Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

daß. die Erwartung häusig getäuscht wird, denn die zu diesem Beruf noth¬
wendige Kraft findet sich nicht unter jeder Regierung. Das darf uns nicht
irremachen; solange die Grundkräfte der Monarchie die nämlichen bleiben,
bleibt auch die Möglichkeit bestehen, daß sie ihren Beruf erfüllt. Die Ord¬
nung und Folgerichtigkeit im Staatshaushalte und in der Militärverwaltung,
die Gesundheit der bürgerlichen Einrichtungen und die Liberalität, mit welcher
der Staat jede neue aufstrebende bedeutende Kraft in Deutschland in seinen
Kreis zog, so daß jeder Gebildete in Preußen gewissermaßen sein zweites Vater¬
land erblickte, diese Hebel des preußischen Fortschritts sind noch keineswegs
verbraucht. Die preußischen Waffen sind mit häßlichem Rost überzogen, aber
ihr Metall ist noch nicht soweit abgegriffen, um ihren weitern Gebrauch aus¬
zuschließen. -- , -




Die VoMmrthschnst vom geschichtlichen Gesichtspunkt.

Die Grundlagen der Nationalökonomie. Ein Hand- und Lesebuch für
Geschäftsmänner und Studirende von Wilhelm Röscher. Stuttgart und
Tübingen., Cotta. --

Noch leidenschaftlicher, als der Kampf um die abstract politischen Fragen,
entbrennt in unsrer Zeit der Kampf um die Art und Weise,, wie der Staat
für das materielle Wohl seiner Angehörigen zu sorgen hat. Je reifer ein Volk
in seiner 'politischen Entwicklung ist, je sicherer seine Verfassung festgestellt ist,
destomehr drängen sich diese Fragen in den Vordergrund. Wenn England
nicht im gegenwärtigen Augenblick durch die orientalische Krisis gezwungen
wäre, seine Aufmerksamkeit auch einmal nach einer andern Richtung des Staats¬
lebens hinzuwenden, so wäre seine ganze politische Thätigkeit schon lange von
den nationalökonomischen Interessen absorbirt worden. Nun spielen zwar bei
jedem einzelnen, der sich um diese Frage bekümmert, seine nächstliegenden per¬
sönlichen Interessen die Hauptrolle, allein so dreist wagt doch niemand mehr
mit seinem persönlichen Egoismus hervorzutreten, um die Rücksicht auf das
Gemeinwohl ganz zu umgehen. Jedes Sonderinteresse weiß sich mit irgendeiner
nationalökonomischen Theorie aufzuputzen und nachzuweisen, daß das Gesammt-
wohl nur dadurch herbeigeführt würde, wenn man in seinen eignen Gesichts¬
punkt einginge. In Verlegenheit um eine Theorie kann man niemals gerathen,
denn zwischen den beiden Extremen des freihändlerischen und schutzzöllnerischen
Systems liegen noch eine Menge von Nuancen, aus denen man alles Mögliche
deduciren kann, was man grade wünscht. Jedes von diesen Systemen gebevdet


daß. die Erwartung häusig getäuscht wird, denn die zu diesem Beruf noth¬
wendige Kraft findet sich nicht unter jeder Regierung. Das darf uns nicht
irremachen; solange die Grundkräfte der Monarchie die nämlichen bleiben,
bleibt auch die Möglichkeit bestehen, daß sie ihren Beruf erfüllt. Die Ord¬
nung und Folgerichtigkeit im Staatshaushalte und in der Militärverwaltung,
die Gesundheit der bürgerlichen Einrichtungen und die Liberalität, mit welcher
der Staat jede neue aufstrebende bedeutende Kraft in Deutschland in seinen
Kreis zog, so daß jeder Gebildete in Preußen gewissermaßen sein zweites Vater¬
land erblickte, diese Hebel des preußischen Fortschritts sind noch keineswegs
verbraucht. Die preußischen Waffen sind mit häßlichem Rost überzogen, aber
ihr Metall ist noch nicht soweit abgegriffen, um ihren weitern Gebrauch aus¬
zuschließen. — , -




Die VoMmrthschnst vom geschichtlichen Gesichtspunkt.

Die Grundlagen der Nationalökonomie. Ein Hand- und Lesebuch für
Geschäftsmänner und Studirende von Wilhelm Röscher. Stuttgart und
Tübingen., Cotta. —

Noch leidenschaftlicher, als der Kampf um die abstract politischen Fragen,
entbrennt in unsrer Zeit der Kampf um die Art und Weise,, wie der Staat
für das materielle Wohl seiner Angehörigen zu sorgen hat. Je reifer ein Volk
in seiner 'politischen Entwicklung ist, je sicherer seine Verfassung festgestellt ist,
destomehr drängen sich diese Fragen in den Vordergrund. Wenn England
nicht im gegenwärtigen Augenblick durch die orientalische Krisis gezwungen
wäre, seine Aufmerksamkeit auch einmal nach einer andern Richtung des Staats¬
lebens hinzuwenden, so wäre seine ganze politische Thätigkeit schon lange von
den nationalökonomischen Interessen absorbirt worden. Nun spielen zwar bei
jedem einzelnen, der sich um diese Frage bekümmert, seine nächstliegenden per¬
sönlichen Interessen die Hauptrolle, allein so dreist wagt doch niemand mehr
mit seinem persönlichen Egoismus hervorzutreten, um die Rücksicht auf das
Gemeinwohl ganz zu umgehen. Jedes Sonderinteresse weiß sich mit irgendeiner
nationalökonomischen Theorie aufzuputzen und nachzuweisen, daß das Gesammt-
wohl nur dadurch herbeigeführt würde, wenn man in seinen eignen Gesichts¬
punkt einginge. In Verlegenheit um eine Theorie kann man niemals gerathen,
denn zwischen den beiden Extremen des freihändlerischen und schutzzöllnerischen
Systems liegen noch eine Menge von Nuancen, aus denen man alles Mögliche
deduciren kann, was man grade wünscht. Jedes von diesen Systemen gebevdet


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0458" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/99310"/>
            <p xml:id="ID_1581" prev="#ID_1580"> daß. die Erwartung häusig getäuscht wird, denn die zu diesem Beruf noth¬<lb/>
wendige Kraft findet sich nicht unter jeder Regierung. Das darf uns nicht<lb/>
irremachen; solange die Grundkräfte der Monarchie die nämlichen bleiben,<lb/>
bleibt auch die Möglichkeit bestehen, daß sie ihren Beruf erfüllt. Die Ord¬<lb/>
nung und Folgerichtigkeit im Staatshaushalte und in der Militärverwaltung,<lb/>
die Gesundheit der bürgerlichen Einrichtungen und die Liberalität, mit welcher<lb/>
der Staat jede neue aufstrebende bedeutende Kraft in Deutschland in seinen<lb/>
Kreis zog, so daß jeder Gebildete in Preußen gewissermaßen sein zweites Vater¬<lb/>
land erblickte, diese Hebel des preußischen Fortschritts sind noch keineswegs<lb/>
verbraucht. Die preußischen Waffen sind mit häßlichem Rost überzogen, aber<lb/>
ihr Metall ist noch nicht soweit abgegriffen, um ihren weitern Gebrauch aus¬<lb/>
zuschließen. &#x2014; , -</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die VoMmrthschnst vom geschichtlichen Gesichtspunkt.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1582"> Die Grundlagen der Nationalökonomie. Ein Hand- und Lesebuch für<lb/>
Geschäftsmänner und Studirende von Wilhelm Röscher. Stuttgart und<lb/>
Tübingen., Cotta. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1583" next="#ID_1584"> Noch leidenschaftlicher, als der Kampf um die abstract politischen Fragen,<lb/>
entbrennt in unsrer Zeit der Kampf um die Art und Weise,, wie der Staat<lb/>
für das materielle Wohl seiner Angehörigen zu sorgen hat. Je reifer ein Volk<lb/>
in seiner 'politischen Entwicklung ist, je sicherer seine Verfassung festgestellt ist,<lb/>
destomehr drängen sich diese Fragen in den Vordergrund. Wenn England<lb/>
nicht im gegenwärtigen Augenblick durch die orientalische Krisis gezwungen<lb/>
wäre, seine Aufmerksamkeit auch einmal nach einer andern Richtung des Staats¬<lb/>
lebens hinzuwenden, so wäre seine ganze politische Thätigkeit schon lange von<lb/>
den nationalökonomischen Interessen absorbirt worden. Nun spielen zwar bei<lb/>
jedem einzelnen, der sich um diese Frage bekümmert, seine nächstliegenden per¬<lb/>
sönlichen Interessen die Hauptrolle, allein so dreist wagt doch niemand mehr<lb/>
mit seinem persönlichen Egoismus hervorzutreten, um die Rücksicht auf das<lb/>
Gemeinwohl ganz zu umgehen. Jedes Sonderinteresse weiß sich mit irgendeiner<lb/>
nationalökonomischen Theorie aufzuputzen und nachzuweisen, daß das Gesammt-<lb/>
wohl nur dadurch herbeigeführt würde, wenn man in seinen eignen Gesichts¬<lb/>
punkt einginge. In Verlegenheit um eine Theorie kann man niemals gerathen,<lb/>
denn zwischen den beiden Extremen des freihändlerischen und schutzzöllnerischen<lb/>
Systems liegen noch eine Menge von Nuancen, aus denen man alles Mögliche<lb/>
deduciren kann, was man grade wünscht. Jedes von diesen Systemen gebevdet</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0458] daß. die Erwartung häusig getäuscht wird, denn die zu diesem Beruf noth¬ wendige Kraft findet sich nicht unter jeder Regierung. Das darf uns nicht irremachen; solange die Grundkräfte der Monarchie die nämlichen bleiben, bleibt auch die Möglichkeit bestehen, daß sie ihren Beruf erfüllt. Die Ord¬ nung und Folgerichtigkeit im Staatshaushalte und in der Militärverwaltung, die Gesundheit der bürgerlichen Einrichtungen und die Liberalität, mit welcher der Staat jede neue aufstrebende bedeutende Kraft in Deutschland in seinen Kreis zog, so daß jeder Gebildete in Preußen gewissermaßen sein zweites Vater¬ land erblickte, diese Hebel des preußischen Fortschritts sind noch keineswegs verbraucht. Die preußischen Waffen sind mit häßlichem Rost überzogen, aber ihr Metall ist noch nicht soweit abgegriffen, um ihren weitern Gebrauch aus¬ zuschließen. — , - Die VoMmrthschnst vom geschichtlichen Gesichtspunkt. Die Grundlagen der Nationalökonomie. Ein Hand- und Lesebuch für Geschäftsmänner und Studirende von Wilhelm Röscher. Stuttgart und Tübingen., Cotta. — Noch leidenschaftlicher, als der Kampf um die abstract politischen Fragen, entbrennt in unsrer Zeit der Kampf um die Art und Weise,, wie der Staat für das materielle Wohl seiner Angehörigen zu sorgen hat. Je reifer ein Volk in seiner 'politischen Entwicklung ist, je sicherer seine Verfassung festgestellt ist, destomehr drängen sich diese Fragen in den Vordergrund. Wenn England nicht im gegenwärtigen Augenblick durch die orientalische Krisis gezwungen wäre, seine Aufmerksamkeit auch einmal nach einer andern Richtung des Staats¬ lebens hinzuwenden, so wäre seine ganze politische Thätigkeit schon lange von den nationalökonomischen Interessen absorbirt worden. Nun spielen zwar bei jedem einzelnen, der sich um diese Frage bekümmert, seine nächstliegenden per¬ sönlichen Interessen die Hauptrolle, allein so dreist wagt doch niemand mehr mit seinem persönlichen Egoismus hervorzutreten, um die Rücksicht auf das Gemeinwohl ganz zu umgehen. Jedes Sonderinteresse weiß sich mit irgendeiner nationalökonomischen Theorie aufzuputzen und nachzuweisen, daß das Gesammt- wohl nur dadurch herbeigeführt würde, wenn man in seinen eignen Gesichts¬ punkt einginge. In Verlegenheit um eine Theorie kann man niemals gerathen, denn zwischen den beiden Extremen des freihändlerischen und schutzzöllnerischen Systems liegen noch eine Menge von Nuancen, aus denen man alles Mögliche deduciren kann, was man grade wünscht. Jedes von diesen Systemen gebevdet

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/458
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/458>, abgerufen am 29.06.2024.