezu scheußlich. Selbst Herr Ziegler findet sich doch veranlaßt, S. 131 zu sagen: „Er sprach häusig in öffentlichen Gesellschaften über seine häuslichen Verhältnisse in so cynischer Weise, daß allerdings nur die Freundschaft Entschuldigung finden konnte." Die strafbare Vernachlässigung seines Amts wurde nebenbei immer größer, so daß man ihn endlich 1834 veranlaßte, seine Entlassung zu nehmen. Er begab sich darauf, indem er seine Frau zurückließ, nach Frankfurt, wo er namentlich mit Eduard Dukter verkehrte, und die Gesellschaft durch Schmähungen auf seine zurückgelassene Frau unterhielt. Von dort aus wandte er sich an Immermann um Hilfe; ein freundlicher Brief desselben veranlaßte ihn, sich nach Düsseldorf überzusiedeln. Ueber seinen dortigen Aufenthalt hat uns bereits Immermann in seinen Memorabilien ausführliche Mittheilungen gegeben, die durch Zicglers Notizen im ganzen wenig Zuwachs empfangen. Daß zwischen den beiden entgegengesetzten Naturen endlich ein Bruch eintreten mußte, war vorauszusehen. Die Sticheleien gegen Immermann hätte der Herausgeber wol unterlassen können. Grabbe kehrte 1836 nach Detmold zurück, vollständig gebrochen und den Tod im Herzen. Er starb noch in demselben Jahr. Sein Ende mag in dem Buche nachlesen, wer eine Vorliebe für die Mysterien des menschlichen Lebens hat. —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/469>, abgerufen am 29.06.2024.