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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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zu der neuesten Gesammtausgabe der deutschen Klassiker, Pyrker, Pleiten,
Goethe u. s. w. angesehen werden kann, wiederum mit Hermann und Dorothea.
Nun gibt es wol unter Goethes Werken zahlreiche Einzelheiten, die in der That
eines Commentars bedürfen, weil sie Anspielungen auf Dinge enthalten, die
dem Leser unbekannt sind, in anderen wieder ist durch die lange Zeit, welche
der Dichter dabei zugebracht hat, zuweilen ein fremdes Element hineinge-
komnlen; welches der verständige Kritiker auf eine subjective Weise aufzulösen
hat, d. h. so, daß er das schwer Verständliche auf die eigenthümliche Methode
des Schaffens zurückführt; was man aber an Hermann und Dorothea eigent¬
lich erklären soll, erscheint dem Unbefangenen auf den ersten Augenblick räthsel¬
haft. Das Gedicht ist in einem Guß entstanden, es ist in allen seinen Theilen
vollkommen durchsichtig und dabei von einer so innern Harmonie und Reife,
daß jede Natur, die von Gott nicht ganz verwahrlost ist, sich daran erfreuen
muß. Nun hat man allerdings schon im Jahre 1809 ausfindig gemacht, daß
Goethe seinen Stoff aus einer Salzburger Emigrationsgeschichte eninommen
hat und es ist zum Verständniß der Art und Weise, wie der Dichter seine
Stoffe behandelt, sehr zweckmäßig, daß auch Herr Düntzer diese Quelle wieder
hat abdrucken lassen; dann hat er aus den verschiedenen Briefsammlungen die
Stellen ausgezogen, in denen irgendein Bezug auf dieses Gedicht genommen
wird, theils von Goethe, theils von andern Personen; allein alle diese äußern
Notizen bilden doch nur die Einleitung, den Haupttheil des Werks nimmt in
der That die Erläuterung ein und hier haben wir init nicht geringer Bewun¬
derung wahrgenommen, wieviel Fragen sich noch für einen ernsten und auf¬
merksamen Forscher ergeben, über die der leichte Sinn eines blos genießenden
Unaufmerksamen hinweggeht. Von Hermanns Vater wird ausgemacht, daß
er wol über vierzig Jahre alt sein muß, der Apotheker ist etwa zehn
Jahre älter (S. 26). "Hatte der Apotheker durch seinen Vater eine gewisse
halbe Bildung erhalten, wie dieser sie ihm an dem kleinen Ort ohne großen
Aufwand zu geben vermochte, so war der Wirth hierin ziemlich vernachlässigt
worden, da sein Vater ihn frühe mehr zu häuslichen Geschäften, besonders
zum Landbau angehalten, woneben die beschränkte Gastwirthschaft noch wenig
bedeuten wollte." Dazu macht Herr Düntzer die nicht unwichtige Anmerkung:
"Im vierten Gesänge wird eines Ahnherrn gedacht, der als würdiger Bürger¬
meister die Bewilligung erhalten, ein Pförtchen aus dem Garten in die Stadt¬
mauer zu brechen. So hatte Hermanns Vater ein würdiges Vorbild, dessen
gelegentliche Erwähnung man besonders gern aus seinem Munde vernehmen
würde." -- Liegt in dieser Bemerkung ein gelinder Tadel, so nimmt bei einer
andern Gelegenheit Herr Düntzer den Dichter auf das würdigste in Schutz;
S. 10i lobt er Goethes schöne Mäßigung. "So lesen wir im sechsten Ge¬
sänge, nachdem ver Apotheker ein paar Pfeifen Taback dem Richter gegeben


zu der neuesten Gesammtausgabe der deutschen Klassiker, Pyrker, Pleiten,
Goethe u. s. w. angesehen werden kann, wiederum mit Hermann und Dorothea.
Nun gibt es wol unter Goethes Werken zahlreiche Einzelheiten, die in der That
eines Commentars bedürfen, weil sie Anspielungen auf Dinge enthalten, die
dem Leser unbekannt sind, in anderen wieder ist durch die lange Zeit, welche
der Dichter dabei zugebracht hat, zuweilen ein fremdes Element hineinge-
komnlen; welches der verständige Kritiker auf eine subjective Weise aufzulösen
hat, d. h. so, daß er das schwer Verständliche auf die eigenthümliche Methode
des Schaffens zurückführt; was man aber an Hermann und Dorothea eigent¬
lich erklären soll, erscheint dem Unbefangenen auf den ersten Augenblick räthsel¬
haft. Das Gedicht ist in einem Guß entstanden, es ist in allen seinen Theilen
vollkommen durchsichtig und dabei von einer so innern Harmonie und Reife,
daß jede Natur, die von Gott nicht ganz verwahrlost ist, sich daran erfreuen
muß. Nun hat man allerdings schon im Jahre 1809 ausfindig gemacht, daß
Goethe seinen Stoff aus einer Salzburger Emigrationsgeschichte eninommen
hat und es ist zum Verständniß der Art und Weise, wie der Dichter seine
Stoffe behandelt, sehr zweckmäßig, daß auch Herr Düntzer diese Quelle wieder
hat abdrucken lassen; dann hat er aus den verschiedenen Briefsammlungen die
Stellen ausgezogen, in denen irgendein Bezug auf dieses Gedicht genommen
wird, theils von Goethe, theils von andern Personen; allein alle diese äußern
Notizen bilden doch nur die Einleitung, den Haupttheil des Werks nimmt in
der That die Erläuterung ein und hier haben wir init nicht geringer Bewun¬
derung wahrgenommen, wieviel Fragen sich noch für einen ernsten und auf¬
merksamen Forscher ergeben, über die der leichte Sinn eines blos genießenden
Unaufmerksamen hinweggeht. Von Hermanns Vater wird ausgemacht, daß
er wol über vierzig Jahre alt sein muß, der Apotheker ist etwa zehn
Jahre älter (S. 26). „Hatte der Apotheker durch seinen Vater eine gewisse
halbe Bildung erhalten, wie dieser sie ihm an dem kleinen Ort ohne großen
Aufwand zu geben vermochte, so war der Wirth hierin ziemlich vernachlässigt
worden, da sein Vater ihn frühe mehr zu häuslichen Geschäften, besonders
zum Landbau angehalten, woneben die beschränkte Gastwirthschaft noch wenig
bedeuten wollte." Dazu macht Herr Düntzer die nicht unwichtige Anmerkung:
„Im vierten Gesänge wird eines Ahnherrn gedacht, der als würdiger Bürger¬
meister die Bewilligung erhalten, ein Pförtchen aus dem Garten in die Stadt¬
mauer zu brechen. So hatte Hermanns Vater ein würdiges Vorbild, dessen
gelegentliche Erwähnung man besonders gern aus seinem Munde vernehmen
würde." — Liegt in dieser Bemerkung ein gelinder Tadel, so nimmt bei einer
andern Gelegenheit Herr Düntzer den Dichter auf das würdigste in Schutz;
S. 10i lobt er Goethes schöne Mäßigung. „So lesen wir im sechsten Ge¬
sänge, nachdem ver Apotheker ein paar Pfeifen Taback dem Richter gegeben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/466>, abgerufen am 23.07.2024.