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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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keineswegs in unsrer Absicht liegt, große Achtung, ja oft eine entschiedene
Vorliebe für das Deutschthum hat. Der oberschlesische Bauer benutzt gern
jede ihm gebotene Gelegenheit, um seinen Kindern die Erlernung der deut¬
schen Sprache zu ermöglichen, er freut sich, wenn seine zum Militärdienste
ausgehobenen Söhne in eine entfernte Garnison kommen, wo sie deutsch lernen
können, er hebt im Verkehr mit seinen Stammesgenossen aus dem Königreiche
Polen gern hervor, daß er Preuße ist u. s. w. Die vollständige Germani-
sirung Posens wird ohne die Anwendung von Gewaltmaßregeln erst in einer
nicht ganz nahen Zukunft gelingen. In den halbpolnischen Theilen der Pro¬
vinz Preußen und vor allem in Oberschlesien hätte sie längst durchgeführt
werden können und müssen. Denn ob die Eroberung und Unterjochung einer
fremden Nation ein Unrecht und ob es nothwendig sei, die Unterworfenen der
Möglichkeit einer Fortentwicklung ihrer nationalen Cultur zu berauben, dar¬
über läßt sich streiten. Will man aber -- und das soll doch wol für die
Ausdehnung Deutschlands nach Osten gelten -- die Berechtigung zu solcher
Unterwerfung in der höhern Cultur des Eroberers finden, so entspricht der
Bkrechtigung sicher die Pflicht, die eigne höhere Cultur unter den Besiegten
zu verbreiten.




Das irische Landvolk.

Den Engländern ist es ein Räthsel, warum Irland in seinen elenden,
dürftigen Zuständen bleibt, während doch in dem unter genau gleichen Gesetzen
und Freiheiten stehenden Schottland Ackerbau, Gewerbe und Künste gedeihen,
und während England selbst sich unter ihnen zum blühendsten Lande der Erde
erhoben hat. Und ein Räthsel wird die Armuth und traurige Lage Irlands
allen denen bleiben, die nicht mit vorurtheilsfreien Blicke in das Land und
das Leben dort hineinschauen. Der Engländer betrachtet seine irländischen
Landsleute als eine ihm weit untergeordnete Art von Menschen, die nur eine
besondere Art guten Humors besitzt und hauptsächlich dazu da ist, ihm Anek¬
doten für seine Fireside zu liefern. Jedes englische Zeitungsblatt beweist die
Verachtung gegen Jrländer. Bei sehr vielen Anzeigen von offenen Stellen für
Dienstboten steht die Bemerkung: ,M IrKK rösa to appl^l" (Kein Jrländer,
keine Jrländeriu braucht anzufragen). Alle Sorten von Dummheiten schreibt
man dem Jrländer zu, wie wir in Deutschland sie den Schöppenstädtern, Kräh-
winklern, Kochemern und Schildaern nachrühmen. Ein solches Vorurtheil gegen
ein Brudervolk ist von den verderblichsten Folgen; es verhindert den wahren


keineswegs in unsrer Absicht liegt, große Achtung, ja oft eine entschiedene
Vorliebe für das Deutschthum hat. Der oberschlesische Bauer benutzt gern
jede ihm gebotene Gelegenheit, um seinen Kindern die Erlernung der deut¬
schen Sprache zu ermöglichen, er freut sich, wenn seine zum Militärdienste
ausgehobenen Söhne in eine entfernte Garnison kommen, wo sie deutsch lernen
können, er hebt im Verkehr mit seinen Stammesgenossen aus dem Königreiche
Polen gern hervor, daß er Preuße ist u. s. w. Die vollständige Germani-
sirung Posens wird ohne die Anwendung von Gewaltmaßregeln erst in einer
nicht ganz nahen Zukunft gelingen. In den halbpolnischen Theilen der Pro¬
vinz Preußen und vor allem in Oberschlesien hätte sie längst durchgeführt
werden können und müssen. Denn ob die Eroberung und Unterjochung einer
fremden Nation ein Unrecht und ob es nothwendig sei, die Unterworfenen der
Möglichkeit einer Fortentwicklung ihrer nationalen Cultur zu berauben, dar¬
über läßt sich streiten. Will man aber — und das soll doch wol für die
Ausdehnung Deutschlands nach Osten gelten — die Berechtigung zu solcher
Unterwerfung in der höhern Cultur des Eroberers finden, so entspricht der
Bkrechtigung sicher die Pflicht, die eigne höhere Cultur unter den Besiegten
zu verbreiten.




Das irische Landvolk.

Den Engländern ist es ein Räthsel, warum Irland in seinen elenden,
dürftigen Zuständen bleibt, während doch in dem unter genau gleichen Gesetzen
und Freiheiten stehenden Schottland Ackerbau, Gewerbe und Künste gedeihen,
und während England selbst sich unter ihnen zum blühendsten Lande der Erde
erhoben hat. Und ein Räthsel wird die Armuth und traurige Lage Irlands
allen denen bleiben, die nicht mit vorurtheilsfreien Blicke in das Land und
das Leben dort hineinschauen. Der Engländer betrachtet seine irländischen
Landsleute als eine ihm weit untergeordnete Art von Menschen, die nur eine
besondere Art guten Humors besitzt und hauptsächlich dazu da ist, ihm Anek¬
doten für seine Fireside zu liefern. Jedes englische Zeitungsblatt beweist die
Verachtung gegen Jrländer. Bei sehr vielen Anzeigen von offenen Stellen für
Dienstboten steht die Bemerkung: ,M IrKK rösa to appl^l" (Kein Jrländer,
keine Jrländeriu braucht anzufragen). Alle Sorten von Dummheiten schreibt
man dem Jrländer zu, wie wir in Deutschland sie den Schöppenstädtern, Kräh-
winklern, Kochemern und Schildaern nachrühmen. Ein solches Vorurtheil gegen
ein Brudervolk ist von den verderblichsten Folgen; es verhindert den wahren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/430>, abgerufen am 26.06.2024.