Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Heldengeschichten zum tausendsten Male widerholend, sitzen zu können. Echt
irländische Leute von Fleiß und Tüchtigkeit sind höchst selten. Ebenso fehlen
dem Jrländer die Gabe der Voraussicht und Berechnung, der Muth, etwas aufs
Spiel zu setzen, um Besseres zu gewinnen, welche Eigenschaften den Engländer
so besonders auszeichnen und reich gemacht haben. Zu einem augenblicklichen,
durchaus sicheren Erwerb, aber auch nur zu einem solchen, ist der irische
Kaufmann und Gewerdtreibende stets aufgelegt; was aber nicht so nahe¬
liegt, etwas zweifelhaft in Bezug auf Nutzen ist und Wagniß erfordert,
das läßt er. Daher sind alle Kaufleute echt irländischen Blutes nur Klein-
krämer, alle Fabrikbesitzer eigentlich nur Handwerker; daher kommt kein Berg¬
bau auf, daher liegen alle Unternehmungen größeren Belanges in fremder
Hand und nur die Ausstellung in Dublin ist ein Beispiel des Gegentheiles.
Daneben gehen dem Jrländer Beharrlichkeit und Ausdauer, jene für gutes
Fortkommen so nothwendigen Eigenschaften, ganz ab, nicht blos in größeren,
sondern selbst in den kleinsten alltäglichen Dingen. Ein alter irländischer
Major erzählte dem Schreiber dieser Zeilen, daß er und seine Kollegen
' infolge dieser Eigenschaft der Soldaten jeden Morgen nach dem Gruße die Er¬
mahnung zu wiederholen pflegten: ,,Vo^8, ont^ to-ela^ Keep ^ourselves pro-
perl?!" iJungenö, nur .heute betragt euch anständig!)

Der Besucher Irlands wird durch seinen Verkehr mit der geringern Classe,
denn diese stellt allenthalben den Grundzug eines Volkes am reinsten dar, für
manches Unangenehme in der äußern Erscheinung' des Landes und Lebens
reichlich entschädigt und mit vielem ausgesöhnt. ,,^c>u ars nelcoms!" (Sie
sind willkommen) ruft ihm ein jeder Arbeiter im Felde, ein jeder Steinklopfer
am Wege, der seinen zeitweiligen Aufenthaltsort kennt, zu. Tritt er in eine
Hütte, um sich etwa sein Pfeifchen anzuzünden oder auch, um das Innere der¬
selben zu beschauen, so sagt ihm die Hausfrau, schnell einen Schemel herbei¬
holend, rin der freundlichsten Miene von der Well, in der eignen übertrei¬
bender Weise der irischen Sprache: "Hunderttausendmal willkommen, Fremd¬
ling!" und wenn er dann nicht kalt und zurückhaltend thut und irisch
versteht, so kann er in den nächsten fünf Minuten das lustigste Geplauder
mit der ganzen Familie im Gange haben. Alles theilt man mit ihm, wenn
er es bedarf und wünscht. Die irische Gastfreundlichkeit kennt kaum Grenzen
und erwartet in Erwiderung nur die besten und neuesten Reuigkeiten und gute,
lange, grausige Geschichten. Wenn der Fremde stark darin ist und Zeit zu
verlieren hat, so kann er, vielleicht im Flusse seiner Erzählung sich' einmal vom
Feuer umkehrend, sehen, wie sich seine Zuhörerschaft ganz still und leise auf
das doppelte und dreifache vermehrt hat und macht er dann, erstaunt, vielleicht
eine Pause, so heißen ihn alle neu hinzugeschlichenen Nachbarn und Nach¬
barinnen ebenfalls "hunderttausendmäl willkommen". Hat er geendet, so be-


Grenzboten. I. 18L.S. , ö4

Heldengeschichten zum tausendsten Male widerholend, sitzen zu können. Echt
irländische Leute von Fleiß und Tüchtigkeit sind höchst selten. Ebenso fehlen
dem Jrländer die Gabe der Voraussicht und Berechnung, der Muth, etwas aufs
Spiel zu setzen, um Besseres zu gewinnen, welche Eigenschaften den Engländer
so besonders auszeichnen und reich gemacht haben. Zu einem augenblicklichen,
durchaus sicheren Erwerb, aber auch nur zu einem solchen, ist der irische
Kaufmann und Gewerdtreibende stets aufgelegt; was aber nicht so nahe¬
liegt, etwas zweifelhaft in Bezug auf Nutzen ist und Wagniß erfordert,
das läßt er. Daher sind alle Kaufleute echt irländischen Blutes nur Klein-
krämer, alle Fabrikbesitzer eigentlich nur Handwerker; daher kommt kein Berg¬
bau auf, daher liegen alle Unternehmungen größeren Belanges in fremder
Hand und nur die Ausstellung in Dublin ist ein Beispiel des Gegentheiles.
Daneben gehen dem Jrländer Beharrlichkeit und Ausdauer, jene für gutes
Fortkommen so nothwendigen Eigenschaften, ganz ab, nicht blos in größeren,
sondern selbst in den kleinsten alltäglichen Dingen. Ein alter irländischer
Major erzählte dem Schreiber dieser Zeilen, daß er und seine Kollegen
' infolge dieser Eigenschaft der Soldaten jeden Morgen nach dem Gruße die Er¬
mahnung zu wiederholen pflegten: ,,Vo^8, ont^ to-ela^ Keep ^ourselves pro-
perl?!" iJungenö, nur .heute betragt euch anständig!)

Der Besucher Irlands wird durch seinen Verkehr mit der geringern Classe,
denn diese stellt allenthalben den Grundzug eines Volkes am reinsten dar, für
manches Unangenehme in der äußern Erscheinung' des Landes und Lebens
reichlich entschädigt und mit vielem ausgesöhnt. ,,^c>u ars nelcoms!" (Sie
sind willkommen) ruft ihm ein jeder Arbeiter im Felde, ein jeder Steinklopfer
am Wege, der seinen zeitweiligen Aufenthaltsort kennt, zu. Tritt er in eine
Hütte, um sich etwa sein Pfeifchen anzuzünden oder auch, um das Innere der¬
selben zu beschauen, so sagt ihm die Hausfrau, schnell einen Schemel herbei¬
holend, rin der freundlichsten Miene von der Well, in der eignen übertrei¬
bender Weise der irischen Sprache: „Hunderttausendmal willkommen, Fremd¬
ling!" und wenn er dann nicht kalt und zurückhaltend thut und irisch
versteht, so kann er in den nächsten fünf Minuten das lustigste Geplauder
mit der ganzen Familie im Gange haben. Alles theilt man mit ihm, wenn
er es bedarf und wünscht. Die irische Gastfreundlichkeit kennt kaum Grenzen
und erwartet in Erwiderung nur die besten und neuesten Reuigkeiten und gute,
lange, grausige Geschichten. Wenn der Fremde stark darin ist und Zeit zu
verlieren hat, so kann er, vielleicht im Flusse seiner Erzählung sich' einmal vom
Feuer umkehrend, sehen, wie sich seine Zuhörerschaft ganz still und leise auf
das doppelte und dreifache vermehrt hat und macht er dann, erstaunt, vielleicht
eine Pause, so heißen ihn alle neu hinzugeschlichenen Nachbarn und Nach¬
barinnen ebenfalls „hunderttausendmäl willkommen". Hat er geendet, so be-


Grenzboten. I. 18L.S. , ö4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0433" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/99285"/>
          <p xml:id="ID_1514" prev="#ID_1513"> Heldengeschichten zum tausendsten Male widerholend, sitzen zu können. Echt<lb/>
irländische Leute von Fleiß und Tüchtigkeit sind höchst selten. Ebenso fehlen<lb/>
dem Jrländer die Gabe der Voraussicht und Berechnung, der Muth, etwas aufs<lb/>
Spiel zu setzen, um Besseres zu gewinnen, welche Eigenschaften den Engländer<lb/>
so besonders auszeichnen und reich gemacht haben. Zu einem augenblicklichen,<lb/>
durchaus sicheren Erwerb, aber auch nur zu einem solchen, ist der irische<lb/>
Kaufmann und Gewerdtreibende stets aufgelegt; was aber nicht so nahe¬<lb/>
liegt, etwas zweifelhaft in Bezug auf Nutzen ist und Wagniß erfordert,<lb/>
das läßt er. Daher sind alle Kaufleute echt irländischen Blutes nur Klein-<lb/>
krämer, alle Fabrikbesitzer eigentlich nur Handwerker; daher kommt kein Berg¬<lb/>
bau auf, daher liegen alle Unternehmungen größeren Belanges in fremder<lb/>
Hand und nur die Ausstellung in Dublin ist ein Beispiel des Gegentheiles.<lb/>
Daneben gehen dem Jrländer Beharrlichkeit und Ausdauer, jene für gutes<lb/>
Fortkommen so nothwendigen Eigenschaften, ganz ab, nicht blos in größeren,<lb/>
sondern selbst in den kleinsten alltäglichen Dingen. Ein alter irländischer<lb/>
Major erzählte dem Schreiber dieser Zeilen, daß er und seine Kollegen<lb/>
' infolge dieser Eigenschaft der Soldaten jeden Morgen nach dem Gruße die Er¬<lb/>
mahnung zu wiederholen pflegten: ,,Vo^8, ont^ to-ela^ Keep ^ourselves pro-<lb/>
perl?!" iJungenö, nur .heute betragt euch anständig!)</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1515" next="#ID_1516"> Der Besucher Irlands wird durch seinen Verkehr mit der geringern Classe,<lb/>
denn diese stellt allenthalben den Grundzug eines Volkes am reinsten dar, für<lb/>
manches Unangenehme in der äußern Erscheinung' des Landes und Lebens<lb/>
reichlich entschädigt und mit vielem ausgesöhnt. ,,^c&gt;u ars nelcoms!" (Sie<lb/>
sind willkommen) ruft ihm ein jeder Arbeiter im Felde, ein jeder Steinklopfer<lb/>
am Wege, der seinen zeitweiligen Aufenthaltsort kennt, zu. Tritt er in eine<lb/>
Hütte, um sich etwa sein Pfeifchen anzuzünden oder auch, um das Innere der¬<lb/>
selben zu beschauen, so sagt ihm die Hausfrau, schnell einen Schemel herbei¬<lb/>
holend, rin der freundlichsten Miene von der Well, in der eignen übertrei¬<lb/>
bender Weise der irischen Sprache: &#x201E;Hunderttausendmal willkommen, Fremd¬<lb/>
ling!" und wenn er dann nicht kalt und zurückhaltend thut und irisch<lb/>
versteht, so kann er in den nächsten fünf Minuten das lustigste Geplauder<lb/>
mit der ganzen Familie im Gange haben. Alles theilt man mit ihm, wenn<lb/>
er es bedarf und wünscht. Die irische Gastfreundlichkeit kennt kaum Grenzen<lb/>
und erwartet in Erwiderung nur die besten und neuesten Reuigkeiten und gute,<lb/>
lange, grausige Geschichten. Wenn der Fremde stark darin ist und Zeit zu<lb/>
verlieren hat, so kann er, vielleicht im Flusse seiner Erzählung sich' einmal vom<lb/>
Feuer umkehrend, sehen, wie sich seine Zuhörerschaft ganz still und leise auf<lb/>
das doppelte und dreifache vermehrt hat und macht er dann, erstaunt, vielleicht<lb/>
eine Pause, so heißen ihn alle neu hinzugeschlichenen Nachbarn und Nach¬<lb/>
barinnen ebenfalls &#x201E;hunderttausendmäl willkommen". Hat er geendet, so be-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. I. 18L.S.    , ö4</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0433] Heldengeschichten zum tausendsten Male widerholend, sitzen zu können. Echt irländische Leute von Fleiß und Tüchtigkeit sind höchst selten. Ebenso fehlen dem Jrländer die Gabe der Voraussicht und Berechnung, der Muth, etwas aufs Spiel zu setzen, um Besseres zu gewinnen, welche Eigenschaften den Engländer so besonders auszeichnen und reich gemacht haben. Zu einem augenblicklichen, durchaus sicheren Erwerb, aber auch nur zu einem solchen, ist der irische Kaufmann und Gewerdtreibende stets aufgelegt; was aber nicht so nahe¬ liegt, etwas zweifelhaft in Bezug auf Nutzen ist und Wagniß erfordert, das läßt er. Daher sind alle Kaufleute echt irländischen Blutes nur Klein- krämer, alle Fabrikbesitzer eigentlich nur Handwerker; daher kommt kein Berg¬ bau auf, daher liegen alle Unternehmungen größeren Belanges in fremder Hand und nur die Ausstellung in Dublin ist ein Beispiel des Gegentheiles. Daneben gehen dem Jrländer Beharrlichkeit und Ausdauer, jene für gutes Fortkommen so nothwendigen Eigenschaften, ganz ab, nicht blos in größeren, sondern selbst in den kleinsten alltäglichen Dingen. Ein alter irländischer Major erzählte dem Schreiber dieser Zeilen, daß er und seine Kollegen ' infolge dieser Eigenschaft der Soldaten jeden Morgen nach dem Gruße die Er¬ mahnung zu wiederholen pflegten: ,,Vo^8, ont^ to-ela^ Keep ^ourselves pro- perl?!" iJungenö, nur .heute betragt euch anständig!) Der Besucher Irlands wird durch seinen Verkehr mit der geringern Classe, denn diese stellt allenthalben den Grundzug eines Volkes am reinsten dar, für manches Unangenehme in der äußern Erscheinung' des Landes und Lebens reichlich entschädigt und mit vielem ausgesöhnt. ,,^c>u ars nelcoms!" (Sie sind willkommen) ruft ihm ein jeder Arbeiter im Felde, ein jeder Steinklopfer am Wege, der seinen zeitweiligen Aufenthaltsort kennt, zu. Tritt er in eine Hütte, um sich etwa sein Pfeifchen anzuzünden oder auch, um das Innere der¬ selben zu beschauen, so sagt ihm die Hausfrau, schnell einen Schemel herbei¬ holend, rin der freundlichsten Miene von der Well, in der eignen übertrei¬ bender Weise der irischen Sprache: „Hunderttausendmal willkommen, Fremd¬ ling!" und wenn er dann nicht kalt und zurückhaltend thut und irisch versteht, so kann er in den nächsten fünf Minuten das lustigste Geplauder mit der ganzen Familie im Gange haben. Alles theilt man mit ihm, wenn er es bedarf und wünscht. Die irische Gastfreundlichkeit kennt kaum Grenzen und erwartet in Erwiderung nur die besten und neuesten Reuigkeiten und gute, lange, grausige Geschichten. Wenn der Fremde stark darin ist und Zeit zu verlieren hat, so kann er, vielleicht im Flusse seiner Erzählung sich' einmal vom Feuer umkehrend, sehen, wie sich seine Zuhörerschaft ganz still und leise auf das doppelte und dreifache vermehrt hat und macht er dann, erstaunt, vielleicht eine Pause, so heißen ihn alle neu hinzugeschlichenen Nachbarn und Nach¬ barinnen ebenfalls „hunderttausendmäl willkommen". Hat er geendet, so be- Grenzboten. I. 18L.S. , ö4

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/433
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/433>, abgerufen am 26.06.2024.