Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

lische, sie mehr mit dem Gefühl aufzunehmen scheint. Dies alles prägnant und
fein ausgedrückt, Milton selbst aber, wie es sein muß, durch überwiegende Be-
deutendheit das Hauptaugenmerk in Anspruch nehmend. Daß das Bild vortrefflich
gemalt und gezeichnet ist, versteht sich bei I. Schrader von selbst. Es ist aber
selbst hierin seinen frühern Bildern vorzuziehen, es ist mit weniger Bravour, aber
mit mehr Solidität, mit noch feinerem Verständniß und Geschick gemacht; der Kopf
und die rechte Hand Miltons sind anch technisch meisterhaft. Bei einem vortreff¬
lichen Werk soll man nicht zu viel mäkeln; doch bin ich zu gewissenhaft, um Ihnen
einzelne kleine Mängel, namentlich einige Nachlässigkeiten der Zeichnung zu ver¬
schweigen, die ich wol fortwünschte. Das ist unter anderen die im Verhältniß zum
übrigen etwas derbe, sast rohe rechte Hand der schreibenden Tochter, der namentlich
im Gelenk nicht schön gezeichnete ausgestützte Arm der ältesten Tochter; desto schöner
ist das andere rechte Handgelenk. Dann dürfte, es auch nicht schaden, wenn die
älteste und jüngste Tochter zusammen eine geschlossenere einfache Masse bildeten;
endlich hat das Streben nach einem tiefen, warmen Kolorit den Künstler bei dem
Kopfe der mittleren Tochter vielleicht etwas zu weit geführt, er sieht am meisten
gemalt aus; sonst ist in dem Bilde grade hierin ein vortreffliches Maß gehalten,
denn bei der bedeutenden Tiefe und Kraft des Gcsammtcolorits ist doch überall
genügendes Licht und Klarheit vorhanden. Freilich werden diejenigen, welche den
Maximen der modernsten französischen Richtung huldigen, nicht derselben Meinung
sein, was nicht hell und grau ist, findet nicht Gnade vor ihren Augen; -- aus
diesem Grunde dürste das Bild auch vielleicht aus der großen Pariser Ausstellung,
sür die es bestimmt ist, nicht ganz nach Verdienst gewürdigt werden, aber alles
Ding währt seine Zeit, -- und Schnlgcschwätz auch.

Nach großem Lob, das ich spenden mußte, und geringem Tadel, den ich nicht
verschwiegen habe, bleibt es mir noch übrig, mich einer Pflicht zu entledigen. Ich
sprach bei einer frühern Gelegenheit die Befürchtung ans, Schrader möchte sich
mit der Zeit der- bloßen Virtuosität in die Arme werfen. Ich bekenne mit
Freuden, daß ich falsch gefürchtet habe. Daß aber Schrader grade bei seinem
enormen technischen Talent nicht dahin gekommen ist, bloßer Techniker zu werden;
daß er, nachdem er eine so glänzende Technik erworben, dieselbe in so gediegener
Weise anwendet; daß er dem geistigen Inhalt ebensoviel Liebe und Sorgfalt zu-
wendet, wie der technischen Ausführung, das ist eben ihm nicht hoch genug
anzuschlagen. Er hat den Beweis geliefert, daß sich geistiger Gehalt mit
plastisch wahrer Ausführung sehr wohl vereinen läßt, und es mögen sich ihn sowol
diejenigen zum Muster nehmen, welche mit einer virtuosen Technik schon genug ge¬
leistet zu haben glauben, als diejenigen, welche bei interessantem Inhalt eine lebens¬
wahre Ausführung sür unnöthig halten. --




Herausgegeben von Gustav Areytag und Julian Schmidt.
Als verantwort!, Redacteur legitimirt: F. W. Grunow. -- Verlag von F. L. Hevbig
in Leipzig.
Druck von <5, "5. Elben in Leipzig,

lische, sie mehr mit dem Gefühl aufzunehmen scheint. Dies alles prägnant und
fein ausgedrückt, Milton selbst aber, wie es sein muß, durch überwiegende Be-
deutendheit das Hauptaugenmerk in Anspruch nehmend. Daß das Bild vortrefflich
gemalt und gezeichnet ist, versteht sich bei I. Schrader von selbst. Es ist aber
selbst hierin seinen frühern Bildern vorzuziehen, es ist mit weniger Bravour, aber
mit mehr Solidität, mit noch feinerem Verständniß und Geschick gemacht; der Kopf
und die rechte Hand Miltons sind anch technisch meisterhaft. Bei einem vortreff¬
lichen Werk soll man nicht zu viel mäkeln; doch bin ich zu gewissenhaft, um Ihnen
einzelne kleine Mängel, namentlich einige Nachlässigkeiten der Zeichnung zu ver¬
schweigen, die ich wol fortwünschte. Das ist unter anderen die im Verhältniß zum
übrigen etwas derbe, sast rohe rechte Hand der schreibenden Tochter, der namentlich
im Gelenk nicht schön gezeichnete ausgestützte Arm der ältesten Tochter; desto schöner
ist das andere rechte Handgelenk. Dann dürfte, es auch nicht schaden, wenn die
älteste und jüngste Tochter zusammen eine geschlossenere einfache Masse bildeten;
endlich hat das Streben nach einem tiefen, warmen Kolorit den Künstler bei dem
Kopfe der mittleren Tochter vielleicht etwas zu weit geführt, er sieht am meisten
gemalt aus; sonst ist in dem Bilde grade hierin ein vortreffliches Maß gehalten,
denn bei der bedeutenden Tiefe und Kraft des Gcsammtcolorits ist doch überall
genügendes Licht und Klarheit vorhanden. Freilich werden diejenigen, welche den
Maximen der modernsten französischen Richtung huldigen, nicht derselben Meinung
sein, was nicht hell und grau ist, findet nicht Gnade vor ihren Augen; — aus
diesem Grunde dürste das Bild auch vielleicht aus der großen Pariser Ausstellung,
sür die es bestimmt ist, nicht ganz nach Verdienst gewürdigt werden, aber alles
Ding währt seine Zeit, — und Schnlgcschwätz auch.

Nach großem Lob, das ich spenden mußte, und geringem Tadel, den ich nicht
verschwiegen habe, bleibt es mir noch übrig, mich einer Pflicht zu entledigen. Ich
sprach bei einer frühern Gelegenheit die Befürchtung ans, Schrader möchte sich
mit der Zeit der- bloßen Virtuosität in die Arme werfen. Ich bekenne mit
Freuden, daß ich falsch gefürchtet habe. Daß aber Schrader grade bei seinem
enormen technischen Talent nicht dahin gekommen ist, bloßer Techniker zu werden;
daß er, nachdem er eine so glänzende Technik erworben, dieselbe in so gediegener
Weise anwendet; daß er dem geistigen Inhalt ebensoviel Liebe und Sorgfalt zu-
wendet, wie der technischen Ausführung, das ist eben ihm nicht hoch genug
anzuschlagen. Er hat den Beweis geliefert, daß sich geistiger Gehalt mit
plastisch wahrer Ausführung sehr wohl vereinen läßt, und es mögen sich ihn sowol
diejenigen zum Muster nehmen, welche mit einer virtuosen Technik schon genug ge¬
leistet zu haben glauben, als diejenigen, welche bei interessantem Inhalt eine lebens¬
wahre Ausführung sür unnöthig halten. —




Herausgegeben von Gustav Areytag und Julian Schmidt.
Als verantwort!, Redacteur legitimirt: F. W. Grunow. — Verlag von F. L. Hevbig
in Leipzig.
Druck von <5, «5. Elben in Leipzig,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0448" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/99300"/>
          <p xml:id="ID_1559" prev="#ID_1558"> lische, sie mehr mit dem Gefühl aufzunehmen scheint. Dies alles prägnant und<lb/>
fein ausgedrückt, Milton selbst aber, wie es sein muß, durch überwiegende Be-<lb/>
deutendheit das Hauptaugenmerk in Anspruch nehmend. Daß das Bild vortrefflich<lb/>
gemalt und gezeichnet ist, versteht sich bei I. Schrader von selbst. Es ist aber<lb/>
selbst hierin seinen frühern Bildern vorzuziehen, es ist mit weniger Bravour, aber<lb/>
mit mehr Solidität, mit noch feinerem Verständniß und Geschick gemacht; der Kopf<lb/>
und die rechte Hand Miltons sind anch technisch meisterhaft. Bei einem vortreff¬<lb/>
lichen Werk soll man nicht zu viel mäkeln; doch bin ich zu gewissenhaft, um Ihnen<lb/>
einzelne kleine Mängel, namentlich einige Nachlässigkeiten der Zeichnung zu ver¬<lb/>
schweigen, die ich wol fortwünschte. Das ist unter anderen die im Verhältniß zum<lb/>
übrigen etwas derbe, sast rohe rechte Hand der schreibenden Tochter, der namentlich<lb/>
im Gelenk nicht schön gezeichnete ausgestützte Arm der ältesten Tochter; desto schöner<lb/>
ist das andere rechte Handgelenk. Dann dürfte, es auch nicht schaden, wenn die<lb/>
älteste und jüngste Tochter zusammen eine geschlossenere einfache Masse bildeten;<lb/>
endlich hat das Streben nach einem tiefen, warmen Kolorit den Künstler bei dem<lb/>
Kopfe der mittleren Tochter vielleicht etwas zu weit geführt, er sieht am meisten<lb/>
gemalt aus; sonst ist in dem Bilde grade hierin ein vortreffliches Maß gehalten,<lb/>
denn bei der bedeutenden Tiefe und Kraft des Gcsammtcolorits ist doch überall<lb/>
genügendes Licht und Klarheit vorhanden. Freilich werden diejenigen, welche den<lb/>
Maximen der modernsten französischen Richtung huldigen, nicht derselben Meinung<lb/>
sein, was nicht hell und grau ist, findet nicht Gnade vor ihren Augen; &#x2014; aus<lb/>
diesem Grunde dürste das Bild auch vielleicht aus der großen Pariser Ausstellung,<lb/>
sür die es bestimmt ist, nicht ganz nach Verdienst gewürdigt werden, aber alles<lb/>
Ding währt seine Zeit, &#x2014; und Schnlgcschwätz auch.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1560"> Nach großem Lob, das ich spenden mußte, und geringem Tadel, den ich nicht<lb/>
verschwiegen habe, bleibt es mir noch übrig, mich einer Pflicht zu entledigen. Ich<lb/>
sprach bei einer frühern Gelegenheit die Befürchtung ans, Schrader möchte sich<lb/>
mit der Zeit der- bloßen Virtuosität in die Arme werfen. Ich bekenne mit<lb/>
Freuden, daß ich falsch gefürchtet habe. Daß aber Schrader grade bei seinem<lb/>
enormen technischen Talent nicht dahin gekommen ist, bloßer Techniker zu werden;<lb/>
daß er, nachdem er eine so glänzende Technik erworben, dieselbe in so gediegener<lb/>
Weise anwendet; daß er dem geistigen Inhalt ebensoviel Liebe und Sorgfalt zu-<lb/>
wendet, wie der technischen Ausführung, das ist eben ihm nicht hoch genug<lb/>
anzuschlagen. Er hat den Beweis geliefert, daß sich geistiger Gehalt mit<lb/>
plastisch wahrer Ausführung sehr wohl vereinen läßt, und es mögen sich ihn sowol<lb/>
diejenigen zum Muster nehmen, welche mit einer virtuosen Technik schon genug ge¬<lb/>
leistet zu haben glauben, als diejenigen, welche bei interessantem Inhalt eine lebens¬<lb/>
wahre Ausführung sür unnöthig halten. &#x2014;</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <note type="byline"> Herausgegeben von Gustav Areytag und Julian Schmidt.<lb/>
Als verantwort!, Redacteur legitimirt: F. W. Grunow. &#x2014; Verlag von F. L. Hevbig<lb/>
in Leipzig.<lb/>
Druck von &lt;5, «5. Elben in Leipzig,</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0448] lische, sie mehr mit dem Gefühl aufzunehmen scheint. Dies alles prägnant und fein ausgedrückt, Milton selbst aber, wie es sein muß, durch überwiegende Be- deutendheit das Hauptaugenmerk in Anspruch nehmend. Daß das Bild vortrefflich gemalt und gezeichnet ist, versteht sich bei I. Schrader von selbst. Es ist aber selbst hierin seinen frühern Bildern vorzuziehen, es ist mit weniger Bravour, aber mit mehr Solidität, mit noch feinerem Verständniß und Geschick gemacht; der Kopf und die rechte Hand Miltons sind anch technisch meisterhaft. Bei einem vortreff¬ lichen Werk soll man nicht zu viel mäkeln; doch bin ich zu gewissenhaft, um Ihnen einzelne kleine Mängel, namentlich einige Nachlässigkeiten der Zeichnung zu ver¬ schweigen, die ich wol fortwünschte. Das ist unter anderen die im Verhältniß zum übrigen etwas derbe, sast rohe rechte Hand der schreibenden Tochter, der namentlich im Gelenk nicht schön gezeichnete ausgestützte Arm der ältesten Tochter; desto schöner ist das andere rechte Handgelenk. Dann dürfte, es auch nicht schaden, wenn die älteste und jüngste Tochter zusammen eine geschlossenere einfache Masse bildeten; endlich hat das Streben nach einem tiefen, warmen Kolorit den Künstler bei dem Kopfe der mittleren Tochter vielleicht etwas zu weit geführt, er sieht am meisten gemalt aus; sonst ist in dem Bilde grade hierin ein vortreffliches Maß gehalten, denn bei der bedeutenden Tiefe und Kraft des Gcsammtcolorits ist doch überall genügendes Licht und Klarheit vorhanden. Freilich werden diejenigen, welche den Maximen der modernsten französischen Richtung huldigen, nicht derselben Meinung sein, was nicht hell und grau ist, findet nicht Gnade vor ihren Augen; — aus diesem Grunde dürste das Bild auch vielleicht aus der großen Pariser Ausstellung, sür die es bestimmt ist, nicht ganz nach Verdienst gewürdigt werden, aber alles Ding währt seine Zeit, — und Schnlgcschwätz auch. Nach großem Lob, das ich spenden mußte, und geringem Tadel, den ich nicht verschwiegen habe, bleibt es mir noch übrig, mich einer Pflicht zu entledigen. Ich sprach bei einer frühern Gelegenheit die Befürchtung ans, Schrader möchte sich mit der Zeit der- bloßen Virtuosität in die Arme werfen. Ich bekenne mit Freuden, daß ich falsch gefürchtet habe. Daß aber Schrader grade bei seinem enormen technischen Talent nicht dahin gekommen ist, bloßer Techniker zu werden; daß er, nachdem er eine so glänzende Technik erworben, dieselbe in so gediegener Weise anwendet; daß er dem geistigen Inhalt ebensoviel Liebe und Sorgfalt zu- wendet, wie der technischen Ausführung, das ist eben ihm nicht hoch genug anzuschlagen. Er hat den Beweis geliefert, daß sich geistiger Gehalt mit plastisch wahrer Ausführung sehr wohl vereinen läßt, und es mögen sich ihn sowol diejenigen zum Muster nehmen, welche mit einer virtuosen Technik schon genug ge¬ leistet zu haben glauben, als diejenigen, welche bei interessantem Inhalt eine lebens¬ wahre Ausführung sür unnöthig halten. — Herausgegeben von Gustav Areytag und Julian Schmidt. Als verantwort!, Redacteur legitimirt: F. W. Grunow. — Verlag von F. L. Hevbig in Leipzig. Druck von <5, «5. Elben in Leipzig,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/448
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/448>, abgerufen am 26.06.2024.