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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Theile Irlands, die zur protestantischen Kirche gehören, der Fall, Wofür spricht
das? Der Protestant hört des Sonntags seinen Pastor, hört von ihm haupt¬
sächlich nur die Predigt, verkehrt mit ihm außerdem n.ur bei einem Familienfeste
oder bei ähnlicher Gelegenheit, betrachtet ihn im gewöhnlichen Leben nur als
einen Privatmann, der sich von ihm durch die Art des Erwerbes unterscheidet,
hat aber weiter nichts mit ihm zu thun; der Katholik in Irland dagegen kommt
seinem Priester gar nicht aus den Händen. Dieser ist sein Rath bei jeder
Gelegenheit, in allen Dingen. Das könnte als ein unendlicher Vortheil und als
eine Empfehlung für beider Gemüth erscheinen. Das letztere mag wirklich der Fall
sein, das erstere aber sicher nicht; denn die Priester sind dort durchgängig von einer
so mangelhaften Bildung (was ein wenig Verkehr mit ihnen sogleich zeigt),
daß sie sich wenig über den Bauer erheben; sie sind serner fast alle den
Besitzern und der englischen Regierung feindlich und suchen so stets alle Be¬
mühungen beider um Verbesserungen zum Nachtheile ihrer Pfarrkinder zu ver¬
eiteln; sie sind endlich in einem so hohen Grade von dem der Nation eignen
religiösen und politischen Fanatismus erfüllt, daß sie stets, statt begütigend und
besänftigend, im höchsten Grade aufregend wirken. Hunderte von Beispielen
haben das bewiesen. Mordthaten und Schändlichkeiten der gemeinsten Art hat
man in ihren Ursachen bis zur Kanzel, bis zum Beichtstuhle, bis zur geheimen
Berathung im Pfarrhause zu verfolgen Gelegenheit gehabt. Noch in der letzten
Zeit haben Scenen in Kapellen und Kirchen stattgefunden, die man nur in
den gemeinsten Kneipen für möglich halten würde. ES ist eine Thatsache, daß
sehr oft der katholische Priester statt der Predigt ein fanatisches und aufregen¬
des Localblatt vorliest und Betrachtungen anstellt, die sich nur'für Straßen¬
redner ziemen. Schlägereien im Gotteshause sind nicht selten. Was ist von
solchen Verhältnissen zu erwarten? So spärlich die Mittel zur Bildung der
unteren Elasse vorhanden sind, so sind die Priester noch stets bemüht, sie zu
verringern, um ihren vollen Einfluß zu erhalten, was um so leichter ist, als
die englischen Gesetze es den Eltern ganz und gar überlassen, die Kinder zur
Schule zu schicken ober nicht. Kann das Land so nur einen Schritt weiter¬
kommen? -- Beide vorerwähnten Umstände, Besitzlosigkeit und religiöse schlechte
Bevormundung, obschon sie an und für sich im höchsten Grade hemmend auf
den Wohlstand in Irland wirken, werben noch leider durch den Charakter deS
Volks unterstützt. Der Irländer würde eines stetigen Spornes zum Fleiße
und steter Überwachung und noch mehr strenger Anleitung zur Betriebsamkeit
bedürfen. Er ist zum Müßiggange, zu einer ihm mehr angenehmen als nutz-
. lichen Verwendung der Zeit geneigt. Lieber wohnt er schlecht, als daß er sich an die
leichte Wiederherstellung seiner Hütte macht; lieber geht er halb nackt, als baß
er eine geringe Ausbesserung seines Zeuges vornähme; lieber darbt er, als daß
er nicht an seinem Tvrffeuer bei einer schlechten Pfeife Tabak seine Heren- und


Theile Irlands, die zur protestantischen Kirche gehören, der Fall, Wofür spricht
das? Der Protestant hört des Sonntags seinen Pastor, hört von ihm haupt¬
sächlich nur die Predigt, verkehrt mit ihm außerdem n.ur bei einem Familienfeste
oder bei ähnlicher Gelegenheit, betrachtet ihn im gewöhnlichen Leben nur als
einen Privatmann, der sich von ihm durch die Art des Erwerbes unterscheidet,
hat aber weiter nichts mit ihm zu thun; der Katholik in Irland dagegen kommt
seinem Priester gar nicht aus den Händen. Dieser ist sein Rath bei jeder
Gelegenheit, in allen Dingen. Das könnte als ein unendlicher Vortheil und als
eine Empfehlung für beider Gemüth erscheinen. Das letztere mag wirklich der Fall
sein, das erstere aber sicher nicht; denn die Priester sind dort durchgängig von einer
so mangelhaften Bildung (was ein wenig Verkehr mit ihnen sogleich zeigt),
daß sie sich wenig über den Bauer erheben; sie sind serner fast alle den
Besitzern und der englischen Regierung feindlich und suchen so stets alle Be¬
mühungen beider um Verbesserungen zum Nachtheile ihrer Pfarrkinder zu ver¬
eiteln; sie sind endlich in einem so hohen Grade von dem der Nation eignen
religiösen und politischen Fanatismus erfüllt, daß sie stets, statt begütigend und
besänftigend, im höchsten Grade aufregend wirken. Hunderte von Beispielen
haben das bewiesen. Mordthaten und Schändlichkeiten der gemeinsten Art hat
man in ihren Ursachen bis zur Kanzel, bis zum Beichtstuhle, bis zur geheimen
Berathung im Pfarrhause zu verfolgen Gelegenheit gehabt. Noch in der letzten
Zeit haben Scenen in Kapellen und Kirchen stattgefunden, die man nur in
den gemeinsten Kneipen für möglich halten würde. ES ist eine Thatsache, daß
sehr oft der katholische Priester statt der Predigt ein fanatisches und aufregen¬
des Localblatt vorliest und Betrachtungen anstellt, die sich nur'für Straßen¬
redner ziemen. Schlägereien im Gotteshause sind nicht selten. Was ist von
solchen Verhältnissen zu erwarten? So spärlich die Mittel zur Bildung der
unteren Elasse vorhanden sind, so sind die Priester noch stets bemüht, sie zu
verringern, um ihren vollen Einfluß zu erhalten, was um so leichter ist, als
die englischen Gesetze es den Eltern ganz und gar überlassen, die Kinder zur
Schule zu schicken ober nicht. Kann das Land so nur einen Schritt weiter¬
kommen? — Beide vorerwähnten Umstände, Besitzlosigkeit und religiöse schlechte
Bevormundung, obschon sie an und für sich im höchsten Grade hemmend auf
den Wohlstand in Irland wirken, werben noch leider durch den Charakter deS
Volks unterstützt. Der Irländer würde eines stetigen Spornes zum Fleiße
und steter Überwachung und noch mehr strenger Anleitung zur Betriebsamkeit
bedürfen. Er ist zum Müßiggange, zu einer ihm mehr angenehmen als nutz-
. lichen Verwendung der Zeit geneigt. Lieber wohnt er schlecht, als daß er sich an die
leichte Wiederherstellung seiner Hütte macht; lieber geht er halb nackt, als baß
er eine geringe Ausbesserung seines Zeuges vornähme; lieber darbt er, als daß
er nicht an seinem Tvrffeuer bei einer schlechten Pfeife Tabak seine Heren- und


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[0432] Theile Irlands, die zur protestantischen Kirche gehören, der Fall, Wofür spricht das? Der Protestant hört des Sonntags seinen Pastor, hört von ihm haupt¬ sächlich nur die Predigt, verkehrt mit ihm außerdem n.ur bei einem Familienfeste oder bei ähnlicher Gelegenheit, betrachtet ihn im gewöhnlichen Leben nur als einen Privatmann, der sich von ihm durch die Art des Erwerbes unterscheidet, hat aber weiter nichts mit ihm zu thun; der Katholik in Irland dagegen kommt seinem Priester gar nicht aus den Händen. Dieser ist sein Rath bei jeder Gelegenheit, in allen Dingen. Das könnte als ein unendlicher Vortheil und als eine Empfehlung für beider Gemüth erscheinen. Das letztere mag wirklich der Fall sein, das erstere aber sicher nicht; denn die Priester sind dort durchgängig von einer so mangelhaften Bildung (was ein wenig Verkehr mit ihnen sogleich zeigt), daß sie sich wenig über den Bauer erheben; sie sind serner fast alle den Besitzern und der englischen Regierung feindlich und suchen so stets alle Be¬ mühungen beider um Verbesserungen zum Nachtheile ihrer Pfarrkinder zu ver¬ eiteln; sie sind endlich in einem so hohen Grade von dem der Nation eignen religiösen und politischen Fanatismus erfüllt, daß sie stets, statt begütigend und besänftigend, im höchsten Grade aufregend wirken. Hunderte von Beispielen haben das bewiesen. Mordthaten und Schändlichkeiten der gemeinsten Art hat man in ihren Ursachen bis zur Kanzel, bis zum Beichtstuhle, bis zur geheimen Berathung im Pfarrhause zu verfolgen Gelegenheit gehabt. Noch in der letzten Zeit haben Scenen in Kapellen und Kirchen stattgefunden, die man nur in den gemeinsten Kneipen für möglich halten würde. ES ist eine Thatsache, daß sehr oft der katholische Priester statt der Predigt ein fanatisches und aufregen¬ des Localblatt vorliest und Betrachtungen anstellt, die sich nur'für Straßen¬ redner ziemen. Schlägereien im Gotteshause sind nicht selten. Was ist von solchen Verhältnissen zu erwarten? So spärlich die Mittel zur Bildung der unteren Elasse vorhanden sind, so sind die Priester noch stets bemüht, sie zu verringern, um ihren vollen Einfluß zu erhalten, was um so leichter ist, als die englischen Gesetze es den Eltern ganz und gar überlassen, die Kinder zur Schule zu schicken ober nicht. Kann das Land so nur einen Schritt weiter¬ kommen? — Beide vorerwähnten Umstände, Besitzlosigkeit und religiöse schlechte Bevormundung, obschon sie an und für sich im höchsten Grade hemmend auf den Wohlstand in Irland wirken, werben noch leider durch den Charakter deS Volks unterstützt. Der Irländer würde eines stetigen Spornes zum Fleiße und steter Überwachung und noch mehr strenger Anleitung zur Betriebsamkeit bedürfen. Er ist zum Müßiggange, zu einer ihm mehr angenehmen als nutz- . lichen Verwendung der Zeit geneigt. Lieber wohnt er schlecht, als daß er sich an die leichte Wiederherstellung seiner Hütte macht; lieber geht er halb nackt, als baß er eine geringe Ausbesserung seines Zeuges vornähme; lieber darbt er, als daß er nicht an seinem Tvrffeuer bei einer schlechten Pfeife Tabak seine Heren- und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/432>, abgerufen am 26.06.2024.