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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Hand, die der Teufel bot, um ohne Gefahr zu Ehre und Macht zu kommen;
die unredliche Besetzung von Hannover riß den Schleier von der bisherigen
Friedensliebe ab, und bemerkt Herr Hauffer Seite ö9i ganz mit Recht: "Nicht
daß sich jetzt Preußen um hohen Lohn Napoleon in die Arme warf, hat den
Umsturz der alten Monarchie herbeigeführt, vielmehr weil es auch zu diesem ent¬
scheidenden Schritte nur zögernd und mit getheiltem Herzen sich drängen ließ,
dann in einem wichtigen Augenblicke aus Beweggründen, die nicht politisch
klug, aber ehrenwerth waren, plötzlich umsprang und sich von der Coalition
einen Moment fortreißen ließ, um auch hier wieder auf halbem Wege stehen
zu bleiben.und im unglücklichsten und unrühmlichsten Zeitpunkt den Rückweg
zu dem plötzlich abgebrochenem Bündnisse mit Napoleon zu suchen -- dieser
Zickzack von politischen Wendungen, an denen nicht, wie die Gegner sagten,
die Treulosigkeit, sondern der Mangel an Entschluß die größte Schuld trug,
hat den furchtbaren Zusammenstoß von 1806--1807 herbeigeführt. -- Wer
eine macchiavellistische Politik verfolgen will, muß kein Gewissen haben. Der
Trieb seiner Selbstsucht muß keine Bedenken kennen, sonst wird die edelste Seite
seines- Wesens die Ferse, an der ihn das Schicksal trifft.

Nach allen Schwankungen war Preußen in der Zeit der Schlacht von
Austerlitz wieder auf dem Punkt angekommen, eine souveräne Neutralität her¬
zustellen; es erneuerte seine verzweifelten Friedensversuche, und in Berlin war
die Diplomatie aller Parteien versammelt, nicht der Vermittlung wegen, son¬
dern um noch in dem letzten Moment Preußen zur Theilnahme an der großen
Action zu bestimmen. "Gegen alle hatte der König eine und dieselbe Erklärung
bereit: Preußen werde von der Neutralität nicht weichen und nur gegen den
feindlich handeln, der solcher zuwider etwas angreifend unternähme." (S. 6ii.)
Dann kamen einige sentimentale und geistreiche Scenen, dann in der elften
Stunde folgte die Sendung von Haugwitz. Der geistvolle Mann sollte das
Gewicht des preußischen Staats vor der Schlacht in die Entscheidung werfen,
er wurde von Napoleon geistreich behandelt und fand es staatsmännischer und
gebildeter, den Entschluß bis nach der Schlacht zu verschieben. Nach der
Schlacht schließt er dann einen Vertrag ab, in welchem Napoleon Preußen
gegenüber gradezu cynisch auftrat. Lange hatte man in Berlin von dem geist¬
reichen Staatsmanne nichts gehört, endlich kehrte er zurück. "Die kriegerischen
und patriotischen Kreise brausten in aller Erbitterung gegen den Unterhändler
auf, der treulos seine Aufträge nicht etwa überschritten', sondern gradezu ins
Gegentheil verkehrt habe.' Der König berief einen großen Staatsrath, über
dessen stürmische Verhandlungen die Franzosen rasch unterrichtet waren. Dort
standen sich die Ansichten schroff gegenüber; die Verpflichtung gegen die Eoa-
lition, daS höhere Staatsinteresse und die Ehre Preußens fanden in der Be¬
rathung ihre Verfechter, wie der gemeine lockende Gewinn, welcher der Preis


Hand, die der Teufel bot, um ohne Gefahr zu Ehre und Macht zu kommen;
die unredliche Besetzung von Hannover riß den Schleier von der bisherigen
Friedensliebe ab, und bemerkt Herr Hauffer Seite ö9i ganz mit Recht: „Nicht
daß sich jetzt Preußen um hohen Lohn Napoleon in die Arme warf, hat den
Umsturz der alten Monarchie herbeigeführt, vielmehr weil es auch zu diesem ent¬
scheidenden Schritte nur zögernd und mit getheiltem Herzen sich drängen ließ,
dann in einem wichtigen Augenblicke aus Beweggründen, die nicht politisch
klug, aber ehrenwerth waren, plötzlich umsprang und sich von der Coalition
einen Moment fortreißen ließ, um auch hier wieder auf halbem Wege stehen
zu bleiben.und im unglücklichsten und unrühmlichsten Zeitpunkt den Rückweg
zu dem plötzlich abgebrochenem Bündnisse mit Napoleon zu suchen — dieser
Zickzack von politischen Wendungen, an denen nicht, wie die Gegner sagten,
die Treulosigkeit, sondern der Mangel an Entschluß die größte Schuld trug,
hat den furchtbaren Zusammenstoß von 1806—1807 herbeigeführt. — Wer
eine macchiavellistische Politik verfolgen will, muß kein Gewissen haben. Der
Trieb seiner Selbstsucht muß keine Bedenken kennen, sonst wird die edelste Seite
seines- Wesens die Ferse, an der ihn das Schicksal trifft.

Nach allen Schwankungen war Preußen in der Zeit der Schlacht von
Austerlitz wieder auf dem Punkt angekommen, eine souveräne Neutralität her¬
zustellen; es erneuerte seine verzweifelten Friedensversuche, und in Berlin war
die Diplomatie aller Parteien versammelt, nicht der Vermittlung wegen, son¬
dern um noch in dem letzten Moment Preußen zur Theilnahme an der großen
Action zu bestimmen. „Gegen alle hatte der König eine und dieselbe Erklärung
bereit: Preußen werde von der Neutralität nicht weichen und nur gegen den
feindlich handeln, der solcher zuwider etwas angreifend unternähme." (S. 6ii.)
Dann kamen einige sentimentale und geistreiche Scenen, dann in der elften
Stunde folgte die Sendung von Haugwitz. Der geistvolle Mann sollte das
Gewicht des preußischen Staats vor der Schlacht in die Entscheidung werfen,
er wurde von Napoleon geistreich behandelt und fand es staatsmännischer und
gebildeter, den Entschluß bis nach der Schlacht zu verschieben. Nach der
Schlacht schließt er dann einen Vertrag ab, in welchem Napoleon Preußen
gegenüber gradezu cynisch auftrat. Lange hatte man in Berlin von dem geist¬
reichen Staatsmanne nichts gehört, endlich kehrte er zurück. „Die kriegerischen
und patriotischen Kreise brausten in aller Erbitterung gegen den Unterhändler
auf, der treulos seine Aufträge nicht etwa überschritten', sondern gradezu ins
Gegentheil verkehrt habe.' Der König berief einen großen Staatsrath, über
dessen stürmische Verhandlungen die Franzosen rasch unterrichtet waren. Dort
standen sich die Ansichten schroff gegenüber; die Verpflichtung gegen die Eoa-
lition, daS höhere Staatsinteresse und die Ehre Preußens fanden in der Be¬
rathung ihre Verfechter, wie der gemeine lockende Gewinn, welcher der Preis


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[0452] Hand, die der Teufel bot, um ohne Gefahr zu Ehre und Macht zu kommen; die unredliche Besetzung von Hannover riß den Schleier von der bisherigen Friedensliebe ab, und bemerkt Herr Hauffer Seite ö9i ganz mit Recht: „Nicht daß sich jetzt Preußen um hohen Lohn Napoleon in die Arme warf, hat den Umsturz der alten Monarchie herbeigeführt, vielmehr weil es auch zu diesem ent¬ scheidenden Schritte nur zögernd und mit getheiltem Herzen sich drängen ließ, dann in einem wichtigen Augenblicke aus Beweggründen, die nicht politisch klug, aber ehrenwerth waren, plötzlich umsprang und sich von der Coalition einen Moment fortreißen ließ, um auch hier wieder auf halbem Wege stehen zu bleiben.und im unglücklichsten und unrühmlichsten Zeitpunkt den Rückweg zu dem plötzlich abgebrochenem Bündnisse mit Napoleon zu suchen — dieser Zickzack von politischen Wendungen, an denen nicht, wie die Gegner sagten, die Treulosigkeit, sondern der Mangel an Entschluß die größte Schuld trug, hat den furchtbaren Zusammenstoß von 1806—1807 herbeigeführt. — Wer eine macchiavellistische Politik verfolgen will, muß kein Gewissen haben. Der Trieb seiner Selbstsucht muß keine Bedenken kennen, sonst wird die edelste Seite seines- Wesens die Ferse, an der ihn das Schicksal trifft. Nach allen Schwankungen war Preußen in der Zeit der Schlacht von Austerlitz wieder auf dem Punkt angekommen, eine souveräne Neutralität her¬ zustellen; es erneuerte seine verzweifelten Friedensversuche, und in Berlin war die Diplomatie aller Parteien versammelt, nicht der Vermittlung wegen, son¬ dern um noch in dem letzten Moment Preußen zur Theilnahme an der großen Action zu bestimmen. „Gegen alle hatte der König eine und dieselbe Erklärung bereit: Preußen werde von der Neutralität nicht weichen und nur gegen den feindlich handeln, der solcher zuwider etwas angreifend unternähme." (S. 6ii.) Dann kamen einige sentimentale und geistreiche Scenen, dann in der elften Stunde folgte die Sendung von Haugwitz. Der geistvolle Mann sollte das Gewicht des preußischen Staats vor der Schlacht in die Entscheidung werfen, er wurde von Napoleon geistreich behandelt und fand es staatsmännischer und gebildeter, den Entschluß bis nach der Schlacht zu verschieben. Nach der Schlacht schließt er dann einen Vertrag ab, in welchem Napoleon Preußen gegenüber gradezu cynisch auftrat. Lange hatte man in Berlin von dem geist¬ reichen Staatsmanne nichts gehört, endlich kehrte er zurück. „Die kriegerischen und patriotischen Kreise brausten in aller Erbitterung gegen den Unterhändler auf, der treulos seine Aufträge nicht etwa überschritten', sondern gradezu ins Gegentheil verkehrt habe.' Der König berief einen großen Staatsrath, über dessen stürmische Verhandlungen die Franzosen rasch unterrichtet waren. Dort standen sich die Ansichten schroff gegenüber; die Verpflichtung gegen die Eoa- lition, daS höhere Staatsinteresse und die Ehre Preußens fanden in der Be¬ rathung ihre Verfechter, wie der gemeine lockende Gewinn, welcher der Preis

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/452>, abgerufen am 29.06.2024.