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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Ernst des Bestrebens zu helfen und zu unterstützen. Man kommt inS Land,
sieht schief, beurtheilt schief und hilft schief. Ein englischer Beauftragter fragte
unter anderm einen mit den irischen Zuständen sehr wohl vertrauten Guts¬
besitzer dort um ein einfaches Mittel, dem Elende abzuhelfen; grade als wenn
man dasselbe wie ein Fieber mit einer Flasche voll Arznei heilen könnte. Die
wahren Ursachen liegen nicht im Boden, nicht in der Unfruchtbarkeit und Un-
ergiebigkeit des Landes, sind vielmehr einzig und allein in den socialen Verhältnissen
und den Menschen dort begründet und sind Dinge, die ihrer Natur und ihrem Ein¬
flüsse nach allgemein als jedem Fortschritt und jedem frischen Geveihen zuwider
bekannt sind. Sie sind das (wenn wir so sagen sollen) moderne Lehnswesen,
oder der Rest des alten, die Priesterherrschaft und die dem Irländer eigne Un¬
lust zu Fleiß, Betriebsamkeit und Unternehmung, welches letztere aber zumeist
in ersteren beiden begründet sein dürste.

Alles menschliche Streben geht nach Eigenthum und wird rege erhalten und
belebt durch Eigenthum. Der Irländer hat keines und fast nie Aussicht darauf.
Die Hütte, die er bewohnt, den Acker, den er baut, kann er durch eine bloße
Laune seines Gutsherrn (ItriMorcls) jeden Augenblick verlieren, denn sie gehören
diesem, nicht ihm. Die Ernte, die er mäht, gräbt und sammelt, geht zu einem
so großen Theile in den möglichst höchsten Renten auf, daß das Uebriggeblie-
bene nur den kärglichsten Unterhalt und keine Freude daran und keinen Sporn
zu weiterer Thätigkeit gewähren kann. Da die Taxe der Abgaben durchaus
willkürlich ist und kein Gesetz gegen Uebermaß vorhanden, so kann nur auf die
persönliche Billigkeit deS Landlvrds gerechnet werden, die leider nicht zu häufig
angetroffen wird. Für wen ist nun der fleißigere Mann fleißiger? Es gibt
zwar Verpachtungen auf längere Zeit, sogenannte Icmx Is^so8, aber meist nur
von größeren Stücken Landes, die bann gewöhnlich einem Vvrpächter gehören,
der wiederum seine Unterpächter in der abscheulichsten Weise Schindel, um in
der Zeit seiner,Pachtung möglichst vielen Erlös sich zu sichern. Wo bleiben nun
jene? Keiner kann, darf aufkommen. Wir kennen die Löhne unsrer Feldarbeiter
und wissen, daß bei ihnen keiner zu einem reichen Manne werden kann; doch
sind sie in Vergleich zu den irländischen glänzend, königlich. Sechs, acht,
zehn Pence, was nicht ganz so viele Groschen preußisch bei uns meint,
ist das Gewöhnliche. Nun muß man aber bedenken, daß diese Sätze in Ir¬
land nur den halben Brodwerth der unseren haben. Darf man sich länger
über den schauerlich elenden, verrotteten und schmuzigen Anblick der Woh¬
nungen und ihrer Insassen wundern? -- Der Nordosten Irlands ist seit
Jacob I. großentheils von Schotten, die zur presbyterianischer Kirche ge¬
hören und zum Mittelpunkte die Stadt Londonderry haben, bewohnt und
dort ist Wohlstand in einer erfreulichen Weise auf den ersten Blick zu er¬
kennen; dasselbe ist mehr oder minder auffallend bei allen Bewohnern anderer


Ernst des Bestrebens zu helfen und zu unterstützen. Man kommt inS Land,
sieht schief, beurtheilt schief und hilft schief. Ein englischer Beauftragter fragte
unter anderm einen mit den irischen Zuständen sehr wohl vertrauten Guts¬
besitzer dort um ein einfaches Mittel, dem Elende abzuhelfen; grade als wenn
man dasselbe wie ein Fieber mit einer Flasche voll Arznei heilen könnte. Die
wahren Ursachen liegen nicht im Boden, nicht in der Unfruchtbarkeit und Un-
ergiebigkeit des Landes, sind vielmehr einzig und allein in den socialen Verhältnissen
und den Menschen dort begründet und sind Dinge, die ihrer Natur und ihrem Ein¬
flüsse nach allgemein als jedem Fortschritt und jedem frischen Geveihen zuwider
bekannt sind. Sie sind das (wenn wir so sagen sollen) moderne Lehnswesen,
oder der Rest des alten, die Priesterherrschaft und die dem Irländer eigne Un¬
lust zu Fleiß, Betriebsamkeit und Unternehmung, welches letztere aber zumeist
in ersteren beiden begründet sein dürste.

Alles menschliche Streben geht nach Eigenthum und wird rege erhalten und
belebt durch Eigenthum. Der Irländer hat keines und fast nie Aussicht darauf.
Die Hütte, die er bewohnt, den Acker, den er baut, kann er durch eine bloße
Laune seines Gutsherrn (ItriMorcls) jeden Augenblick verlieren, denn sie gehören
diesem, nicht ihm. Die Ernte, die er mäht, gräbt und sammelt, geht zu einem
so großen Theile in den möglichst höchsten Renten auf, daß das Uebriggeblie-
bene nur den kärglichsten Unterhalt und keine Freude daran und keinen Sporn
zu weiterer Thätigkeit gewähren kann. Da die Taxe der Abgaben durchaus
willkürlich ist und kein Gesetz gegen Uebermaß vorhanden, so kann nur auf die
persönliche Billigkeit deS Landlvrds gerechnet werden, die leider nicht zu häufig
angetroffen wird. Für wen ist nun der fleißigere Mann fleißiger? Es gibt
zwar Verpachtungen auf längere Zeit, sogenannte Icmx Is^so8, aber meist nur
von größeren Stücken Landes, die bann gewöhnlich einem Vvrpächter gehören,
der wiederum seine Unterpächter in der abscheulichsten Weise Schindel, um in
der Zeit seiner,Pachtung möglichst vielen Erlös sich zu sichern. Wo bleiben nun
jene? Keiner kann, darf aufkommen. Wir kennen die Löhne unsrer Feldarbeiter
und wissen, daß bei ihnen keiner zu einem reichen Manne werden kann; doch
sind sie in Vergleich zu den irländischen glänzend, königlich. Sechs, acht,
zehn Pence, was nicht ganz so viele Groschen preußisch bei uns meint,
ist das Gewöhnliche. Nun muß man aber bedenken, daß diese Sätze in Ir¬
land nur den halben Brodwerth der unseren haben. Darf man sich länger
über den schauerlich elenden, verrotteten und schmuzigen Anblick der Woh¬
nungen und ihrer Insassen wundern? — Der Nordosten Irlands ist seit
Jacob I. großentheils von Schotten, die zur presbyterianischer Kirche ge¬
hören und zum Mittelpunkte die Stadt Londonderry haben, bewohnt und
dort ist Wohlstand in einer erfreulichen Weise auf den ersten Blick zu er¬
kennen; dasselbe ist mehr oder minder auffallend bei allen Bewohnern anderer


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[0431] Ernst des Bestrebens zu helfen und zu unterstützen. Man kommt inS Land, sieht schief, beurtheilt schief und hilft schief. Ein englischer Beauftragter fragte unter anderm einen mit den irischen Zuständen sehr wohl vertrauten Guts¬ besitzer dort um ein einfaches Mittel, dem Elende abzuhelfen; grade als wenn man dasselbe wie ein Fieber mit einer Flasche voll Arznei heilen könnte. Die wahren Ursachen liegen nicht im Boden, nicht in der Unfruchtbarkeit und Un- ergiebigkeit des Landes, sind vielmehr einzig und allein in den socialen Verhältnissen und den Menschen dort begründet und sind Dinge, die ihrer Natur und ihrem Ein¬ flüsse nach allgemein als jedem Fortschritt und jedem frischen Geveihen zuwider bekannt sind. Sie sind das (wenn wir so sagen sollen) moderne Lehnswesen, oder der Rest des alten, die Priesterherrschaft und die dem Irländer eigne Un¬ lust zu Fleiß, Betriebsamkeit und Unternehmung, welches letztere aber zumeist in ersteren beiden begründet sein dürste. Alles menschliche Streben geht nach Eigenthum und wird rege erhalten und belebt durch Eigenthum. Der Irländer hat keines und fast nie Aussicht darauf. Die Hütte, die er bewohnt, den Acker, den er baut, kann er durch eine bloße Laune seines Gutsherrn (ItriMorcls) jeden Augenblick verlieren, denn sie gehören diesem, nicht ihm. Die Ernte, die er mäht, gräbt und sammelt, geht zu einem so großen Theile in den möglichst höchsten Renten auf, daß das Uebriggeblie- bene nur den kärglichsten Unterhalt und keine Freude daran und keinen Sporn zu weiterer Thätigkeit gewähren kann. Da die Taxe der Abgaben durchaus willkürlich ist und kein Gesetz gegen Uebermaß vorhanden, so kann nur auf die persönliche Billigkeit deS Landlvrds gerechnet werden, die leider nicht zu häufig angetroffen wird. Für wen ist nun der fleißigere Mann fleißiger? Es gibt zwar Verpachtungen auf längere Zeit, sogenannte Icmx Is^so8, aber meist nur von größeren Stücken Landes, die bann gewöhnlich einem Vvrpächter gehören, der wiederum seine Unterpächter in der abscheulichsten Weise Schindel, um in der Zeit seiner,Pachtung möglichst vielen Erlös sich zu sichern. Wo bleiben nun jene? Keiner kann, darf aufkommen. Wir kennen die Löhne unsrer Feldarbeiter und wissen, daß bei ihnen keiner zu einem reichen Manne werden kann; doch sind sie in Vergleich zu den irländischen glänzend, königlich. Sechs, acht, zehn Pence, was nicht ganz so viele Groschen preußisch bei uns meint, ist das Gewöhnliche. Nun muß man aber bedenken, daß diese Sätze in Ir¬ land nur den halben Brodwerth der unseren haben. Darf man sich länger über den schauerlich elenden, verrotteten und schmuzigen Anblick der Woh¬ nungen und ihrer Insassen wundern? — Der Nordosten Irlands ist seit Jacob I. großentheils von Schotten, die zur presbyterianischer Kirche ge¬ hören und zum Mittelpunkte die Stadt Londonderry haben, bewohnt und dort ist Wohlstand in einer erfreulichen Weise auf den ersten Blick zu er¬ kennen; dasselbe ist mehr oder minder auffallend bei allen Bewohnern anderer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/431>, abgerufen am 26.06.2024.