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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Augenblick hat täuschen lassen, daß er die Verwerflichkeit dieser Herrschaft und
ihre unsittliche Grundlage überall schroff hervorhebt, daß sein warmes patrio¬
tisches Gefühl sich nie verleugnet, auch wo er nichts als Schmachvolles vom
Vaterlande zu berichten hat. Der Inhalt des Buchs macht, wie wir schon
bemerkt haben, einen höchst niederschlagenden Eindruck, aber die Behandlung
erhebt uns über dieses Gefühl und läßt aus der Widerwärtigkeit der Erschei¬
nung den innern gesunden Kern des deutschen Lebens hervortreten. Der fol¬
gende Band wird dem Verfasser Gelegenheit geben, auch die herrlichen Blüten
und Früchte zu zeigen, die sich aus diesem Keim entwickelten, und wir sind
von ihm überzeugt, daß er uns ein lebensvolles Bild geben wird.

Noch eine Bemerkung können wir nicht unterdrücken. Die Zeit von 1795
bis 1807 war in Beziehung auf die Politik die schmachvollste unsrer Geschichte;
sie war die glänzendste unsrer Literatur. Die Blüte unsrer Literatur begann
mit dem Bündniß zwischen Goethe und Schiller 1794, sie endete mit dem Tode
Schillers 1803. Wenn wir das vorliegende Werk lesen, so kommt es uns
wie ein Traum vor, daß in der nämlichen Zeit, geleitet von den Vorbildern
der griechischen Kunst, das deutsche Gemüth so Herrliches und Unvergängliches
hervorgebracht hat. Betrachten wir dagegen die Werke der Poesie, ja selbst
den Briefwechsel zwischen den deutschen Dichtern, so entschwindet uns ebenso
vollständig das Gefühl der Wirklichkeit. Die Blüte unsrer Literatur hatte mit
dem Leben der Nation nichts zu thun, und das muß uns darüber trösten, daß
sie ohne eigentliche Frucht vorübergegangen ist. Wenn zwei so vollkommen
entgegengesetzte Weltanschauungen durch den Drang der Ereignisse mitein¬
ander in Berührung kommen, so muß wol ein Chaos entstehen, wie wir es
in der romantischen Literatur erlebt haben, und die innere Nothwendigkeit muß
uns über das ästhetische Mißbehagen trösten. --


Der bayerische Erbfolgekrieg. Unter Allerhöchster Königlicher Bewilligung
nach der Original-Correspondenz Friedrich des Großen mit dem Prinzen Hein¬
rich und Seinen Generalen aus den Staats-Archiven bearbeitet von Kurt
Wolfgang v. Schöning. Berlin n. Potsdam, F. Riegel. --

Die Hauptsache in diesem Werk ist der Abdruck der Korrespondenz Friedrich
des Großen mit seinem Bruder Heinrich. Sie erinnert uns an die jüngst ver¬
öffentlichte Correspondenz zwischen Napoleon und dem König Joseph, aber frei¬
lich nur durch ihren Gegensatz. In der letztern ertheilt ein eigenwilliger Des¬
pot, der um seines Ehrgeizes willen alle göttlichen unc> menschlichen Rech"
mit Füßen tritt, ein'em blinden Untergebenen seine Befehle, in denen sich frei¬
lich ein sehr hoher Verstand und eine fascinirende Entschlossenheit 'aussprichi,
zugleich aber eine grenzenlose Verachtung der Menschen; in jener dagegen wer¬
den wir durch das liebevolle Vertrauen zweier Brüder erfreut, die einander


Augenblick hat täuschen lassen, daß er die Verwerflichkeit dieser Herrschaft und
ihre unsittliche Grundlage überall schroff hervorhebt, daß sein warmes patrio¬
tisches Gefühl sich nie verleugnet, auch wo er nichts als Schmachvolles vom
Vaterlande zu berichten hat. Der Inhalt des Buchs macht, wie wir schon
bemerkt haben, einen höchst niederschlagenden Eindruck, aber die Behandlung
erhebt uns über dieses Gefühl und läßt aus der Widerwärtigkeit der Erschei¬
nung den innern gesunden Kern des deutschen Lebens hervortreten. Der fol¬
gende Band wird dem Verfasser Gelegenheit geben, auch die herrlichen Blüten
und Früchte zu zeigen, die sich aus diesem Keim entwickelten, und wir sind
von ihm überzeugt, daß er uns ein lebensvolles Bild geben wird.

Noch eine Bemerkung können wir nicht unterdrücken. Die Zeit von 1795
bis 1807 war in Beziehung auf die Politik die schmachvollste unsrer Geschichte;
sie war die glänzendste unsrer Literatur. Die Blüte unsrer Literatur begann
mit dem Bündniß zwischen Goethe und Schiller 1794, sie endete mit dem Tode
Schillers 1803. Wenn wir das vorliegende Werk lesen, so kommt es uns
wie ein Traum vor, daß in der nämlichen Zeit, geleitet von den Vorbildern
der griechischen Kunst, das deutsche Gemüth so Herrliches und Unvergängliches
hervorgebracht hat. Betrachten wir dagegen die Werke der Poesie, ja selbst
den Briefwechsel zwischen den deutschen Dichtern, so entschwindet uns ebenso
vollständig das Gefühl der Wirklichkeit. Die Blüte unsrer Literatur hatte mit
dem Leben der Nation nichts zu thun, und das muß uns darüber trösten, daß
sie ohne eigentliche Frucht vorübergegangen ist. Wenn zwei so vollkommen
entgegengesetzte Weltanschauungen durch den Drang der Ereignisse mitein¬
ander in Berührung kommen, so muß wol ein Chaos entstehen, wie wir es
in der romantischen Literatur erlebt haben, und die innere Nothwendigkeit muß
uns über das ästhetische Mißbehagen trösten. —


Der bayerische Erbfolgekrieg. Unter Allerhöchster Königlicher Bewilligung
nach der Original-Correspondenz Friedrich des Großen mit dem Prinzen Hein¬
rich und Seinen Generalen aus den Staats-Archiven bearbeitet von Kurt
Wolfgang v. Schöning. Berlin n. Potsdam, F. Riegel. —

Die Hauptsache in diesem Werk ist der Abdruck der Korrespondenz Friedrich
des Großen mit seinem Bruder Heinrich. Sie erinnert uns an die jüngst ver¬
öffentlichte Correspondenz zwischen Napoleon und dem König Joseph, aber frei¬
lich nur durch ihren Gegensatz. In der letztern ertheilt ein eigenwilliger Des¬
pot, der um seines Ehrgeizes willen alle göttlichen unc> menschlichen Rech"
mit Füßen tritt, ein'em blinden Untergebenen seine Befehle, in denen sich frei¬
lich ein sehr hoher Verstand und eine fascinirende Entschlossenheit 'aussprichi,
zugleich aber eine grenzenlose Verachtung der Menschen; in jener dagegen wer¬
den wir durch das liebevolle Vertrauen zweier Brüder erfreut, die einander


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[0456] Augenblick hat täuschen lassen, daß er die Verwerflichkeit dieser Herrschaft und ihre unsittliche Grundlage überall schroff hervorhebt, daß sein warmes patrio¬ tisches Gefühl sich nie verleugnet, auch wo er nichts als Schmachvolles vom Vaterlande zu berichten hat. Der Inhalt des Buchs macht, wie wir schon bemerkt haben, einen höchst niederschlagenden Eindruck, aber die Behandlung erhebt uns über dieses Gefühl und läßt aus der Widerwärtigkeit der Erschei¬ nung den innern gesunden Kern des deutschen Lebens hervortreten. Der fol¬ gende Band wird dem Verfasser Gelegenheit geben, auch die herrlichen Blüten und Früchte zu zeigen, die sich aus diesem Keim entwickelten, und wir sind von ihm überzeugt, daß er uns ein lebensvolles Bild geben wird. Noch eine Bemerkung können wir nicht unterdrücken. Die Zeit von 1795 bis 1807 war in Beziehung auf die Politik die schmachvollste unsrer Geschichte; sie war die glänzendste unsrer Literatur. Die Blüte unsrer Literatur begann mit dem Bündniß zwischen Goethe und Schiller 1794, sie endete mit dem Tode Schillers 1803. Wenn wir das vorliegende Werk lesen, so kommt es uns wie ein Traum vor, daß in der nämlichen Zeit, geleitet von den Vorbildern der griechischen Kunst, das deutsche Gemüth so Herrliches und Unvergängliches hervorgebracht hat. Betrachten wir dagegen die Werke der Poesie, ja selbst den Briefwechsel zwischen den deutschen Dichtern, so entschwindet uns ebenso vollständig das Gefühl der Wirklichkeit. Die Blüte unsrer Literatur hatte mit dem Leben der Nation nichts zu thun, und das muß uns darüber trösten, daß sie ohne eigentliche Frucht vorübergegangen ist. Wenn zwei so vollkommen entgegengesetzte Weltanschauungen durch den Drang der Ereignisse mitein¬ ander in Berührung kommen, so muß wol ein Chaos entstehen, wie wir es in der romantischen Literatur erlebt haben, und die innere Nothwendigkeit muß uns über das ästhetische Mißbehagen trösten. — Der bayerische Erbfolgekrieg. Unter Allerhöchster Königlicher Bewilligung nach der Original-Correspondenz Friedrich des Großen mit dem Prinzen Hein¬ rich und Seinen Generalen aus den Staats-Archiven bearbeitet von Kurt Wolfgang v. Schöning. Berlin n. Potsdam, F. Riegel. — Die Hauptsache in diesem Werk ist der Abdruck der Korrespondenz Friedrich des Großen mit seinem Bruder Heinrich. Sie erinnert uns an die jüngst ver¬ öffentlichte Correspondenz zwischen Napoleon und dem König Joseph, aber frei¬ lich nur durch ihren Gegensatz. In der letztern ertheilt ein eigenwilliger Des¬ pot, der um seines Ehrgeizes willen alle göttlichen unc> menschlichen Rech" mit Füßen tritt, ein'em blinden Untergebenen seine Befehle, in denen sich frei¬ lich ein sehr hoher Verstand und eine fascinirende Entschlossenheit 'aussprichi, zugleich aber eine grenzenlose Verachtung der Menschen; in jener dagegen wer¬ den wir durch das liebevolle Vertrauen zweier Brüder erfreut, die einander

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/456>, abgerufen am 29.06.2024.