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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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fassungsmäßige Umgestaltung deS Unterrichtswesens ist gänzlich unterblieben
und endlich seitens der Negierung für überflüssig erklärt worden. Bis auf
weiteres sind in allen diesen Zweigen des öffentlichen Lebens die frühern
ständischen Einrichtungen wieder ins Leben gerufen.

Der ländliche Grundbesitz zerfällt in Rittergüter und bäuerliche Stellen.
Nur die letztern gehören einem Gemeindeorganismus an, dessen Chef der
außerhalb des Gemeindeverbandes stehende Gutsherr ist. Der Gutsherr er¬
nennt den Ortsscholzen, prüft die Gemeiuderechnung, verwaltet die Polizei,
wählt den Schullehrer und gewöhnlich als Kirchenpatron auch den Geistlichen.
Der Gutsherr ist aus eignem Rechte Mitglied des Kreistages, auf welchem
die Abgeordneten der Städte und Landgemeinden eine nicht in Betracht kom¬
mende Minorität bilden. Aus dem 'Stande der Gutsherrn wird der Landrath
gewählt u. s. w. Dieser Verfassung entspricht die materielle Gesetzgebung. Die
Kosten der Armenpflege, der Unterhaltung der Wege und Brücken, der Schule
und selbst der Kirche u. f. w. treffen, wie die Grundsteuer, verhältnißmäßig
weit mehr den bäuerlichen, als den ritterlichen Grundbesitz. In der That nur
für den letztern besteht ein öffentliches, auf Gegenseitigkeit beruhendes Boden¬
creditsystem (die Landschaft). -- Hierzu tritt, daß die Besitzer bäuerlicher Stellen
bis in die neueste Zeit ihren Gutsherrn gegenüber zu Abgaben, Diensten und
Leistungen aller Art verpflichtet waren und zum Theil noch sind. Die Ab¬
lösung dieser Lasten, welche das alte Unterthänigkeitsverhältniß materiell er¬
halten haben, erfolgt mit dankenswerther Energie, indeß doch nur in der
Weise, daß die Verpflichteten eine dem Werthe der abgelösten Leistungen gleich¬
kommende Rente fortan an die Staatskasse zahlen, aus der die berechtigte"
Gutsherrn eine Entschädigung in Capital erhalten.

Das Angeführte wird genügen, um darzuthun, daß zwischen dem großen
und kleinen Grundbesitz auch in ökonomischer, politischer und socialer Beziehung
ein bedeutender Unterschied stattfindet: ein ökonomischer, weil die ungleich
höhere Belastung des bäuerlichen Grundbesitzes mit öffentlichen Abgaben und
Leistungen als eine Vermehrung der Wirthschaftskosten ' anzusehen ist, ein-
politischer, weil die kleinern Grundbesitzer keinen verhältnißmäßigen Antheil an
der Leitung und Ordnung der Gemeinde und Kreisangelegenheiten haben, ein
socialer, weil dieselben in den wichtigsten Verhältnissen den Gutsherrn als
ihre vorgesetzte Obrigkeit anzusehen haben.

Der dargestellte allgemeine Rechtszustand hat nothwendig überall dahin
führen müssen, den Einfluß der Speculation auf den bäuerlichen Grundbesitz,
sowie der fortschreitenden Bildung auf den bäuerlichen Stand selbst zu er¬
schweren, in Oberschlesien aber vollendet und erhält er eine bereits bestehende
Isolirung der niedern Volksschichten.

Die eingeborne Bevölkerung Oberschlesiens gehört der slawischen Nation


fassungsmäßige Umgestaltung deS Unterrichtswesens ist gänzlich unterblieben
und endlich seitens der Negierung für überflüssig erklärt worden. Bis auf
weiteres sind in allen diesen Zweigen des öffentlichen Lebens die frühern
ständischen Einrichtungen wieder ins Leben gerufen.

Der ländliche Grundbesitz zerfällt in Rittergüter und bäuerliche Stellen.
Nur die letztern gehören einem Gemeindeorganismus an, dessen Chef der
außerhalb des Gemeindeverbandes stehende Gutsherr ist. Der Gutsherr er¬
nennt den Ortsscholzen, prüft die Gemeiuderechnung, verwaltet die Polizei,
wählt den Schullehrer und gewöhnlich als Kirchenpatron auch den Geistlichen.
Der Gutsherr ist aus eignem Rechte Mitglied des Kreistages, auf welchem
die Abgeordneten der Städte und Landgemeinden eine nicht in Betracht kom¬
mende Minorität bilden. Aus dem 'Stande der Gutsherrn wird der Landrath
gewählt u. s. w. Dieser Verfassung entspricht die materielle Gesetzgebung. Die
Kosten der Armenpflege, der Unterhaltung der Wege und Brücken, der Schule
und selbst der Kirche u. f. w. treffen, wie die Grundsteuer, verhältnißmäßig
weit mehr den bäuerlichen, als den ritterlichen Grundbesitz. In der That nur
für den letztern besteht ein öffentliches, auf Gegenseitigkeit beruhendes Boden¬
creditsystem (die Landschaft). — Hierzu tritt, daß die Besitzer bäuerlicher Stellen
bis in die neueste Zeit ihren Gutsherrn gegenüber zu Abgaben, Diensten und
Leistungen aller Art verpflichtet waren und zum Theil noch sind. Die Ab¬
lösung dieser Lasten, welche das alte Unterthänigkeitsverhältniß materiell er¬
halten haben, erfolgt mit dankenswerther Energie, indeß doch nur in der
Weise, daß die Verpflichteten eine dem Werthe der abgelösten Leistungen gleich¬
kommende Rente fortan an die Staatskasse zahlen, aus der die berechtigte»
Gutsherrn eine Entschädigung in Capital erhalten.

Das Angeführte wird genügen, um darzuthun, daß zwischen dem großen
und kleinen Grundbesitz auch in ökonomischer, politischer und socialer Beziehung
ein bedeutender Unterschied stattfindet: ein ökonomischer, weil die ungleich
höhere Belastung des bäuerlichen Grundbesitzes mit öffentlichen Abgaben und
Leistungen als eine Vermehrung der Wirthschaftskosten ' anzusehen ist, ein-
politischer, weil die kleinern Grundbesitzer keinen verhältnißmäßigen Antheil an
der Leitung und Ordnung der Gemeinde und Kreisangelegenheiten haben, ein
socialer, weil dieselben in den wichtigsten Verhältnissen den Gutsherrn als
ihre vorgesetzte Obrigkeit anzusehen haben.

Der dargestellte allgemeine Rechtszustand hat nothwendig überall dahin
führen müssen, den Einfluß der Speculation auf den bäuerlichen Grundbesitz,
sowie der fortschreitenden Bildung auf den bäuerlichen Stand selbst zu er¬
schweren, in Oberschlesien aber vollendet und erhält er eine bereits bestehende
Isolirung der niedern Volksschichten.

Die eingeborne Bevölkerung Oberschlesiens gehört der slawischen Nation


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[0424] fassungsmäßige Umgestaltung deS Unterrichtswesens ist gänzlich unterblieben und endlich seitens der Negierung für überflüssig erklärt worden. Bis auf weiteres sind in allen diesen Zweigen des öffentlichen Lebens die frühern ständischen Einrichtungen wieder ins Leben gerufen. Der ländliche Grundbesitz zerfällt in Rittergüter und bäuerliche Stellen. Nur die letztern gehören einem Gemeindeorganismus an, dessen Chef der außerhalb des Gemeindeverbandes stehende Gutsherr ist. Der Gutsherr er¬ nennt den Ortsscholzen, prüft die Gemeiuderechnung, verwaltet die Polizei, wählt den Schullehrer und gewöhnlich als Kirchenpatron auch den Geistlichen. Der Gutsherr ist aus eignem Rechte Mitglied des Kreistages, auf welchem die Abgeordneten der Städte und Landgemeinden eine nicht in Betracht kom¬ mende Minorität bilden. Aus dem 'Stande der Gutsherrn wird der Landrath gewählt u. s. w. Dieser Verfassung entspricht die materielle Gesetzgebung. Die Kosten der Armenpflege, der Unterhaltung der Wege und Brücken, der Schule und selbst der Kirche u. f. w. treffen, wie die Grundsteuer, verhältnißmäßig weit mehr den bäuerlichen, als den ritterlichen Grundbesitz. In der That nur für den letztern besteht ein öffentliches, auf Gegenseitigkeit beruhendes Boden¬ creditsystem (die Landschaft). — Hierzu tritt, daß die Besitzer bäuerlicher Stellen bis in die neueste Zeit ihren Gutsherrn gegenüber zu Abgaben, Diensten und Leistungen aller Art verpflichtet waren und zum Theil noch sind. Die Ab¬ lösung dieser Lasten, welche das alte Unterthänigkeitsverhältniß materiell er¬ halten haben, erfolgt mit dankenswerther Energie, indeß doch nur in der Weise, daß die Verpflichteten eine dem Werthe der abgelösten Leistungen gleich¬ kommende Rente fortan an die Staatskasse zahlen, aus der die berechtigte» Gutsherrn eine Entschädigung in Capital erhalten. Das Angeführte wird genügen, um darzuthun, daß zwischen dem großen und kleinen Grundbesitz auch in ökonomischer, politischer und socialer Beziehung ein bedeutender Unterschied stattfindet: ein ökonomischer, weil die ungleich höhere Belastung des bäuerlichen Grundbesitzes mit öffentlichen Abgaben und Leistungen als eine Vermehrung der Wirthschaftskosten ' anzusehen ist, ein- politischer, weil die kleinern Grundbesitzer keinen verhältnißmäßigen Antheil an der Leitung und Ordnung der Gemeinde und Kreisangelegenheiten haben, ein socialer, weil dieselben in den wichtigsten Verhältnissen den Gutsherrn als ihre vorgesetzte Obrigkeit anzusehen haben. Der dargestellte allgemeine Rechtszustand hat nothwendig überall dahin führen müssen, den Einfluß der Speculation auf den bäuerlichen Grundbesitz, sowie der fortschreitenden Bildung auf den bäuerlichen Stand selbst zu er¬ schweren, in Oberschlesien aber vollendet und erhält er eine bereits bestehende Isolirung der niedern Volksschichten. Die eingeborne Bevölkerung Oberschlesiens gehört der slawischen Nation

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/424>, abgerufen am 26.06.2024.