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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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während der Schlacht bei Austerlitz berichtet, man wäre fast versucht, zu lachen
über den Menschen, der im Stande ist, selbst so naiv zu erzählen, wie man
ihn zum Tölpel in der diplomatischen Komödie macht." -- Der spätere Ge¬
schichtschreiber wird in der That diese ganze Periode humoristisch auffassen und
diese Sammlung von Abgeschmacktheit und Einbildung zu einem heitern Bild
verarbeiten; uns aber, den Erben der Ehre und der Schande unsrer Väter,
die wir in unsrer heutigen Politik nur zu oft das Gegenbild jener Tage'er¬
blicken, uns vergeht die Heiterkeit. Herr Hauffer verdient wegen seiner Dar¬
stellung alles Lob. Er ist mit den Thatsachen gründlich und gewissenhaft um¬
gegangen; er hat dasjenige, worüber er sich kein selbstständiges Urtheil bilden
konnte, namentlich das Militärische, nur soweit skizzirt, als es zum Verständ¬
niß des Ganzen nothwendig war; er hat keine Seite des Gegenstandes außer-
achtgelassen. Was heute, im Jahre 1833, in der That in Anschlag gebracht
werden muß, er hat den Muth gehabt, mit rücksichtsloser Offenheit zu sprechen;
er läßt sich durch das vermeintliche Pietätsgefühl, dem schwächliche Charaktere
unsrer Zeit so häufig verfallen, niemals blenden; man fühlt seinen gerechten
Unwillen bei jeder Zeile heraus. Aber es ist sehr zweckmäßig, daß er diesem
Unwillen nicht die Herrschaft über sich eingeräumt hat; er läßt die Sachen
sprechen und erspart sich jede Declamation, zu der man sich unter solchen Um¬
ständen so leicht versucht sühlt. Einiges hätte er uns allerdings ersparen
können. Für seine eigne Kenntniß mußte er zwar die Broschüren und Flug¬
schriften jener Zeit aufmerksam studiren, um sich ein Bild von der Stimmung
zu machen, aber die Auszüge daraus waren unnöthig, denn wir haben an
dem Unverstand der handelnden Personen grade genug, der Unverstand des
urtheilenden Publicums macht in Vergleich damit keine große Wirkung mehr.
Wenn er von diesen Nebenumständen einiges weggelassen, so hätte er diesen
Band bis zum Frieden von Tilsit fortführen können, dem eigentlichen Abschluß
dieser schmachvollen Periove, auf welche dann eine ebenso glorreiche Zeit der
Erhebung folgte. Auch die Gruppirung hätte durch schärfere Umrisse und hin und
wieder durch größere Prägnanz des Ausdrucks gewonnen. Die Charakteristik
der einzelnen Personen ist zwar nicht glänzend, aber sie ist durchaus gewissen¬
haft und von dem unbefangensten gesunden Menschenverstand eingegeben, der
sich durch die Mannigfaltigkeit der Perspective nicht verwirren läßt und das
dürfte doch wol die Hauptsache sein.

Den Mittelpunkt der Darstellung nimmt natürlich die preußische Politik
ein. Herr Hauffer ist zwar nicht von Geburt, wohl aber von Gesinnung ein
Preuße, wie jeder echte deutsche Patriot, und er fühlt bei der Schmach dieses
Staates, auf dessen Schultern doch immer die deutsche Zukunft liegt, das Blut
in seine eignen Wangen steigen; aber so lebhaft dieses Gefühl ihm ist, man
kann nicht sagen, daß der Unwille den Vers macht.


während der Schlacht bei Austerlitz berichtet, man wäre fast versucht, zu lachen
über den Menschen, der im Stande ist, selbst so naiv zu erzählen, wie man
ihn zum Tölpel in der diplomatischen Komödie macht." — Der spätere Ge¬
schichtschreiber wird in der That diese ganze Periode humoristisch auffassen und
diese Sammlung von Abgeschmacktheit und Einbildung zu einem heitern Bild
verarbeiten; uns aber, den Erben der Ehre und der Schande unsrer Väter,
die wir in unsrer heutigen Politik nur zu oft das Gegenbild jener Tage'er¬
blicken, uns vergeht die Heiterkeit. Herr Hauffer verdient wegen seiner Dar¬
stellung alles Lob. Er ist mit den Thatsachen gründlich und gewissenhaft um¬
gegangen; er hat dasjenige, worüber er sich kein selbstständiges Urtheil bilden
konnte, namentlich das Militärische, nur soweit skizzirt, als es zum Verständ¬
niß des Ganzen nothwendig war; er hat keine Seite des Gegenstandes außer-
achtgelassen. Was heute, im Jahre 1833, in der That in Anschlag gebracht
werden muß, er hat den Muth gehabt, mit rücksichtsloser Offenheit zu sprechen;
er läßt sich durch das vermeintliche Pietätsgefühl, dem schwächliche Charaktere
unsrer Zeit so häufig verfallen, niemals blenden; man fühlt seinen gerechten
Unwillen bei jeder Zeile heraus. Aber es ist sehr zweckmäßig, daß er diesem
Unwillen nicht die Herrschaft über sich eingeräumt hat; er läßt die Sachen
sprechen und erspart sich jede Declamation, zu der man sich unter solchen Um¬
ständen so leicht versucht sühlt. Einiges hätte er uns allerdings ersparen
können. Für seine eigne Kenntniß mußte er zwar die Broschüren und Flug¬
schriften jener Zeit aufmerksam studiren, um sich ein Bild von der Stimmung
zu machen, aber die Auszüge daraus waren unnöthig, denn wir haben an
dem Unverstand der handelnden Personen grade genug, der Unverstand des
urtheilenden Publicums macht in Vergleich damit keine große Wirkung mehr.
Wenn er von diesen Nebenumständen einiges weggelassen, so hätte er diesen
Band bis zum Frieden von Tilsit fortführen können, dem eigentlichen Abschluß
dieser schmachvollen Periove, auf welche dann eine ebenso glorreiche Zeit der
Erhebung folgte. Auch die Gruppirung hätte durch schärfere Umrisse und hin und
wieder durch größere Prägnanz des Ausdrucks gewonnen. Die Charakteristik
der einzelnen Personen ist zwar nicht glänzend, aber sie ist durchaus gewissen¬
haft und von dem unbefangensten gesunden Menschenverstand eingegeben, der
sich durch die Mannigfaltigkeit der Perspective nicht verwirren läßt und das
dürfte doch wol die Hauptsache sein.

Den Mittelpunkt der Darstellung nimmt natürlich die preußische Politik
ein. Herr Hauffer ist zwar nicht von Geburt, wohl aber von Gesinnung ein
Preuße, wie jeder echte deutsche Patriot, und er fühlt bei der Schmach dieses
Staates, auf dessen Schultern doch immer die deutsche Zukunft liegt, das Blut
in seine eignen Wangen steigen; aber so lebhaft dieses Gefühl ihm ist, man
kann nicht sagen, daß der Unwille den Vers macht.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/450>, abgerufen am 26.06.2024.