Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Mit dem Frieden von Basel war Preußen in jenes System der souveränen
Neutralität eingetreten, durch welches sich seine Staatsmänner, geistreich und
gebildet, wie sie waren, über die einseitigen Kraftanstrengungen der Parteien
zu erheben glaubten. In dem Frieden von Tilsit erntete es die Früchte von
dieser weisen Politik. Nach einer Reihe der unerhörtesten Winkelzüge, welche
ihm in den Augen seiner eignen Staatsmänner den Nimbus der Undurchdring-
lichkeit verschafften, der aber von jedem praktischen Mann durchschaut und be¬
nutzt wurde, weil er nichts war, als ein Ausfluß der Schwäche, wurde die
Wucht der Ereignisse so groß, daß es sich nothwendigerweise irgendwie bethei¬
ligen mußte und die Betheiligung war von der Art, daß sie weder Freund
noch Feind befriedigen konnte, man wollte gern gewinnen, man' wollte aber
auch nicht gern irgendwo Anstoß geben. Die Folge war, daß man den Ver¬
such machen mußte, nach beiden Seiten zu täuschen und daß man niemand
täuschte. "Es war hier," sagt der Verfasser S. 639, "an einem recht sprechen¬
den Beispiel zu erfahren, in welche Widersprüche eine Politik verfällt,' die aus
Mangel an Entschluß sich nicht zu einer bestimmten Farbe bekennen kann und
die dann gern diese Schwäche des Willens für Friedensliebe und kluge Neu¬
tralität gelten lassen möchte. Eine durchaus redliche und gerade Persönlichkeit,
wie die Friedrich Wilhelm III. war, erschien da in dem falschen Licht der
Doppelzüngigkeit, wo doch nur der rasch durchgreifende Entschluß zu vermissen
war." Wer jedermanns Freund sein will, ist keines Freund; wer jede Gefahr
vermeidet, geht sicher unter. Die Geschichten der damaligen Zeit sind uns
nicht neu; heute erweckt'eine plötzliche Gemüthsstimmung einen raschen Entschluß,
man schickt einen Gesandten ab, um da oder dort abzuschließen, dann treten
Bedenken ein, man will noch abwarten, noch abwägen; ein zweiter Gesandter
wird dem ersten nachgeschickt mit dem Auftrage, nichts zu thun, gleichzeitig
geht ein dritter nach dem entgegengesetzten Ort ab mit der Versicherung, man
hege die besten Absichten; mittlerweile hat der erste bereits seinen Austrag, aus¬
gerichtet und so hat denn alle Welt das Recht, über Treulosigkeit zu klagen.
Die Friedenspolitik kann unter Umständen zum Ziel führen, aber dann muß
sie mit furchtloser Energie und Wachsamkeit geleitet und von einem unange¬
tasteten Ansehen getragen sein, sie darf nicht aus Schwäche und Mißtrauen
in die eigne Kraft entspringen. -- Solange Napoleon sich noch selbst in einer
bedenklichen Lage befand, war ihm diese Berliner Politik ganz bequem'; er
schmeichelte der Illusion, daß die neutrale Stellung eine freie und starke sei,
er bestärkte die Meinung, daß auf diesem Wege Preußen die Rolle des Ver¬
mittlers und Schiedsrichters von selbst zufallen müsse. -- Als nachher die
Rücksichten aufhörten, änderte sich von allen Seiten die Sprache; aus den
Schmeicheleien wurden Drohungen, aber doch versuchte man es noch mit
großen Anerbietungen. Die Sendung Durocs, 23. August .war die


56*

Mit dem Frieden von Basel war Preußen in jenes System der souveränen
Neutralität eingetreten, durch welches sich seine Staatsmänner, geistreich und
gebildet, wie sie waren, über die einseitigen Kraftanstrengungen der Parteien
zu erheben glaubten. In dem Frieden von Tilsit erntete es die Früchte von
dieser weisen Politik. Nach einer Reihe der unerhörtesten Winkelzüge, welche
ihm in den Augen seiner eignen Staatsmänner den Nimbus der Undurchdring-
lichkeit verschafften, der aber von jedem praktischen Mann durchschaut und be¬
nutzt wurde, weil er nichts war, als ein Ausfluß der Schwäche, wurde die
Wucht der Ereignisse so groß, daß es sich nothwendigerweise irgendwie bethei¬
ligen mußte und die Betheiligung war von der Art, daß sie weder Freund
noch Feind befriedigen konnte, man wollte gern gewinnen, man' wollte aber
auch nicht gern irgendwo Anstoß geben. Die Folge war, daß man den Ver¬
such machen mußte, nach beiden Seiten zu täuschen und daß man niemand
täuschte. „Es war hier," sagt der Verfasser S. 639, „an einem recht sprechen¬
den Beispiel zu erfahren, in welche Widersprüche eine Politik verfällt,' die aus
Mangel an Entschluß sich nicht zu einer bestimmten Farbe bekennen kann und
die dann gern diese Schwäche des Willens für Friedensliebe und kluge Neu¬
tralität gelten lassen möchte. Eine durchaus redliche und gerade Persönlichkeit,
wie die Friedrich Wilhelm III. war, erschien da in dem falschen Licht der
Doppelzüngigkeit, wo doch nur der rasch durchgreifende Entschluß zu vermissen
war." Wer jedermanns Freund sein will, ist keines Freund; wer jede Gefahr
vermeidet, geht sicher unter. Die Geschichten der damaligen Zeit sind uns
nicht neu; heute erweckt'eine plötzliche Gemüthsstimmung einen raschen Entschluß,
man schickt einen Gesandten ab, um da oder dort abzuschließen, dann treten
Bedenken ein, man will noch abwarten, noch abwägen; ein zweiter Gesandter
wird dem ersten nachgeschickt mit dem Auftrage, nichts zu thun, gleichzeitig
geht ein dritter nach dem entgegengesetzten Ort ab mit der Versicherung, man
hege die besten Absichten; mittlerweile hat der erste bereits seinen Austrag, aus¬
gerichtet und so hat denn alle Welt das Recht, über Treulosigkeit zu klagen.
Die Friedenspolitik kann unter Umständen zum Ziel führen, aber dann muß
sie mit furchtloser Energie und Wachsamkeit geleitet und von einem unange¬
tasteten Ansehen getragen sein, sie darf nicht aus Schwäche und Mißtrauen
in die eigne Kraft entspringen. — Solange Napoleon sich noch selbst in einer
bedenklichen Lage befand, war ihm diese Berliner Politik ganz bequem'; er
schmeichelte der Illusion, daß die neutrale Stellung eine freie und starke sei,
er bestärkte die Meinung, daß auf diesem Wege Preußen die Rolle des Ver¬
mittlers und Schiedsrichters von selbst zufallen müsse. — Als nachher die
Rücksichten aufhörten, änderte sich von allen Seiten die Sprache; aus den
Schmeicheleien wurden Drohungen, aber doch versuchte man es noch mit
großen Anerbietungen. Die Sendung Durocs, 23. August .war die


56*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0451" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/99303"/>
            <p xml:id="ID_1565" next="#ID_1566"> Mit dem Frieden von Basel war Preußen in jenes System der souveränen<lb/>
Neutralität eingetreten, durch welches sich seine Staatsmänner, geistreich und<lb/>
gebildet, wie sie waren, über die einseitigen Kraftanstrengungen der Parteien<lb/>
zu erheben glaubten. In dem Frieden von Tilsit erntete es die Früchte von<lb/>
dieser weisen Politik. Nach einer Reihe der unerhörtesten Winkelzüge, welche<lb/>
ihm in den Augen seiner eignen Staatsmänner den Nimbus der Undurchdring-<lb/>
lichkeit verschafften, der aber von jedem praktischen Mann durchschaut und be¬<lb/>
nutzt wurde, weil er nichts war, als ein Ausfluß der Schwäche, wurde die<lb/>
Wucht der Ereignisse so groß, daß es sich nothwendigerweise irgendwie bethei¬<lb/>
ligen mußte und die Betheiligung war von der Art, daß sie weder Freund<lb/>
noch Feind befriedigen konnte, man wollte gern gewinnen, man' wollte aber<lb/>
auch nicht gern irgendwo Anstoß geben. Die Folge war, daß man den Ver¬<lb/>
such machen mußte, nach beiden Seiten zu täuschen und daß man niemand<lb/>
täuschte. &#x201E;Es war hier," sagt der Verfasser S. 639, &#x201E;an einem recht sprechen¬<lb/>
den Beispiel zu erfahren, in welche Widersprüche eine Politik verfällt,' die aus<lb/>
Mangel an Entschluß sich nicht zu einer bestimmten Farbe bekennen kann und<lb/>
die dann gern diese Schwäche des Willens für Friedensliebe und kluge Neu¬<lb/>
tralität gelten lassen möchte. Eine durchaus redliche und gerade Persönlichkeit,<lb/>
wie die Friedrich Wilhelm III. war, erschien da in dem falschen Licht der<lb/>
Doppelzüngigkeit, wo doch nur der rasch durchgreifende Entschluß zu vermissen<lb/>
war." Wer jedermanns Freund sein will, ist keines Freund; wer jede Gefahr<lb/>
vermeidet, geht sicher unter. Die Geschichten der damaligen Zeit sind uns<lb/>
nicht neu; heute erweckt'eine plötzliche Gemüthsstimmung einen raschen Entschluß,<lb/>
man schickt einen Gesandten ab, um da oder dort abzuschließen, dann treten<lb/>
Bedenken ein, man will noch abwarten, noch abwägen; ein zweiter Gesandter<lb/>
wird dem ersten nachgeschickt mit dem Auftrage, nichts zu thun, gleichzeitig<lb/>
geht ein dritter nach dem entgegengesetzten Ort ab mit der Versicherung, man<lb/>
hege die besten Absichten; mittlerweile hat der erste bereits seinen Austrag, aus¬<lb/>
gerichtet und so hat denn alle Welt das Recht, über Treulosigkeit zu klagen.<lb/>
Die Friedenspolitik kann unter Umständen zum Ziel führen, aber dann muß<lb/>
sie mit furchtloser Energie und Wachsamkeit geleitet und von einem unange¬<lb/>
tasteten Ansehen getragen sein, sie darf nicht aus Schwäche und Mißtrauen<lb/>
in die eigne Kraft entspringen. &#x2014; Solange Napoleon sich noch selbst in einer<lb/>
bedenklichen Lage befand, war ihm diese Berliner Politik ganz bequem'; er<lb/>
schmeichelte der Illusion, daß die neutrale Stellung eine freie und starke sei,<lb/>
er bestärkte die Meinung, daß auf diesem Wege Preußen die Rolle des Ver¬<lb/>
mittlers und Schiedsrichters von selbst zufallen müsse. &#x2014; Als nachher die<lb/>
Rücksichten aufhörten, änderte sich von allen Seiten die Sprache; aus den<lb/>
Schmeicheleien wurden Drohungen, aber doch versuchte man es noch mit<lb/>
großen Anerbietungen.  Die Sendung Durocs, 23. August .war die</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> 56*</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0451] Mit dem Frieden von Basel war Preußen in jenes System der souveränen Neutralität eingetreten, durch welches sich seine Staatsmänner, geistreich und gebildet, wie sie waren, über die einseitigen Kraftanstrengungen der Parteien zu erheben glaubten. In dem Frieden von Tilsit erntete es die Früchte von dieser weisen Politik. Nach einer Reihe der unerhörtesten Winkelzüge, welche ihm in den Augen seiner eignen Staatsmänner den Nimbus der Undurchdring- lichkeit verschafften, der aber von jedem praktischen Mann durchschaut und be¬ nutzt wurde, weil er nichts war, als ein Ausfluß der Schwäche, wurde die Wucht der Ereignisse so groß, daß es sich nothwendigerweise irgendwie bethei¬ ligen mußte und die Betheiligung war von der Art, daß sie weder Freund noch Feind befriedigen konnte, man wollte gern gewinnen, man' wollte aber auch nicht gern irgendwo Anstoß geben. Die Folge war, daß man den Ver¬ such machen mußte, nach beiden Seiten zu täuschen und daß man niemand täuschte. „Es war hier," sagt der Verfasser S. 639, „an einem recht sprechen¬ den Beispiel zu erfahren, in welche Widersprüche eine Politik verfällt,' die aus Mangel an Entschluß sich nicht zu einer bestimmten Farbe bekennen kann und die dann gern diese Schwäche des Willens für Friedensliebe und kluge Neu¬ tralität gelten lassen möchte. Eine durchaus redliche und gerade Persönlichkeit, wie die Friedrich Wilhelm III. war, erschien da in dem falschen Licht der Doppelzüngigkeit, wo doch nur der rasch durchgreifende Entschluß zu vermissen war." Wer jedermanns Freund sein will, ist keines Freund; wer jede Gefahr vermeidet, geht sicher unter. Die Geschichten der damaligen Zeit sind uns nicht neu; heute erweckt'eine plötzliche Gemüthsstimmung einen raschen Entschluß, man schickt einen Gesandten ab, um da oder dort abzuschließen, dann treten Bedenken ein, man will noch abwarten, noch abwägen; ein zweiter Gesandter wird dem ersten nachgeschickt mit dem Auftrage, nichts zu thun, gleichzeitig geht ein dritter nach dem entgegengesetzten Ort ab mit der Versicherung, man hege die besten Absichten; mittlerweile hat der erste bereits seinen Austrag, aus¬ gerichtet und so hat denn alle Welt das Recht, über Treulosigkeit zu klagen. Die Friedenspolitik kann unter Umständen zum Ziel führen, aber dann muß sie mit furchtloser Energie und Wachsamkeit geleitet und von einem unange¬ tasteten Ansehen getragen sein, sie darf nicht aus Schwäche und Mißtrauen in die eigne Kraft entspringen. — Solange Napoleon sich noch selbst in einer bedenklichen Lage befand, war ihm diese Berliner Politik ganz bequem'; er schmeichelte der Illusion, daß die neutrale Stellung eine freie und starke sei, er bestärkte die Meinung, daß auf diesem Wege Preußen die Rolle des Ver¬ mittlers und Schiedsrichters von selbst zufallen müsse. — Als nachher die Rücksichten aufhörten, änderte sich von allen Seiten die Sprache; aus den Schmeicheleien wurden Drohungen, aber doch versuchte man es noch mit großen Anerbietungen. Die Sendung Durocs, 23. August .war die 56*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/451
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/451>, abgerufen am 29.06.2024.