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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Je roher die niedere Bevölkerung Oberschlesiens ist, je weiter sie in gei¬
stiger und materieller Beziehung hinter dem Rittergutsbesitzer zurücksteht, je
tiefere Wurzeln das aus langer Abhängigkeit und arger Bedrückung entsprun¬
gene Mißtrauen gegen diesen bei ihr geschlagen, destomehr sollte man sich
hüten, der schon bestehenden feindlichen Gesinnung neue Nahrung zu geben,
destomehr darauf bedacht sein, die so naheliegende Möglichkeit einer Vereini¬
gung beider zur Erreichung gemeinsamer sittlicher und praktischer Zwecke aus¬
zubeuten und so den Keim einer verhängnißvollen socialen Erschütterung zu
zerstören.

Die gründliche Reform der Schule führen wir in der Reihe der Hilfs¬
mittel zuletzt auf, halten sie aber für die naheliegendste, heiligste Pflicht des
Staats gegen eine von allem geistigen Verkehr abgeschnittene Bevölkerung.
Statt eine Vorkämpferin deutscher Bildung zu sein ist sie jetzt die mächtigste
und beharrlichste Stütze der deutschfeindlichen, auf Erhaltung des slawischen
Elements gerichteten Bestrebungen. Es wird manchem Deutschen befremdend
klingen und doch ist es nur zu wahr, daß die große Mehrzahl der oberschlesi-
schen Landschullehrer der deutschen Sprache nicht mächtig genug ist, um auch
nur die volksthümlichsten, bekanntesten Schöpfungen unsrer Literatur ver¬
stehen zu können. Wir können nicht umhin, hier einen Gegenstand 'zu be¬
rühren, den wir lieber vermieden hätten. Wir meinen die deutschfeindliche
Stellung der katholischen Kirche in allen ehemals slawischen Theilen der
Monarchie. Daß die katholische Kirche mit aller ihr eignen Zähigkeit der
Germanisirung entgegenarbeitet, dürfte kaum bestritten werden, es wäre sonst
lAcht durch schlagende Belege zu beweisen, Ohne auf die kulturhistorisch übri¬
gens sehr beachtenswerthen Gründe und Consequenzen dieser Thatsache ein¬
zugehen, weisen wir nur darauf hin, daß es die deutschfeindliche Kirche ist,
in deren Händen der öffentliche Unterricht ruht. Die Nothwendigkeit einer
Trennung der Schule von der Kirche ist überall in den reindeutschen und
slawischen, in den katholischen und evangelischen Theilen unsres Vaterlandes
von jedem Gebildeten, Freisinnigen anerkannt.

Wenn irgendwo praktische Verhältnisse die traurigen Folgen der Verbin¬
dung der Schule mit der Kirche grell ans Licht stellen, so ist es hier in Ober¬
schlesien, wo der Slawismus gleichbedeutend ist mit geistiger Versumpfung und
Finsterniß, wo eine polnische Cultur, über deren Vorhandensein in Pose-n
vielleicht gestritten werden könnte, nicht im Bereiche der Möglichkeit liegt, wo
die Begriffe Bildung und deutsch gar nicht trennbar sind. Die Schule in den
Händen der Kirche, der Vorkämpfer"'" des Slawenthums, ist hier alles An¬
dere, nur keine Bildungsanstalt. Oberschlesien unterscheidet sich darin wesent¬
lich von allen andern slawischen Theilen des preußischen Staats, daß der
gemeine Mann trotz seiner Anhänglichkeit an die Kirche, deren Schmälerung


Je roher die niedere Bevölkerung Oberschlesiens ist, je weiter sie in gei¬
stiger und materieller Beziehung hinter dem Rittergutsbesitzer zurücksteht, je
tiefere Wurzeln das aus langer Abhängigkeit und arger Bedrückung entsprun¬
gene Mißtrauen gegen diesen bei ihr geschlagen, destomehr sollte man sich
hüten, der schon bestehenden feindlichen Gesinnung neue Nahrung zu geben,
destomehr darauf bedacht sein, die so naheliegende Möglichkeit einer Vereini¬
gung beider zur Erreichung gemeinsamer sittlicher und praktischer Zwecke aus¬
zubeuten und so den Keim einer verhängnißvollen socialen Erschütterung zu
zerstören.

Die gründliche Reform der Schule führen wir in der Reihe der Hilfs¬
mittel zuletzt auf, halten sie aber für die naheliegendste, heiligste Pflicht des
Staats gegen eine von allem geistigen Verkehr abgeschnittene Bevölkerung.
Statt eine Vorkämpferin deutscher Bildung zu sein ist sie jetzt die mächtigste
und beharrlichste Stütze der deutschfeindlichen, auf Erhaltung des slawischen
Elements gerichteten Bestrebungen. Es wird manchem Deutschen befremdend
klingen und doch ist es nur zu wahr, daß die große Mehrzahl der oberschlesi-
schen Landschullehrer der deutschen Sprache nicht mächtig genug ist, um auch
nur die volksthümlichsten, bekanntesten Schöpfungen unsrer Literatur ver¬
stehen zu können. Wir können nicht umhin, hier einen Gegenstand 'zu be¬
rühren, den wir lieber vermieden hätten. Wir meinen die deutschfeindliche
Stellung der katholischen Kirche in allen ehemals slawischen Theilen der
Monarchie. Daß die katholische Kirche mit aller ihr eignen Zähigkeit der
Germanisirung entgegenarbeitet, dürfte kaum bestritten werden, es wäre sonst
lAcht durch schlagende Belege zu beweisen, Ohne auf die kulturhistorisch übri¬
gens sehr beachtenswerthen Gründe und Consequenzen dieser Thatsache ein¬
zugehen, weisen wir nur darauf hin, daß es die deutschfeindliche Kirche ist,
in deren Händen der öffentliche Unterricht ruht. Die Nothwendigkeit einer
Trennung der Schule von der Kirche ist überall in den reindeutschen und
slawischen, in den katholischen und evangelischen Theilen unsres Vaterlandes
von jedem Gebildeten, Freisinnigen anerkannt.

Wenn irgendwo praktische Verhältnisse die traurigen Folgen der Verbin¬
dung der Schule mit der Kirche grell ans Licht stellen, so ist es hier in Ober¬
schlesien, wo der Slawismus gleichbedeutend ist mit geistiger Versumpfung und
Finsterniß, wo eine polnische Cultur, über deren Vorhandensein in Pose-n
vielleicht gestritten werden könnte, nicht im Bereiche der Möglichkeit liegt, wo
die Begriffe Bildung und deutsch gar nicht trennbar sind. Die Schule in den
Händen der Kirche, der Vorkämpfer«'» des Slawenthums, ist hier alles An¬
dere, nur keine Bildungsanstalt. Oberschlesien unterscheidet sich darin wesent¬
lich von allen andern slawischen Theilen des preußischen Staats, daß der
gemeine Mann trotz seiner Anhänglichkeit an die Kirche, deren Schmälerung


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[0429] Je roher die niedere Bevölkerung Oberschlesiens ist, je weiter sie in gei¬ stiger und materieller Beziehung hinter dem Rittergutsbesitzer zurücksteht, je tiefere Wurzeln das aus langer Abhängigkeit und arger Bedrückung entsprun¬ gene Mißtrauen gegen diesen bei ihr geschlagen, destomehr sollte man sich hüten, der schon bestehenden feindlichen Gesinnung neue Nahrung zu geben, destomehr darauf bedacht sein, die so naheliegende Möglichkeit einer Vereini¬ gung beider zur Erreichung gemeinsamer sittlicher und praktischer Zwecke aus¬ zubeuten und so den Keim einer verhängnißvollen socialen Erschütterung zu zerstören. Die gründliche Reform der Schule führen wir in der Reihe der Hilfs¬ mittel zuletzt auf, halten sie aber für die naheliegendste, heiligste Pflicht des Staats gegen eine von allem geistigen Verkehr abgeschnittene Bevölkerung. Statt eine Vorkämpferin deutscher Bildung zu sein ist sie jetzt die mächtigste und beharrlichste Stütze der deutschfeindlichen, auf Erhaltung des slawischen Elements gerichteten Bestrebungen. Es wird manchem Deutschen befremdend klingen und doch ist es nur zu wahr, daß die große Mehrzahl der oberschlesi- schen Landschullehrer der deutschen Sprache nicht mächtig genug ist, um auch nur die volksthümlichsten, bekanntesten Schöpfungen unsrer Literatur ver¬ stehen zu können. Wir können nicht umhin, hier einen Gegenstand 'zu be¬ rühren, den wir lieber vermieden hätten. Wir meinen die deutschfeindliche Stellung der katholischen Kirche in allen ehemals slawischen Theilen der Monarchie. Daß die katholische Kirche mit aller ihr eignen Zähigkeit der Germanisirung entgegenarbeitet, dürfte kaum bestritten werden, es wäre sonst lAcht durch schlagende Belege zu beweisen, Ohne auf die kulturhistorisch übri¬ gens sehr beachtenswerthen Gründe und Consequenzen dieser Thatsache ein¬ zugehen, weisen wir nur darauf hin, daß es die deutschfeindliche Kirche ist, in deren Händen der öffentliche Unterricht ruht. Die Nothwendigkeit einer Trennung der Schule von der Kirche ist überall in den reindeutschen und slawischen, in den katholischen und evangelischen Theilen unsres Vaterlandes von jedem Gebildeten, Freisinnigen anerkannt. Wenn irgendwo praktische Verhältnisse die traurigen Folgen der Verbin¬ dung der Schule mit der Kirche grell ans Licht stellen, so ist es hier in Ober¬ schlesien, wo der Slawismus gleichbedeutend ist mit geistiger Versumpfung und Finsterniß, wo eine polnische Cultur, über deren Vorhandensein in Pose-n vielleicht gestritten werden könnte, nicht im Bereiche der Möglichkeit liegt, wo die Begriffe Bildung und deutsch gar nicht trennbar sind. Die Schule in den Händen der Kirche, der Vorkämpfer«'» des Slawenthums, ist hier alles An¬ dere, nur keine Bildungsanstalt. Oberschlesien unterscheidet sich darin wesent¬ lich von allen andern slawischen Theilen des preußischen Staats, daß der gemeine Mann trotz seiner Anhänglichkeit an die Kirche, deren Schmälerung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/429>, abgerufen am 26.06.2024.