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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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achten und die in diesem Gefühl zugleich auch bei abweichenden Meinungen
die Verständigung finden. Es mußte keine unbedeutende Natur sein, die einem
Friedrich dem Großen Rücksichten almöthigte. -- Der Gegenstand des Buchs
ist nicht grade für das größere Publicum. Unter allen Thaten Friedrich des
Großen ist wol der baierische Erbfolgekrieg diejenige, welche die Phantasie am
wenigsten beschäftigt. Der Verfasser hat daher auch die Behandlung ganz
daraus eingerichtet, daß nur diejenigen, die sich mit der Zeit gründlich beschäf¬
tigen wollen, davon angezogen werden; sein Stil ist trocken und er geht ganz
ins Detail ein. Man muß das Werk als eine sorgfältig gearbeit-te Q-uellen-
sammlung betrachten; als solche nimmt es in der historischen Literatur einen
nicht unwesentlichen Platz ein. Indeß hat es doch durch das gegenwärtige
Verhältniß zwischen Oestreich und Preußen auch eine gewisse Beziehung zu der
Politik unsrer Zeit.

Während man noch vor einigen Jahren fest davon überzeugt war, daß
die Aufrichtung des preußischen Staats durch Friedrich den Großen für Deutsch¬
land und sür die Cultur überhaupt das segensreichste Ereignis? war, ist man
in neuester Zeit darüber zweifelhaft geworden. Man hat beobachtet, daß die
Ohnmacht Deutschlands dem Ausland gegenüber vorzugsweise aus dem Dua¬
lismus zwischen Oestreich und Preußen entspringt und hat darüber nachgegrü¬
belt, ob es nicht für Deutschland ein größerer Segen gewesen wäre, wenn
ihm der siebenjährige Krieg mit all seinen Heldenthaten und damit auch die¬
ser Dualismus erspart gewesen wäre. Setzen wir uns in den Standpunkt des
vorigen Jahrhunderts, so ist das Thörichte einer solchen Ansicht handgreiflich.
Friedrich war der genialste Mann seiner Zeit, aber auch die Macht des größten
Genius reicht nicht aus, aus dem Nichts zu schaffen. Friedrich hat die Erb¬
schaft seiner Väter angetreten und dasjenige ausgeführt, was ihnen zwar nicht
in klarem Bewußtsein, aber in einer dunkeln Idee vorschwebte. Das Haus
Oestreich hatte sich im 17. Jahrhundert von der Culturcntwicklung der deutschen
Nation abgewendet. Die Folge davon war der dreißigjährige Krieg und das
völlige Auseinanderfallen des Reichs. Die wahrhaft lebendige deutsche Cultur,
die mit der protestantischen Bildung identisch ist, mußte sich also eine neue
Organisation suchen, und sie fand diese im preußischen Staat. Die Helden¬
thaten- des siebenjährigen Krieges sicherten diesem die unabhängige Existenz,
aber erst durch die spätere Politik, von welcher der baierische Erbfolgekrieg eine
unbedeutende Episode war, wurde seine Stellung in Deutschland geklärt und
gesichert. Mit dieser That war der Beruf Preußens freilich nicht geschlossen.
Doch immer ist Preußen ein Heerlager, welches seine Sache entweder mit dem
Leben der deutschen Nation identificiren, oder an einer nationalen Neubildung
untergehen muß. Es ist natürlich, daß die Ungeduld des Volks die Wieder¬
aufnahme dieser Rolle in jedem Augenblick verlangt; es ist ebenso natürlich,


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achten und die in diesem Gefühl zugleich auch bei abweichenden Meinungen
die Verständigung finden. Es mußte keine unbedeutende Natur sein, die einem
Friedrich dem Großen Rücksichten almöthigte. — Der Gegenstand des Buchs
ist nicht grade für das größere Publicum. Unter allen Thaten Friedrich des
Großen ist wol der baierische Erbfolgekrieg diejenige, welche die Phantasie am
wenigsten beschäftigt. Der Verfasser hat daher auch die Behandlung ganz
daraus eingerichtet, daß nur diejenigen, die sich mit der Zeit gründlich beschäf¬
tigen wollen, davon angezogen werden; sein Stil ist trocken und er geht ganz
ins Detail ein. Man muß das Werk als eine sorgfältig gearbeit-te Q-uellen-
sammlung betrachten; als solche nimmt es in der historischen Literatur einen
nicht unwesentlichen Platz ein. Indeß hat es doch durch das gegenwärtige
Verhältniß zwischen Oestreich und Preußen auch eine gewisse Beziehung zu der
Politik unsrer Zeit.

Während man noch vor einigen Jahren fest davon überzeugt war, daß
die Aufrichtung des preußischen Staats durch Friedrich den Großen für Deutsch¬
land und sür die Cultur überhaupt das segensreichste Ereignis? war, ist man
in neuester Zeit darüber zweifelhaft geworden. Man hat beobachtet, daß die
Ohnmacht Deutschlands dem Ausland gegenüber vorzugsweise aus dem Dua¬
lismus zwischen Oestreich und Preußen entspringt und hat darüber nachgegrü¬
belt, ob es nicht für Deutschland ein größerer Segen gewesen wäre, wenn
ihm der siebenjährige Krieg mit all seinen Heldenthaten und damit auch die¬
ser Dualismus erspart gewesen wäre. Setzen wir uns in den Standpunkt des
vorigen Jahrhunderts, so ist das Thörichte einer solchen Ansicht handgreiflich.
Friedrich war der genialste Mann seiner Zeit, aber auch die Macht des größten
Genius reicht nicht aus, aus dem Nichts zu schaffen. Friedrich hat die Erb¬
schaft seiner Väter angetreten und dasjenige ausgeführt, was ihnen zwar nicht
in klarem Bewußtsein, aber in einer dunkeln Idee vorschwebte. Das Haus
Oestreich hatte sich im 17. Jahrhundert von der Culturcntwicklung der deutschen
Nation abgewendet. Die Folge davon war der dreißigjährige Krieg und das
völlige Auseinanderfallen des Reichs. Die wahrhaft lebendige deutsche Cultur,
die mit der protestantischen Bildung identisch ist, mußte sich also eine neue
Organisation suchen, und sie fand diese im preußischen Staat. Die Helden¬
thaten- des siebenjährigen Krieges sicherten diesem die unabhängige Existenz,
aber erst durch die spätere Politik, von welcher der baierische Erbfolgekrieg eine
unbedeutende Episode war, wurde seine Stellung in Deutschland geklärt und
gesichert. Mit dieser That war der Beruf Preußens freilich nicht geschlossen.
Doch immer ist Preußen ein Heerlager, welches seine Sache entweder mit dem
Leben der deutschen Nation identificiren, oder an einer nationalen Neubildung
untergehen muß. Es ist natürlich, daß die Ungeduld des Volks die Wieder¬
aufnahme dieser Rolle in jedem Augenblick verlangt; es ist ebenso natürlich,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/457>, abgerufen am 28.09.2024.