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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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die in den andern Provinzen durch mannigfache Besitzungen in allen nach
Größe, Bodenbeschaffenheit, Lage u. s. w. möglichen Abstufungen ausgefüllt
ist, hier aber eine höchst nachtheilige Trennung zwischen dem gutsherrlichen
und bäuerlichen Besitz sortbeftehn läßt. Es liegt aus der Hand, daß die
Mannigfaltigkeit in der Größe der Besitzungen vorzugsweise zum Aufschwung
der Landwirthschaft beitragen muß. Wo sie fehlt, können entweder nur sehr
große oder ganz unbedeutende Capitalien angelegt werden. Eine vollkommene
Ausbildung der verschiedenen einzelnen Wirthsschaftsbranchen ist nur möglich,
wenn Besitzungen eristiren, die vermöge ihrer Größe und localen Beschaffen¬
heit ihren Besitzer nöthigen, seine ganze Einsicht und Thätigkeit aus ein Feld
zu beschränken. Die bei solcher Arbeitstheilung erreichbaren Muster des Besten
muß jeder vor Augen haben, um unter andern Voraussetzungen wenigstens
das möglichst Gute leisten zu können.

Man sollte meinen, daß Wetteifer und Speculation allein genügen
müßten, um die augeführten Nachtheile zu beseitigen und die wirthschaftlich
zweckmäßigste Vertheilung des Grundbesitzes allmälig zu erzwingen. Wir sehn
aber, daß sich die Speculation fast ausschließlich der größern Güter bemächtigt
und wenn es gleich als ein Gewinn für die Zukunft betrachtet werden darf,
daß sie zur Zerstücklung mancher übermäßig großen Gütercomplere geführt hat,
so sind doch selbst die einzelnen Trenngüter fast immer noch viel zu groß, um
Unternehmern, die nicht ein Anlagecapital von 30,000 Thlr. und darüber in
Händen haben, Aussicht auf reellen Gewinn zu gewähren.

Der Grund für diese Erscheinung ist in dem Umstände zu finden, daß der
Unterschied zwischen dem großen und kleinen Grundbesitz keineswegs ein
nur quantitativer ist. Das ständische Prineip, wenngleich für die allgemeine
Landesvertretung und in Betreff der Justizpflege beseitigt, ist für alle übrigen
Theile des Staatsorganismus: die Gemeinde- Kreis- Ortspolizei- Kirchen-
Schulenverwaltung u. f. w. noch immer allein maßgebend. Der Einfluß der
ständischen Verfassung aus die besondern Culturverhältnisse -Oberschlesiens ist
ebenso eigenthümlich, als bedeutend.

Bekanntlich wurde die Eintheilung der Staatsbürger in Stände, welche
bis zum Jahre 1848 die Grundlage aller Betheiligung des Volks an der
Verwaltung bildete, durch die Verfassung vom 3. December 1848 und
31. Januar 18Ü0 (durch letztere wenigstens' principiell) aufgehoben. Die
.neuen Ordnungen für Verwaltung der Provinzial- Bezirks- Kreis- und Ge¬
meindeangelegenheiten wurden im März 18S0 publicirt, kamen aber nur für
die Stavlgemeindrn, in denen sie die ältere Städteordnung beseitigen sollten,
zur Ausführung, wurden bann durch ministerielle Bestimmungen suspendirt
und später unter Zustimmung der Kammern wieder gesetzlich ausgehoben.
Aehnliches Schicksal hatte ein Gesetz über die Polizeiverwaltung. Die ver-


die in den andern Provinzen durch mannigfache Besitzungen in allen nach
Größe, Bodenbeschaffenheit, Lage u. s. w. möglichen Abstufungen ausgefüllt
ist, hier aber eine höchst nachtheilige Trennung zwischen dem gutsherrlichen
und bäuerlichen Besitz sortbeftehn läßt. Es liegt aus der Hand, daß die
Mannigfaltigkeit in der Größe der Besitzungen vorzugsweise zum Aufschwung
der Landwirthschaft beitragen muß. Wo sie fehlt, können entweder nur sehr
große oder ganz unbedeutende Capitalien angelegt werden. Eine vollkommene
Ausbildung der verschiedenen einzelnen Wirthsschaftsbranchen ist nur möglich,
wenn Besitzungen eristiren, die vermöge ihrer Größe und localen Beschaffen¬
heit ihren Besitzer nöthigen, seine ganze Einsicht und Thätigkeit aus ein Feld
zu beschränken. Die bei solcher Arbeitstheilung erreichbaren Muster des Besten
muß jeder vor Augen haben, um unter andern Voraussetzungen wenigstens
das möglichst Gute leisten zu können.

Man sollte meinen, daß Wetteifer und Speculation allein genügen
müßten, um die augeführten Nachtheile zu beseitigen und die wirthschaftlich
zweckmäßigste Vertheilung des Grundbesitzes allmälig zu erzwingen. Wir sehn
aber, daß sich die Speculation fast ausschließlich der größern Güter bemächtigt
und wenn es gleich als ein Gewinn für die Zukunft betrachtet werden darf,
daß sie zur Zerstücklung mancher übermäßig großen Gütercomplere geführt hat,
so sind doch selbst die einzelnen Trenngüter fast immer noch viel zu groß, um
Unternehmern, die nicht ein Anlagecapital von 30,000 Thlr. und darüber in
Händen haben, Aussicht auf reellen Gewinn zu gewähren.

Der Grund für diese Erscheinung ist in dem Umstände zu finden, daß der
Unterschied zwischen dem großen und kleinen Grundbesitz keineswegs ein
nur quantitativer ist. Das ständische Prineip, wenngleich für die allgemeine
Landesvertretung und in Betreff der Justizpflege beseitigt, ist für alle übrigen
Theile des Staatsorganismus: die Gemeinde- Kreis- Ortspolizei- Kirchen-
Schulenverwaltung u. f. w. noch immer allein maßgebend. Der Einfluß der
ständischen Verfassung aus die besondern Culturverhältnisse -Oberschlesiens ist
ebenso eigenthümlich, als bedeutend.

Bekanntlich wurde die Eintheilung der Staatsbürger in Stände, welche
bis zum Jahre 1848 die Grundlage aller Betheiligung des Volks an der
Verwaltung bildete, durch die Verfassung vom 3. December 1848 und
31. Januar 18Ü0 (durch letztere wenigstens' principiell) aufgehoben. Die
.neuen Ordnungen für Verwaltung der Provinzial- Bezirks- Kreis- und Ge¬
meindeangelegenheiten wurden im März 18S0 publicirt, kamen aber nur für
die Stavlgemeindrn, in denen sie die ältere Städteordnung beseitigen sollten,
zur Ausführung, wurden bann durch ministerielle Bestimmungen suspendirt
und später unter Zustimmung der Kammern wieder gesetzlich ausgehoben.
Aehnliches Schicksal hatte ein Gesetz über die Polizeiverwaltung. Die ver-


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[0423] die in den andern Provinzen durch mannigfache Besitzungen in allen nach Größe, Bodenbeschaffenheit, Lage u. s. w. möglichen Abstufungen ausgefüllt ist, hier aber eine höchst nachtheilige Trennung zwischen dem gutsherrlichen und bäuerlichen Besitz sortbeftehn läßt. Es liegt aus der Hand, daß die Mannigfaltigkeit in der Größe der Besitzungen vorzugsweise zum Aufschwung der Landwirthschaft beitragen muß. Wo sie fehlt, können entweder nur sehr große oder ganz unbedeutende Capitalien angelegt werden. Eine vollkommene Ausbildung der verschiedenen einzelnen Wirthsschaftsbranchen ist nur möglich, wenn Besitzungen eristiren, die vermöge ihrer Größe und localen Beschaffen¬ heit ihren Besitzer nöthigen, seine ganze Einsicht und Thätigkeit aus ein Feld zu beschränken. Die bei solcher Arbeitstheilung erreichbaren Muster des Besten muß jeder vor Augen haben, um unter andern Voraussetzungen wenigstens das möglichst Gute leisten zu können. Man sollte meinen, daß Wetteifer und Speculation allein genügen müßten, um die augeführten Nachtheile zu beseitigen und die wirthschaftlich zweckmäßigste Vertheilung des Grundbesitzes allmälig zu erzwingen. Wir sehn aber, daß sich die Speculation fast ausschließlich der größern Güter bemächtigt und wenn es gleich als ein Gewinn für die Zukunft betrachtet werden darf, daß sie zur Zerstücklung mancher übermäßig großen Gütercomplere geführt hat, so sind doch selbst die einzelnen Trenngüter fast immer noch viel zu groß, um Unternehmern, die nicht ein Anlagecapital von 30,000 Thlr. und darüber in Händen haben, Aussicht auf reellen Gewinn zu gewähren. Der Grund für diese Erscheinung ist in dem Umstände zu finden, daß der Unterschied zwischen dem großen und kleinen Grundbesitz keineswegs ein nur quantitativer ist. Das ständische Prineip, wenngleich für die allgemeine Landesvertretung und in Betreff der Justizpflege beseitigt, ist für alle übrigen Theile des Staatsorganismus: die Gemeinde- Kreis- Ortspolizei- Kirchen- Schulenverwaltung u. f. w. noch immer allein maßgebend. Der Einfluß der ständischen Verfassung aus die besondern Culturverhältnisse -Oberschlesiens ist ebenso eigenthümlich, als bedeutend. Bekanntlich wurde die Eintheilung der Staatsbürger in Stände, welche bis zum Jahre 1848 die Grundlage aller Betheiligung des Volks an der Verwaltung bildete, durch die Verfassung vom 3. December 1848 und 31. Januar 18Ü0 (durch letztere wenigstens' principiell) aufgehoben. Die .neuen Ordnungen für Verwaltung der Provinzial- Bezirks- Kreis- und Ge¬ meindeangelegenheiten wurden im März 18S0 publicirt, kamen aber nur für die Stavlgemeindrn, in denen sie die ältere Städteordnung beseitigen sollten, zur Ausführung, wurden bann durch ministerielle Bestimmungen suspendirt und später unter Zustimmung der Kammern wieder gesetzlich ausgehoben. Aehnliches Schicksal hatte ein Gesetz über die Polizeiverwaltung. Die ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/423>, abgerufen am 26.06.2024.