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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Schultern und mit hinkenden Beinen nach Hanse zurück. Oeffentliche bunte
Aufzüge liebt der Jrländer über alles und da Processionen ihrer oft traurigen
Ausgänge willen verboten sind, so benutzt er jede andre Gelegenheit, diesem Ge¬
lüste zu genügen. Neben glänzenden Hochzeitzügen findet man darum ebenso
glänzende Leichenzuge, die sich von jenen nur dadurch unterscheiden, daß
man nicht jubelt und daß ein Sarg und Klageweiber .dabei sind ist; lautes
Geschwätz und das Grelle der Farben sind dieselben.

Daß es aber möglich ist, in Irland wie in den vernachlässigten Land¬
schaften Deutschlands z. B. in Oberschlesien, das Volk zum Besseren zu ziehen und
aus Schmuz, Trägheit und Unwissenheit hervorzuheben, das haben auch dort
einzelne Männer bewiesen, denen die Besserstellung ihrer Tenants warm am
Herzen liegt und die bedeutende Geldopfer nicht gescheut haben, um den Uebeln,
soweit sie in ihren Kreis fallen, abzuhelfen. Einen dieser Männer lernte ich
selbst kennen und lieben, und ich halte es für eine angenehme Pflicht, Ihren
Lesern eine kurze Skizze seiner Thätigkeit zu geben. Lord George Hill, ein
Jrländer von Geburt, kennt die Leiden der Iren und ihre Ursachen aus dem
Grunde. Er entsagte dem Militärstande und machte es zur Ausgabe seines
übrigen Lebens, seinen Landsleuten zu zeigen, wie nur Fleiß, guter Wille
und Ausdauer nöthig sind, Dürftigkeit und Elend in Wohlstand und Blüte
umzuschaffen. Es ist dieses für ihn um so verdienstlicher, da ihm als einem
jüngeren Sohn des Marquis of Downshire nur ein bescheidener Theil Ver¬
mögen zugefallen und seine Geldaufwendungen daher wahre Opfer sind. Er
kaufte zu Anfang der vierziger Jahre den District Gwedore an der Küste in
der County of Donegal an. Der Zustand dieses verwahrlosten Striches war
damals abscheulich, Erdhütten im Torfmoor, Elend,. Hunger, hohläugige, zer¬
lumpte, verkommende Kreaturen. Lord George, bis dahin gewohnt, in einem Palaste
zu leben, verschmähte es nicht, denselben für ein Jahr mit einer Hütte zu vertau¬
schen, um mitten unter dem Elende dessen Hauptursachen an Ort und Stelle zu
ergründen und ihm durch persönlichen Einfluß desto leichter abhelfen zu können.
Theilweise zu diesem Zwecke hatte er auch vorher das Irische insoweit erlernt,
sich verständlich zu machen, wegen welcher Kenntniß er freilich zuerst zu hören
hatte, daß er wol kein Lord sein könne. (Die Leute dort halten ihre Sprache
für eines höheren Ranges unwürdig.) Zunächst fand Lord George, daß dir
vorhandene übliche Art und Weise, das Land in strenger Gleichvertheilung auf
die Kinder zu vererben, allem Aufkommen entgegenstehe, und wirkte darum die¬
sem Gebrauche, der übrigens allerdings nur ein Ausfluß des natürlichen Ge¬
fühls für Recht ist, mit aller Kraft entgegen. Man nennt diese'Vertheilung
und Untervertheilung runäals. Sie wird in der Weise bewerkstelligt, daß
man je nach der Art und Beschaffenheit deS Bodens verschiedene Loose macht
und jedes in soviele genau gleiche Theile zerlegt, als Kinder/ da sind, In


Schultern und mit hinkenden Beinen nach Hanse zurück. Oeffentliche bunte
Aufzüge liebt der Jrländer über alles und da Processionen ihrer oft traurigen
Ausgänge willen verboten sind, so benutzt er jede andre Gelegenheit, diesem Ge¬
lüste zu genügen. Neben glänzenden Hochzeitzügen findet man darum ebenso
glänzende Leichenzuge, die sich von jenen nur dadurch unterscheiden, daß
man nicht jubelt und daß ein Sarg und Klageweiber .dabei sind ist; lautes
Geschwätz und das Grelle der Farben sind dieselben.

Daß es aber möglich ist, in Irland wie in den vernachlässigten Land¬
schaften Deutschlands z. B. in Oberschlesien, das Volk zum Besseren zu ziehen und
aus Schmuz, Trägheit und Unwissenheit hervorzuheben, das haben auch dort
einzelne Männer bewiesen, denen die Besserstellung ihrer Tenants warm am
Herzen liegt und die bedeutende Geldopfer nicht gescheut haben, um den Uebeln,
soweit sie in ihren Kreis fallen, abzuhelfen. Einen dieser Männer lernte ich
selbst kennen und lieben, und ich halte es für eine angenehme Pflicht, Ihren
Lesern eine kurze Skizze seiner Thätigkeit zu geben. Lord George Hill, ein
Jrländer von Geburt, kennt die Leiden der Iren und ihre Ursachen aus dem
Grunde. Er entsagte dem Militärstande und machte es zur Ausgabe seines
übrigen Lebens, seinen Landsleuten zu zeigen, wie nur Fleiß, guter Wille
und Ausdauer nöthig sind, Dürftigkeit und Elend in Wohlstand und Blüte
umzuschaffen. Es ist dieses für ihn um so verdienstlicher, da ihm als einem
jüngeren Sohn des Marquis of Downshire nur ein bescheidener Theil Ver¬
mögen zugefallen und seine Geldaufwendungen daher wahre Opfer sind. Er
kaufte zu Anfang der vierziger Jahre den District Gwedore an der Küste in
der County of Donegal an. Der Zustand dieses verwahrlosten Striches war
damals abscheulich, Erdhütten im Torfmoor, Elend,. Hunger, hohläugige, zer¬
lumpte, verkommende Kreaturen. Lord George, bis dahin gewohnt, in einem Palaste
zu leben, verschmähte es nicht, denselben für ein Jahr mit einer Hütte zu vertau¬
schen, um mitten unter dem Elende dessen Hauptursachen an Ort und Stelle zu
ergründen und ihm durch persönlichen Einfluß desto leichter abhelfen zu können.
Theilweise zu diesem Zwecke hatte er auch vorher das Irische insoweit erlernt,
sich verständlich zu machen, wegen welcher Kenntniß er freilich zuerst zu hören
hatte, daß er wol kein Lord sein könne. (Die Leute dort halten ihre Sprache
für eines höheren Ranges unwürdig.) Zunächst fand Lord George, daß dir
vorhandene übliche Art und Weise, das Land in strenger Gleichvertheilung auf
die Kinder zu vererben, allem Aufkommen entgegenstehe, und wirkte darum die¬
sem Gebrauche, der übrigens allerdings nur ein Ausfluß des natürlichen Ge¬
fühls für Recht ist, mit aller Kraft entgegen. Man nennt diese'Vertheilung
und Untervertheilung runäals. Sie wird in der Weise bewerkstelligt, daß
man je nach der Art und Beschaffenheit deS Bodens verschiedene Loose macht
und jedes in soviele genau gleiche Theile zerlegt, als Kinder/ da sind, In


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[0437] Schultern und mit hinkenden Beinen nach Hanse zurück. Oeffentliche bunte Aufzüge liebt der Jrländer über alles und da Processionen ihrer oft traurigen Ausgänge willen verboten sind, so benutzt er jede andre Gelegenheit, diesem Ge¬ lüste zu genügen. Neben glänzenden Hochzeitzügen findet man darum ebenso glänzende Leichenzuge, die sich von jenen nur dadurch unterscheiden, daß man nicht jubelt und daß ein Sarg und Klageweiber .dabei sind ist; lautes Geschwätz und das Grelle der Farben sind dieselben. Daß es aber möglich ist, in Irland wie in den vernachlässigten Land¬ schaften Deutschlands z. B. in Oberschlesien, das Volk zum Besseren zu ziehen und aus Schmuz, Trägheit und Unwissenheit hervorzuheben, das haben auch dort einzelne Männer bewiesen, denen die Besserstellung ihrer Tenants warm am Herzen liegt und die bedeutende Geldopfer nicht gescheut haben, um den Uebeln, soweit sie in ihren Kreis fallen, abzuhelfen. Einen dieser Männer lernte ich selbst kennen und lieben, und ich halte es für eine angenehme Pflicht, Ihren Lesern eine kurze Skizze seiner Thätigkeit zu geben. Lord George Hill, ein Jrländer von Geburt, kennt die Leiden der Iren und ihre Ursachen aus dem Grunde. Er entsagte dem Militärstande und machte es zur Ausgabe seines übrigen Lebens, seinen Landsleuten zu zeigen, wie nur Fleiß, guter Wille und Ausdauer nöthig sind, Dürftigkeit und Elend in Wohlstand und Blüte umzuschaffen. Es ist dieses für ihn um so verdienstlicher, da ihm als einem jüngeren Sohn des Marquis of Downshire nur ein bescheidener Theil Ver¬ mögen zugefallen und seine Geldaufwendungen daher wahre Opfer sind. Er kaufte zu Anfang der vierziger Jahre den District Gwedore an der Küste in der County of Donegal an. Der Zustand dieses verwahrlosten Striches war damals abscheulich, Erdhütten im Torfmoor, Elend,. Hunger, hohläugige, zer¬ lumpte, verkommende Kreaturen. Lord George, bis dahin gewohnt, in einem Palaste zu leben, verschmähte es nicht, denselben für ein Jahr mit einer Hütte zu vertau¬ schen, um mitten unter dem Elende dessen Hauptursachen an Ort und Stelle zu ergründen und ihm durch persönlichen Einfluß desto leichter abhelfen zu können. Theilweise zu diesem Zwecke hatte er auch vorher das Irische insoweit erlernt, sich verständlich zu machen, wegen welcher Kenntniß er freilich zuerst zu hören hatte, daß er wol kein Lord sein könne. (Die Leute dort halten ihre Sprache für eines höheren Ranges unwürdig.) Zunächst fand Lord George, daß dir vorhandene übliche Art und Weise, das Land in strenger Gleichvertheilung auf die Kinder zu vererben, allem Aufkommen entgegenstehe, und wirkte darum die¬ sem Gebrauche, der übrigens allerdings nur ein Ausfluß des natürlichen Ge¬ fühls für Recht ist, mit aller Kraft entgegen. Man nennt diese'Vertheilung und Untervertheilung runäals. Sie wird in der Weise bewerkstelligt, daß man je nach der Art und Beschaffenheit deS Bodens verschiedene Loose macht und jedes in soviele genau gleiche Theile zerlegt, als Kinder/ da sind, In

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/437>, abgerufen am 26.06.2024.