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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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des Bündnisses war. Hätte die Berathung nur dazu geführt, daß man sich
zum einen oder zum andern rückhaltslos entschloß! Aber es sollte-auch jetzt
-noch zwischen Ja und Nein ein Mittelweg gesunden werden. Der Vertrag
ward nicht verworfen, aber auch nicht gradezu ratificirt; Haugwitz sollte nach
Paris gehen und eine Denkschrift annehmen, worin die Gründe, die gegen
ihn sprachen, zusammengefaßt waren.....Die Patrioten knirschten vor
> Zorn und Scham n. s. w. u. s. w. -- Das war die preußische Politik der
Jahre 180S und 1806.

Dieser kleinlichen Politik der äußeren Mittel, die durch keine höheren
Ideen, keinen höheren Zweck getragen wurde, entsprach die Frivolität der Ge¬
sinnung, der völlige Unglaube an alles Ideale. Man trieb zwar unter dem
Schutze der Lichtenau und des Geistersehers BischofSwerder viel Religion, man
machte ReligionSedicte gegen den Narioiialismus, aber das alles war äußerlicher
Flitterkram, durch den die innere Hohlheit nur schwach überkleidet wurde. Auch
das würdige Privatleben des neuen Königspaares änderte an dem öffentlichen
Geist nicht viel; es gehörte das furchtbare Unglück des Jahres 1807 dazu, um
im gesammten Volk den Glauben an einen Gott hervorzurufen, den man nicht
durch Rauschgold und Weihrauch, sondern durch Gesinnung und Thaten zu
verherrlichen habe.

In dem übrigen Deutschland wurden nun die Schwächen Preußens recht
wohl gefühlt, und man verstand schon damals recht wohl, sich die Hände zu
waschen, indem man alle Schuld diesem Staat aufbürdete. Eigentlich aber
hatte man nirgend Grund zur Ueberhebung. Oestreich wurde durch eine ebenso
geistlose und frivole Bureaukratie regiert wie Preußen. Als nach dem Feldzug
von 1796 der Feind sich der Hauptstadt näherte, regte sich überall eine tüch¬
tige, unverbrauchte Volkskraft, die das Größte hätte leisten können; aber solche
Mittel anzuwenden schien den östreichischen Staatsmännern gefährlich. "Dem
siegreichen Feinde," sagte der Cabinetsminister Graf Colloredo, "stopfe ich mit
einer Provinz den Mund, aber das Volk bewaffnen heißt den Thron um¬
stürzen." Was der Verfasser über die regierende Persönlichkeit denkt möge
man im Buche selbst S. 140 nachlesen; wir führen nur einen Zug an. Am
Tage nach der Schlacht von Austerlitz schickte Franz et. einen Abgesandten an
Napoleon, um eine Unterredung mit ihm zu erlangen. Am Nachmittag kamen
die beiden Kaiser auf freiem Felde zusammen. Im vollen Siegesübermuth gab
der Imperator dem Erben der deutschen Kaiserkrone eine Lection und ließ später
in seinen Bulletins die Lüge ausbreiten, der besiegte Kaiser habe, wie um ab-
zubitten, die Schuld des Krieges auf die Br-neu geschoben. "Er verkannte,"
setzt Herr. Hauffer hinzu, "die Persönlichkeit des östreichischen Kaisers, wenn er
glaubte, dessen autokratischer Stolz werde ihm je die Demüthigung dieser Stunde
vergessen. Es wird erzählt, Franz habe nach seiner Heimkehr nach langem


des Bündnisses war. Hätte die Berathung nur dazu geführt, daß man sich
zum einen oder zum andern rückhaltslos entschloß! Aber es sollte-auch jetzt
-noch zwischen Ja und Nein ein Mittelweg gesunden werden. Der Vertrag
ward nicht verworfen, aber auch nicht gradezu ratificirt; Haugwitz sollte nach
Paris gehen und eine Denkschrift annehmen, worin die Gründe, die gegen
ihn sprachen, zusammengefaßt waren.....Die Patrioten knirschten vor
> Zorn und Scham n. s. w. u. s. w. — Das war die preußische Politik der
Jahre 180S und 1806.

Dieser kleinlichen Politik der äußeren Mittel, die durch keine höheren
Ideen, keinen höheren Zweck getragen wurde, entsprach die Frivolität der Ge¬
sinnung, der völlige Unglaube an alles Ideale. Man trieb zwar unter dem
Schutze der Lichtenau und des Geistersehers BischofSwerder viel Religion, man
machte ReligionSedicte gegen den Narioiialismus, aber das alles war äußerlicher
Flitterkram, durch den die innere Hohlheit nur schwach überkleidet wurde. Auch
das würdige Privatleben des neuen Königspaares änderte an dem öffentlichen
Geist nicht viel; es gehörte das furchtbare Unglück des Jahres 1807 dazu, um
im gesammten Volk den Glauben an einen Gott hervorzurufen, den man nicht
durch Rauschgold und Weihrauch, sondern durch Gesinnung und Thaten zu
verherrlichen habe.

In dem übrigen Deutschland wurden nun die Schwächen Preußens recht
wohl gefühlt, und man verstand schon damals recht wohl, sich die Hände zu
waschen, indem man alle Schuld diesem Staat aufbürdete. Eigentlich aber
hatte man nirgend Grund zur Ueberhebung. Oestreich wurde durch eine ebenso
geistlose und frivole Bureaukratie regiert wie Preußen. Als nach dem Feldzug
von 1796 der Feind sich der Hauptstadt näherte, regte sich überall eine tüch¬
tige, unverbrauchte Volkskraft, die das Größte hätte leisten können; aber solche
Mittel anzuwenden schien den östreichischen Staatsmännern gefährlich. „Dem
siegreichen Feinde," sagte der Cabinetsminister Graf Colloredo, „stopfe ich mit
einer Provinz den Mund, aber das Volk bewaffnen heißt den Thron um¬
stürzen." Was der Verfasser über die regierende Persönlichkeit denkt möge
man im Buche selbst S. 140 nachlesen; wir führen nur einen Zug an. Am
Tage nach der Schlacht von Austerlitz schickte Franz et. einen Abgesandten an
Napoleon, um eine Unterredung mit ihm zu erlangen. Am Nachmittag kamen
die beiden Kaiser auf freiem Felde zusammen. Im vollen Siegesübermuth gab
der Imperator dem Erben der deutschen Kaiserkrone eine Lection und ließ später
in seinen Bulletins die Lüge ausbreiten, der besiegte Kaiser habe, wie um ab-
zubitten, die Schuld des Krieges auf die Br-neu geschoben. „Er verkannte,"
setzt Herr. Hauffer hinzu, „die Persönlichkeit des östreichischen Kaisers, wenn er
glaubte, dessen autokratischer Stolz werde ihm je die Demüthigung dieser Stunde
vergessen. Es wird erzählt, Franz habe nach seiner Heimkehr nach langem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/453>, abgerufen am 29.06.2024.