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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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In Uebereinstimmung mit diesem Charakterzüge ist auch die Ausdrucks¬
weise des Irländers, die ihm sowol im Englischen als im Irischen eigen
und die ein lebhaft poetisches Gemüth bekundet, dem es mehr auf Schmuck,
denn aus Wahrheit ankommt. Statt zu sagen: "Er kam in der Nacht" sagt er
vielmehr: "Er kam in den Wolken der Nacht"; statt: "ES regnet stark" hört
man: "Die Fenster des Himmels sind offen." Allen Dingen gibt man hoch¬
klingende und übertreibende Namen. Ein gewöhnlicher Krämer nennt seine
paar Ballen und Fässer ein "Waarenlager", ein Apotheker seinen Laden eine
"Medicinische Halle"; eine kleine Fußtour nennt man eine Reise, ein besseres
Haus mit den Nebengebäuden eine Stadt, das Haus selbst ein Schloß, die
Straße davor einen Platz. --

Die Sitten, die natürlich in den größern und kleinern Städten fast ganz
den englischen Charakter angenommen haben, sind auf dem platten Lande
und besonders an den Küsten theilweise von seltsamer Eigenthümlichkeit
und lassen in Uebereinstimmung mit der irischen Sprache anziehenden Be¬
trachtungen und Muthmaßungen über Abstammung und Herkunft der Jrländer
Raum. Es ist schon erwähnt, wie man an ausgezeichneten Tagen, wozu
namentlich die Markttage zu rechnen sind, liebt, sich in möglichsten Staat zu
werfen und wie man die grellen und auffallenden Farben vorzieht. Wenn¬
gleich letzteres stets bei ungebildeten Geschmacke zu finden, so ist es doch
ganz ausnehmend stark in Irland zu Hause. Die bei der Nacktheit des Lan¬
des oft aus viele Meilen sichtbaren Wege gleichen an Markttagen den Regen¬
bogen an Buntheit der Farben, nur daß Roth und Blau vorherrschen. Und
nicht blos die Frauen und Mädchen gleichen dann den kühngefärbten Schmet¬
terlingen der heißen Zone, auch die Männer und Burschen sehen zu¬
weilen von Kopf bis zu Fuß blutroth, oder halb roth, halb grasgrün, oder
grellblau aus. (Der Stoff ihrer Kleidung ist meist ein selbstgefertigtes Wollenzeug.)
Man.staunt nebenbei darüber, wo alle die Leute herkommen, da die Hütten
immer nur hier und da zu sehen. Sie kommen fünfzehn bis zwanzig irische
Meilen weit zu dem Marktorte, welcher gewöhnlich ein Platz im freien Felde
in der Nähe einiger Häuser ist, die man in der gewohnten und geliebten
Uebertreibung eine door (Stadt) nennt. Dort haben die wenigsten etwas zu
kaufen oder zu verkaufen; man will nur gaffen und schwatzen, Whisky sich zu
Gemüthe führen und sich hinterher raufen. Die fünf bis sechs vorhandenen
Buden oder Tische mit elenden Dingen, die 20 bis 30 Schweine, Gänse und
Kühe zeigen bei den laufenden von Menschen, die sich kaum um jene kümmern,
auf den ersten Blick, daß die genannten letztern Zwecke die hauptsächlichsten
sind. In der That ist man an den blutigen Ausgang der Märkte so gewöhnt,
daß man immer Polizei in bedeutender Stärke dorthin beordert, um ernstlichere
Folgen zu verhüten. Trotzdem wandeln .stets viele mit wunden Schädeln und


In Uebereinstimmung mit diesem Charakterzüge ist auch die Ausdrucks¬
weise des Irländers, die ihm sowol im Englischen als im Irischen eigen
und die ein lebhaft poetisches Gemüth bekundet, dem es mehr auf Schmuck,
denn aus Wahrheit ankommt. Statt zu sagen: „Er kam in der Nacht" sagt er
vielmehr: „Er kam in den Wolken der Nacht"; statt: „ES regnet stark" hört
man: „Die Fenster des Himmels sind offen." Allen Dingen gibt man hoch¬
klingende und übertreibende Namen. Ein gewöhnlicher Krämer nennt seine
paar Ballen und Fässer ein „Waarenlager", ein Apotheker seinen Laden eine
„Medicinische Halle"; eine kleine Fußtour nennt man eine Reise, ein besseres
Haus mit den Nebengebäuden eine Stadt, das Haus selbst ein Schloß, die
Straße davor einen Platz. —

Die Sitten, die natürlich in den größern und kleinern Städten fast ganz
den englischen Charakter angenommen haben, sind auf dem platten Lande
und besonders an den Küsten theilweise von seltsamer Eigenthümlichkeit
und lassen in Uebereinstimmung mit der irischen Sprache anziehenden Be¬
trachtungen und Muthmaßungen über Abstammung und Herkunft der Jrländer
Raum. Es ist schon erwähnt, wie man an ausgezeichneten Tagen, wozu
namentlich die Markttage zu rechnen sind, liebt, sich in möglichsten Staat zu
werfen und wie man die grellen und auffallenden Farben vorzieht. Wenn¬
gleich letzteres stets bei ungebildeten Geschmacke zu finden, so ist es doch
ganz ausnehmend stark in Irland zu Hause. Die bei der Nacktheit des Lan¬
des oft aus viele Meilen sichtbaren Wege gleichen an Markttagen den Regen¬
bogen an Buntheit der Farben, nur daß Roth und Blau vorherrschen. Und
nicht blos die Frauen und Mädchen gleichen dann den kühngefärbten Schmet¬
terlingen der heißen Zone, auch die Männer und Burschen sehen zu¬
weilen von Kopf bis zu Fuß blutroth, oder halb roth, halb grasgrün, oder
grellblau aus. (Der Stoff ihrer Kleidung ist meist ein selbstgefertigtes Wollenzeug.)
Man.staunt nebenbei darüber, wo alle die Leute herkommen, da die Hütten
immer nur hier und da zu sehen. Sie kommen fünfzehn bis zwanzig irische
Meilen weit zu dem Marktorte, welcher gewöhnlich ein Platz im freien Felde
in der Nähe einiger Häuser ist, die man in der gewohnten und geliebten
Uebertreibung eine door (Stadt) nennt. Dort haben die wenigsten etwas zu
kaufen oder zu verkaufen; man will nur gaffen und schwatzen, Whisky sich zu
Gemüthe führen und sich hinterher raufen. Die fünf bis sechs vorhandenen
Buden oder Tische mit elenden Dingen, die 20 bis 30 Schweine, Gänse und
Kühe zeigen bei den laufenden von Menschen, die sich kaum um jene kümmern,
auf den ersten Blick, daß die genannten letztern Zwecke die hauptsächlichsten
sind. In der That ist man an den blutigen Ausgang der Märkte so gewöhnt,
daß man immer Polizei in bedeutender Stärke dorthin beordert, um ernstlichere
Folgen zu verhüten. Trotzdem wandeln .stets viele mit wunden Schädeln und


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[0436] In Uebereinstimmung mit diesem Charakterzüge ist auch die Ausdrucks¬ weise des Irländers, die ihm sowol im Englischen als im Irischen eigen und die ein lebhaft poetisches Gemüth bekundet, dem es mehr auf Schmuck, denn aus Wahrheit ankommt. Statt zu sagen: „Er kam in der Nacht" sagt er vielmehr: „Er kam in den Wolken der Nacht"; statt: „ES regnet stark" hört man: „Die Fenster des Himmels sind offen." Allen Dingen gibt man hoch¬ klingende und übertreibende Namen. Ein gewöhnlicher Krämer nennt seine paar Ballen und Fässer ein „Waarenlager", ein Apotheker seinen Laden eine „Medicinische Halle"; eine kleine Fußtour nennt man eine Reise, ein besseres Haus mit den Nebengebäuden eine Stadt, das Haus selbst ein Schloß, die Straße davor einen Platz. — Die Sitten, die natürlich in den größern und kleinern Städten fast ganz den englischen Charakter angenommen haben, sind auf dem platten Lande und besonders an den Küsten theilweise von seltsamer Eigenthümlichkeit und lassen in Uebereinstimmung mit der irischen Sprache anziehenden Be¬ trachtungen und Muthmaßungen über Abstammung und Herkunft der Jrländer Raum. Es ist schon erwähnt, wie man an ausgezeichneten Tagen, wozu namentlich die Markttage zu rechnen sind, liebt, sich in möglichsten Staat zu werfen und wie man die grellen und auffallenden Farben vorzieht. Wenn¬ gleich letzteres stets bei ungebildeten Geschmacke zu finden, so ist es doch ganz ausnehmend stark in Irland zu Hause. Die bei der Nacktheit des Lan¬ des oft aus viele Meilen sichtbaren Wege gleichen an Markttagen den Regen¬ bogen an Buntheit der Farben, nur daß Roth und Blau vorherrschen. Und nicht blos die Frauen und Mädchen gleichen dann den kühngefärbten Schmet¬ terlingen der heißen Zone, auch die Männer und Burschen sehen zu¬ weilen von Kopf bis zu Fuß blutroth, oder halb roth, halb grasgrün, oder grellblau aus. (Der Stoff ihrer Kleidung ist meist ein selbstgefertigtes Wollenzeug.) Man.staunt nebenbei darüber, wo alle die Leute herkommen, da die Hütten immer nur hier und da zu sehen. Sie kommen fünfzehn bis zwanzig irische Meilen weit zu dem Marktorte, welcher gewöhnlich ein Platz im freien Felde in der Nähe einiger Häuser ist, die man in der gewohnten und geliebten Uebertreibung eine door (Stadt) nennt. Dort haben die wenigsten etwas zu kaufen oder zu verkaufen; man will nur gaffen und schwatzen, Whisky sich zu Gemüthe führen und sich hinterher raufen. Die fünf bis sechs vorhandenen Buden oder Tische mit elenden Dingen, die 20 bis 30 Schweine, Gänse und Kühe zeigen bei den laufenden von Menschen, die sich kaum um jene kümmern, auf den ersten Blick, daß die genannten letztern Zwecke die hauptsächlichsten sind. In der That ist man an den blutigen Ausgang der Märkte so gewöhnt, daß man immer Polizei in bedeutender Stärke dorthin beordert, um ernstlichere Folgen zu verhüten. Trotzdem wandeln .stets viele mit wunden Schädeln und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/436>, abgerufen am 26.06.2024.