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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Neue historische Schriften.
Deutsche Geschichte vom Tode Friedrichs des Großen bis zur Grün¬
dung des deutschen Bundes. Von Ludwig Hciusser. Zweiter
Theil. Berlin, Wcidmcinnsche Buchhandlung. --

In einer weit kürzern Frist, als es auch bei dem angestrengtesten Fleiße
eines einzelnen Mannes hätte erwartet werden dürfen, ist der zweite Band
dieses höchst bedeutenden Nationalwerks dem ersten gefolgt, was um so aner-
kennenswerther ist, da eine Menge neuer handschriftlicher Quellen durchforscht
werden mußten, um den Thatsachen überall das richtige Gepräge zu geben,
So hat nun die folgenreichste Zeit der deutschen Geschichte eine sachgemäße
Darstellung gefunden, die vorläufig in den Forschungen einen Abschluß macht
und die dem Volk und seinen Führern einen Spiegel vorhält, der, wie wir
gleich hinzusetzen müssen, keineswegs schmeichelhaft ist.

Der Leser erwarte keinen erfreulichen und keinen erhebenden Eindruck,
im Gegentheil ist uns vielleicht kein Buch vorgekommen, das uns so nieder¬
geschlagen, das einen so bittern Nachgeschmack zurückgelassen hätte. Im wohl¬
meinenden Publicum wird sich mancher finden, der die Schuld davon auf den
Verfasser schiebt, wie man ja zuweilen den Spiegel zerschlägt, der eine ver¬
zerrte Fratze zeigt. Aber leider hat der Verfasser nur zu recht. Wer die poli¬
tische Geschichte Deutschlands aus den Jahren 179ö--1807 schreibt, befindet
sich in einer ähnlichen Lage, wie der Literaturhistoriker mit der Periode seit
1807. Oder vielmehr noch in einer schlimmern; denn in der poetischen Ent¬
wicklung finden sich doch immer noch einige Lichtfunken; während die deutsche
Politik jener verhängnißvollen zwölf Jahre nichts als Infamie und Erbärm¬
lichkeit enthält. Man muß die Sachen einmal mit dem rechten Namen be¬
zeichnen; denn die Ausdrücke, welche man sonst auch allenfalls anwenden
könnte: geistreich, romantisch, gebildet u. s. w., sagen doch nicht ganz das,
was sie sagen sollen. Der Geschichtschreiber eines spätern Jahrhunderts wird
die Sache vielleicht anders darstellen; der Geschichtschreiber des Jahres 1834
konnte und durfte es nicht. "Wären die Dinge nicht so furchtbar ernst," sagt
der Verfasser S. 682, ^als er das diplomatische Verhalten von Haugwitz


Grenzbotc". I.
Neue historische Schriften.
Deutsche Geschichte vom Tode Friedrichs des Großen bis zur Grün¬
dung des deutschen Bundes. Von Ludwig Hciusser. Zweiter
Theil. Berlin, Wcidmcinnsche Buchhandlung. —

In einer weit kürzern Frist, als es auch bei dem angestrengtesten Fleiße
eines einzelnen Mannes hätte erwartet werden dürfen, ist der zweite Band
dieses höchst bedeutenden Nationalwerks dem ersten gefolgt, was um so aner-
kennenswerther ist, da eine Menge neuer handschriftlicher Quellen durchforscht
werden mußten, um den Thatsachen überall das richtige Gepräge zu geben,
So hat nun die folgenreichste Zeit der deutschen Geschichte eine sachgemäße
Darstellung gefunden, die vorläufig in den Forschungen einen Abschluß macht
und die dem Volk und seinen Führern einen Spiegel vorhält, der, wie wir
gleich hinzusetzen müssen, keineswegs schmeichelhaft ist.

Der Leser erwarte keinen erfreulichen und keinen erhebenden Eindruck,
im Gegentheil ist uns vielleicht kein Buch vorgekommen, das uns so nieder¬
geschlagen, das einen so bittern Nachgeschmack zurückgelassen hätte. Im wohl¬
meinenden Publicum wird sich mancher finden, der die Schuld davon auf den
Verfasser schiebt, wie man ja zuweilen den Spiegel zerschlägt, der eine ver¬
zerrte Fratze zeigt. Aber leider hat der Verfasser nur zu recht. Wer die poli¬
tische Geschichte Deutschlands aus den Jahren 179ö—1807 schreibt, befindet
sich in einer ähnlichen Lage, wie der Literaturhistoriker mit der Periode seit
1807. Oder vielmehr noch in einer schlimmern; denn in der poetischen Ent¬
wicklung finden sich doch immer noch einige Lichtfunken; während die deutsche
Politik jener verhängnißvollen zwölf Jahre nichts als Infamie und Erbärm¬
lichkeit enthält. Man muß die Sachen einmal mit dem rechten Namen be¬
zeichnen; denn die Ausdrücke, welche man sonst auch allenfalls anwenden
könnte: geistreich, romantisch, gebildet u. s. w., sagen doch nicht ganz das,
was sie sagen sollen. Der Geschichtschreiber eines spätern Jahrhunderts wird
die Sache vielleicht anders darstellen; der Geschichtschreiber des Jahres 1834
konnte und durfte es nicht. „Wären die Dinge nicht so furchtbar ernst," sagt
der Verfasser S. 682, ^als er das diplomatische Verhalten von Haugwitz


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[0449] Neue historische Schriften. Deutsche Geschichte vom Tode Friedrichs des Großen bis zur Grün¬ dung des deutschen Bundes. Von Ludwig Hciusser. Zweiter Theil. Berlin, Wcidmcinnsche Buchhandlung. — In einer weit kürzern Frist, als es auch bei dem angestrengtesten Fleiße eines einzelnen Mannes hätte erwartet werden dürfen, ist der zweite Band dieses höchst bedeutenden Nationalwerks dem ersten gefolgt, was um so aner- kennenswerther ist, da eine Menge neuer handschriftlicher Quellen durchforscht werden mußten, um den Thatsachen überall das richtige Gepräge zu geben, So hat nun die folgenreichste Zeit der deutschen Geschichte eine sachgemäße Darstellung gefunden, die vorläufig in den Forschungen einen Abschluß macht und die dem Volk und seinen Führern einen Spiegel vorhält, der, wie wir gleich hinzusetzen müssen, keineswegs schmeichelhaft ist. Der Leser erwarte keinen erfreulichen und keinen erhebenden Eindruck, im Gegentheil ist uns vielleicht kein Buch vorgekommen, das uns so nieder¬ geschlagen, das einen so bittern Nachgeschmack zurückgelassen hätte. Im wohl¬ meinenden Publicum wird sich mancher finden, der die Schuld davon auf den Verfasser schiebt, wie man ja zuweilen den Spiegel zerschlägt, der eine ver¬ zerrte Fratze zeigt. Aber leider hat der Verfasser nur zu recht. Wer die poli¬ tische Geschichte Deutschlands aus den Jahren 179ö—1807 schreibt, befindet sich in einer ähnlichen Lage, wie der Literaturhistoriker mit der Periode seit 1807. Oder vielmehr noch in einer schlimmern; denn in der poetischen Ent¬ wicklung finden sich doch immer noch einige Lichtfunken; während die deutsche Politik jener verhängnißvollen zwölf Jahre nichts als Infamie und Erbärm¬ lichkeit enthält. Man muß die Sachen einmal mit dem rechten Namen be¬ zeichnen; denn die Ausdrücke, welche man sonst auch allenfalls anwenden könnte: geistreich, romantisch, gebildet u. s. w., sagen doch nicht ganz das, was sie sagen sollen. Der Geschichtschreiber eines spätern Jahrhunderts wird die Sache vielleicht anders darstellen; der Geschichtschreiber des Jahres 1834 konnte und durfte es nicht. „Wären die Dinge nicht so furchtbar ernst," sagt der Verfasser S. 682, ^als er das diplomatische Verhalten von Haugwitz Grenzbotc». I.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/449>, abgerufen am 26.06.2024.