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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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und dieser freundlich den Werth hervorgehoben, den ein guter Taback auf der
Reise habe:


Und es lobte darauf der Apotheker den Knaster,

Wie nahe es auch dem Dichter lag, sich den Apotheker hier über die Vorzüge
und den Ursprung seines Knasters mit echter Behaglichkeit eines leidenschaft¬
lichen Rauchers verbreiten zu lassen, so begnügte er sich doch mit dieser kurzen
Andeutung, da er fürchten mußte, hierdurch den Ton des Ganzen etwas zu
.sehr herabzudrücken u. f. >v." -- und so sand der Erklärer sonst noch manche
Bedenken zu lösen, z. B. S. 72. "In dieser Rede scheint der uns in daS
Hauswesen des Apothekers einführende Vers:

Bleibt der Provisor zurück, so geh ich getröstet von Hause,
auf den ersten Blick etwas ungelegen eingefügt. Der, Apotheker will sagen,
sein Provisor, auf den er sich ganz verlassen könne, biete ihm denselben Vor¬
theil für sein Haus, wie eine Frau, und er. habe dabei nicht die Ängstliche
Sorge, die er, besäße er Weib und Kind, in dieser gefährlichen Zeit hegen
müsse, da er jetzt als einzelner Mann nur auf sich zu denken brauche, im
Nothfall leicht entfliehen könne." -- Bei dieser Gründlichkeit der Forschung
wird es keinen Verständigen mehr Wunder nehmen, daß der Commentar 13-1
enggedruckte Spalten füllt.

Nun wäre an sich das Unternehmen höchst lobenswerth, nur fürchten wir,
daß es einigermaßen durch den Umstand beeinträchtigt werden könnte, daß
niemand das Werk lesen will; denn die leichtfertige Menge wird meinen, sie
verstehe Hermann und Dorothea auch ohnedies, und wird, wie man sich im
gemeinen Leben ausdrückt, abgeneigt sein, sich etwas vorkauen zu lassen, wo
die eignen Zähne ausreichen. Diesem Uebelstand abzuhelfen, hätten wir einen
Vorschlag zu machen. Heutzutage schreibt der größere Theil der Menschen,
und von den Schreibenden schreibt der größere Theil über Literatur; nun spricht
und schreibt man aber am liebsten über das, was man am liebsten hat, also
meistens über Goethe und da das gute deutsche Volk ein eigensinniges und
störriges Volk ist und gern raisonnirt, so hat jeder, der über Goethe schreibt,
auch an Goethe etwas auszusetzen, nicht um ihm einen Schaden, zu thun,
sondern um die Selbständigkeit der eignen Meinung zu behaupten. Das ist
gewiß ein schädliches Gelüst, denn es erregt Unfrieden und stört die allgmeine
Behaglichkeit. Darum würden wir vorschlagen, daß in jeder größern und
kleinern Stadt unsres. Vaterlandes ein Lesecomite errichtet wird, welches jeden,
der im Verdacht steht, über Goethe geschrieben zu haben, vorlabet und ihm
als Strafe etwa zehn Seiten aus diesem Commentar vorliest; im Wiederho¬
lungsfall kann das gesteigert und bis zur Vorlesung des ganzen Commentars
ausgedehnt werden. Wer aber überführt und eingcständig ist, an Goethe ge¬
mäkelt zu haben, den muß eine härtere Strafe treffen, er soll von Obrigkeits-


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und dieser freundlich den Werth hervorgehoben, den ein guter Taback auf der
Reise habe:


Und es lobte darauf der Apotheker den Knaster,

Wie nahe es auch dem Dichter lag, sich den Apotheker hier über die Vorzüge
und den Ursprung seines Knasters mit echter Behaglichkeit eines leidenschaft¬
lichen Rauchers verbreiten zu lassen, so begnügte er sich doch mit dieser kurzen
Andeutung, da er fürchten mußte, hierdurch den Ton des Ganzen etwas zu
.sehr herabzudrücken u. f. >v." — und so sand der Erklärer sonst noch manche
Bedenken zu lösen, z. B. S. 72. „In dieser Rede scheint der uns in daS
Hauswesen des Apothekers einführende Vers:

Bleibt der Provisor zurück, so geh ich getröstet von Hause,
auf den ersten Blick etwas ungelegen eingefügt. Der, Apotheker will sagen,
sein Provisor, auf den er sich ganz verlassen könne, biete ihm denselben Vor¬
theil für sein Haus, wie eine Frau, und er. habe dabei nicht die Ängstliche
Sorge, die er, besäße er Weib und Kind, in dieser gefährlichen Zeit hegen
müsse, da er jetzt als einzelner Mann nur auf sich zu denken brauche, im
Nothfall leicht entfliehen könne." — Bei dieser Gründlichkeit der Forschung
wird es keinen Verständigen mehr Wunder nehmen, daß der Commentar 13-1
enggedruckte Spalten füllt.

Nun wäre an sich das Unternehmen höchst lobenswerth, nur fürchten wir,
daß es einigermaßen durch den Umstand beeinträchtigt werden könnte, daß
niemand das Werk lesen will; denn die leichtfertige Menge wird meinen, sie
verstehe Hermann und Dorothea auch ohnedies, und wird, wie man sich im
gemeinen Leben ausdrückt, abgeneigt sein, sich etwas vorkauen zu lassen, wo
die eignen Zähne ausreichen. Diesem Uebelstand abzuhelfen, hätten wir einen
Vorschlag zu machen. Heutzutage schreibt der größere Theil der Menschen,
und von den Schreibenden schreibt der größere Theil über Literatur; nun spricht
und schreibt man aber am liebsten über das, was man am liebsten hat, also
meistens über Goethe und da das gute deutsche Volk ein eigensinniges und
störriges Volk ist und gern raisonnirt, so hat jeder, der über Goethe schreibt,
auch an Goethe etwas auszusetzen, nicht um ihm einen Schaden, zu thun,
sondern um die Selbständigkeit der eignen Meinung zu behaupten. Das ist
gewiß ein schädliches Gelüst, denn es erregt Unfrieden und stört die allgmeine
Behaglichkeit. Darum würden wir vorschlagen, daß in jeder größern und
kleinern Stadt unsres. Vaterlandes ein Lesecomite errichtet wird, welches jeden,
der im Verdacht steht, über Goethe geschrieben zu haben, vorlabet und ihm
als Strafe etwa zehn Seiten aus diesem Commentar vorliest; im Wiederho¬
lungsfall kann das gesteigert und bis zur Vorlesung des ganzen Commentars
ausgedehnt werden. Wer aber überführt und eingcständig ist, an Goethe ge¬
mäkelt zu haben, den muß eine härtere Strafe treffen, er soll von Obrigkeits-


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[0467] und dieser freundlich den Werth hervorgehoben, den ein guter Taback auf der Reise habe: Und es lobte darauf der Apotheker den Knaster, Wie nahe es auch dem Dichter lag, sich den Apotheker hier über die Vorzüge und den Ursprung seines Knasters mit echter Behaglichkeit eines leidenschaft¬ lichen Rauchers verbreiten zu lassen, so begnügte er sich doch mit dieser kurzen Andeutung, da er fürchten mußte, hierdurch den Ton des Ganzen etwas zu .sehr herabzudrücken u. f. >v." — und so sand der Erklärer sonst noch manche Bedenken zu lösen, z. B. S. 72. „In dieser Rede scheint der uns in daS Hauswesen des Apothekers einführende Vers: Bleibt der Provisor zurück, so geh ich getröstet von Hause, auf den ersten Blick etwas ungelegen eingefügt. Der, Apotheker will sagen, sein Provisor, auf den er sich ganz verlassen könne, biete ihm denselben Vor¬ theil für sein Haus, wie eine Frau, und er. habe dabei nicht die Ängstliche Sorge, die er, besäße er Weib und Kind, in dieser gefährlichen Zeit hegen müsse, da er jetzt als einzelner Mann nur auf sich zu denken brauche, im Nothfall leicht entfliehen könne." — Bei dieser Gründlichkeit der Forschung wird es keinen Verständigen mehr Wunder nehmen, daß der Commentar 13-1 enggedruckte Spalten füllt. Nun wäre an sich das Unternehmen höchst lobenswerth, nur fürchten wir, daß es einigermaßen durch den Umstand beeinträchtigt werden könnte, daß niemand das Werk lesen will; denn die leichtfertige Menge wird meinen, sie verstehe Hermann und Dorothea auch ohnedies, und wird, wie man sich im gemeinen Leben ausdrückt, abgeneigt sein, sich etwas vorkauen zu lassen, wo die eignen Zähne ausreichen. Diesem Uebelstand abzuhelfen, hätten wir einen Vorschlag zu machen. Heutzutage schreibt der größere Theil der Menschen, und von den Schreibenden schreibt der größere Theil über Literatur; nun spricht und schreibt man aber am liebsten über das, was man am liebsten hat, also meistens über Goethe und da das gute deutsche Volk ein eigensinniges und störriges Volk ist und gern raisonnirt, so hat jeder, der über Goethe schreibt, auch an Goethe etwas auszusetzen, nicht um ihm einen Schaden, zu thun, sondern um die Selbständigkeit der eignen Meinung zu behaupten. Das ist gewiß ein schädliches Gelüst, denn es erregt Unfrieden und stört die allgmeine Behaglichkeit. Darum würden wir vorschlagen, daß in jeder größern und kleinern Stadt unsres. Vaterlandes ein Lesecomite errichtet wird, welches jeden, der im Verdacht steht, über Goethe geschrieben zu haben, vorlabet und ihm als Strafe etwa zehn Seiten aus diesem Commentar vorliest; im Wiederho¬ lungsfall kann das gesteigert und bis zur Vorlesung des ganzen Commentars ausgedehnt werden. Wer aber überführt und eingcständig ist, an Goethe ge¬ mäkelt zu haben, den muß eine härtere Strafe treffen, er soll von Obrigkeits- 38*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/467>, abgerufen am 29.06.2024.