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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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ganz und gar verloren ist, weiß ihn der Jrländer ausgezeichnet zu erfassen
und zu würdigen. Wortspiele, groblustige Bemerkungen mit erläuternden
Püffen und Fratzen begleitet, die den Engländer schlechteren und besseren
Geschmackes sehr vergnügen, lassen dagegen im allgemeinen den Jrländer
kalt. -- Von dem Engländer unterscheidet er sich durch seine Lebhaftigkeit und
Heiterkeit der Stimmung ganz und gar und verräth dagegen durch diese
Eigenschaften, sowie durch leichte Erhitzung des Gemüthes große Verwandt¬
schaft mit dem Franzosen. Er ist sehr aristokratisch, unterscheivet sehr bedeutend
zwischen dem real xenUöMAli, d. h, dem durch adlige Geburt Ausgezeichneten
und dem bloßen Geldmanne oder dem neugeadelten und Emporkömmling.
Dieses geht soweit, daß er Leute, bei denen die treu fortgepflanzte Ueber¬
lieferung e^me edle Abstammung oder sogar -eine Verwandtschaft mit einem der
vielen ehemaligen Häuptlinge oder Könige nachweist, wenngleich sie jetzt in
bescheidenen Verhältnissen leben, mit großer Achtung und selbst Auszeichnung
behandelt. Ein o",ist-^uarc> (Küstenwächter) in Gwedore sah mit Verwunderung,
wie seine Nachbarn ausnahmsweise seiner Kuh gestatteten, auf ihren Weide¬
plätzen zu grasen. Er bedankte sich eines Tags bei einem derselben sür die so
bewiesene Güte. "O, entgegnete dieser, glauben Sie nicht, daß es um Ihret¬
willen geschieht; es ist um Ihrer Frau willen, denn sie ist eine von den
ODonnells (ODonnell war ein König in dieser Gegend) und die Gollaghers
waren die Stallwärter der ODonnels." (Der besagte Nachbar war ein
Gollagher.) Der Verfasser dieses kennt mehre Leute, die sich ähnlicher Auf¬
merksamkeit erfreuen, ohne es übrigens durch ihre Stellung und Eigenschaften
zu verdienen, wogegen er gesehen hat, daß man einen reichen und in vieler
Hinsicht bedeutenden Herrn öffentlich verlachte, weil er sich einen Bedienten
nachreiten ließ und weil er solchen Stil des Lebens nur seinen Erbschaften
dankt. Ein nicht sehr empfehlender Zug des irischen Charakters ist der
Mangel an Geradheit und , Offenheit und seine Neigung zu Ränken,
wobei eine bedeutende Schlauheit, mit Mißtrauen gepaart, dem Einzelnen wie
dem Lande mehr verderblich als nützlich wird. Fast nie gibt der Jrländer auf
eine einfache Frage eine einfache Antwort; immer ist eine Klausel oder eine
Zurückhaltung dabei. Man hört selten dort ein bloßes "Ja" oder "Nein",
sondern fast immer folgt ein Schwanz von Bedingungen oder geht ein schlauer
Kopfsatz ausnehmender Bemerkungen voraus. Dasselbe ist im ganzen Verkehr
des Lebens dort der Fall. Keine Maßregel Einzelner oder der Negierung wird
als offen und ehrlich gemeint aufgenommen, sondern immer geheimen selbst¬
süchtigen Gründen der Handelnden zugeschrieben und solange wirkt man einer
Sache heimlich entgegen, bis man sich von ihrem Vortheile oder wenigstens ihrer
Harmlosigkeit auf eignen, krummen Wegen überzeugt hat. Manches gute Bemühen
englischerseits ist so erfolglos geblieben oder in daS Gegentheil umgeschlagen,


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ganz und gar verloren ist, weiß ihn der Jrländer ausgezeichnet zu erfassen
und zu würdigen. Wortspiele, groblustige Bemerkungen mit erläuternden
Püffen und Fratzen begleitet, die den Engländer schlechteren und besseren
Geschmackes sehr vergnügen, lassen dagegen im allgemeinen den Jrländer
kalt. — Von dem Engländer unterscheidet er sich durch seine Lebhaftigkeit und
Heiterkeit der Stimmung ganz und gar und verräth dagegen durch diese
Eigenschaften, sowie durch leichte Erhitzung des Gemüthes große Verwandt¬
schaft mit dem Franzosen. Er ist sehr aristokratisch, unterscheivet sehr bedeutend
zwischen dem real xenUöMAli, d. h, dem durch adlige Geburt Ausgezeichneten
und dem bloßen Geldmanne oder dem neugeadelten und Emporkömmling.
Dieses geht soweit, daß er Leute, bei denen die treu fortgepflanzte Ueber¬
lieferung e^me edle Abstammung oder sogar -eine Verwandtschaft mit einem der
vielen ehemaligen Häuptlinge oder Könige nachweist, wenngleich sie jetzt in
bescheidenen Verhältnissen leben, mit großer Achtung und selbst Auszeichnung
behandelt. Ein o»,ist-^uarc> (Küstenwächter) in Gwedore sah mit Verwunderung,
wie seine Nachbarn ausnahmsweise seiner Kuh gestatteten, auf ihren Weide¬
plätzen zu grasen. Er bedankte sich eines Tags bei einem derselben sür die so
bewiesene Güte. „O, entgegnete dieser, glauben Sie nicht, daß es um Ihret¬
willen geschieht; es ist um Ihrer Frau willen, denn sie ist eine von den
ODonnells (ODonnell war ein König in dieser Gegend) und die Gollaghers
waren die Stallwärter der ODonnels." (Der besagte Nachbar war ein
Gollagher.) Der Verfasser dieses kennt mehre Leute, die sich ähnlicher Auf¬
merksamkeit erfreuen, ohne es übrigens durch ihre Stellung und Eigenschaften
zu verdienen, wogegen er gesehen hat, daß man einen reichen und in vieler
Hinsicht bedeutenden Herrn öffentlich verlachte, weil er sich einen Bedienten
nachreiten ließ und weil er solchen Stil des Lebens nur seinen Erbschaften
dankt. Ein nicht sehr empfehlender Zug des irischen Charakters ist der
Mangel an Geradheit und , Offenheit und seine Neigung zu Ränken,
wobei eine bedeutende Schlauheit, mit Mißtrauen gepaart, dem Einzelnen wie
dem Lande mehr verderblich als nützlich wird. Fast nie gibt der Jrländer auf
eine einfache Frage eine einfache Antwort; immer ist eine Klausel oder eine
Zurückhaltung dabei. Man hört selten dort ein bloßes „Ja" oder „Nein",
sondern fast immer folgt ein Schwanz von Bedingungen oder geht ein schlauer
Kopfsatz ausnehmender Bemerkungen voraus. Dasselbe ist im ganzen Verkehr
des Lebens dort der Fall. Keine Maßregel Einzelner oder der Negierung wird
als offen und ehrlich gemeint aufgenommen, sondern immer geheimen selbst¬
süchtigen Gründen der Handelnden zugeschrieben und solange wirkt man einer
Sache heimlich entgegen, bis man sich von ihrem Vortheile oder wenigstens ihrer
Harmlosigkeit auf eignen, krummen Wegen überzeugt hat. Manches gute Bemühen
englischerseits ist so erfolglos geblieben oder in daS Gegentheil umgeschlagen,


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[0435] ganz und gar verloren ist, weiß ihn der Jrländer ausgezeichnet zu erfassen und zu würdigen. Wortspiele, groblustige Bemerkungen mit erläuternden Püffen und Fratzen begleitet, die den Engländer schlechteren und besseren Geschmackes sehr vergnügen, lassen dagegen im allgemeinen den Jrländer kalt. — Von dem Engländer unterscheidet er sich durch seine Lebhaftigkeit und Heiterkeit der Stimmung ganz und gar und verräth dagegen durch diese Eigenschaften, sowie durch leichte Erhitzung des Gemüthes große Verwandt¬ schaft mit dem Franzosen. Er ist sehr aristokratisch, unterscheivet sehr bedeutend zwischen dem real xenUöMAli, d. h, dem durch adlige Geburt Ausgezeichneten und dem bloßen Geldmanne oder dem neugeadelten und Emporkömmling. Dieses geht soweit, daß er Leute, bei denen die treu fortgepflanzte Ueber¬ lieferung e^me edle Abstammung oder sogar -eine Verwandtschaft mit einem der vielen ehemaligen Häuptlinge oder Könige nachweist, wenngleich sie jetzt in bescheidenen Verhältnissen leben, mit großer Achtung und selbst Auszeichnung behandelt. Ein o»,ist-^uarc> (Küstenwächter) in Gwedore sah mit Verwunderung, wie seine Nachbarn ausnahmsweise seiner Kuh gestatteten, auf ihren Weide¬ plätzen zu grasen. Er bedankte sich eines Tags bei einem derselben sür die so bewiesene Güte. „O, entgegnete dieser, glauben Sie nicht, daß es um Ihret¬ willen geschieht; es ist um Ihrer Frau willen, denn sie ist eine von den ODonnells (ODonnell war ein König in dieser Gegend) und die Gollaghers waren die Stallwärter der ODonnels." (Der besagte Nachbar war ein Gollagher.) Der Verfasser dieses kennt mehre Leute, die sich ähnlicher Auf¬ merksamkeit erfreuen, ohne es übrigens durch ihre Stellung und Eigenschaften zu verdienen, wogegen er gesehen hat, daß man einen reichen und in vieler Hinsicht bedeutenden Herrn öffentlich verlachte, weil er sich einen Bedienten nachreiten ließ und weil er solchen Stil des Lebens nur seinen Erbschaften dankt. Ein nicht sehr empfehlender Zug des irischen Charakters ist der Mangel an Geradheit und , Offenheit und seine Neigung zu Ränken, wobei eine bedeutende Schlauheit, mit Mißtrauen gepaart, dem Einzelnen wie dem Lande mehr verderblich als nützlich wird. Fast nie gibt der Jrländer auf eine einfache Frage eine einfache Antwort; immer ist eine Klausel oder eine Zurückhaltung dabei. Man hört selten dort ein bloßes „Ja" oder „Nein", sondern fast immer folgt ein Schwanz von Bedingungen oder geht ein schlauer Kopfsatz ausnehmender Bemerkungen voraus. Dasselbe ist im ganzen Verkehr des Lebens dort der Fall. Keine Maßregel Einzelner oder der Negierung wird als offen und ehrlich gemeint aufgenommen, sondern immer geheimen selbst¬ süchtigen Gründen der Handelnden zugeschrieben und solange wirkt man einer Sache heimlich entgegen, bis man sich von ihrem Vortheile oder wenigstens ihrer Harmlosigkeit auf eignen, krummen Wegen überzeugt hat. Manches gute Bemühen englischerseits ist so erfolglos geblieben oder in daS Gegentheil umgeschlagen, 5i*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/435>, abgerufen am 26.06.2024.