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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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zu erwerben, die niemals Muße findet, sich des Erworbenen zu freuen. Die
amerikanische Poesie hat einen spiritualistischen religiösen Charakter, sie hat
manche Ähnlichkeit mit der Opposition des Pietismus im 18. Jahrhundert
gegen die verkümmerten spießbürgerlichen Verhältnisse des deutschen Lebens;
allein sie ist keineswegs eine willkürliche Auflehnung gegen den Geist der
Nation, sondern sie geht mit innerer Nothwendigkeit aus demselben hervor,
und wenn sie sich auch vorläufig grade so in Extremen bewegt, wie ihr
Gegensatz, so läßt sich dock eine allmälige Vermittlung erwarten und daraus
vielleicht eine Verjüngung und Wiedergeburt des Nationalgeistes, der uns in
seiner gegenwärtigen Einseitigkeit ein so häßliches und widerwärtiges Bild gibt.
Wir machen noch einmal auf einen Schriftsteller aufmerksam, der diesen Gegen¬
stand in der Revue des deur mondes mit ebensoviel Geist als Gründlichkeit
behandelt, Emil Montegue. ' Unter allen Abhandlungen dieser Zeitschrift ver¬
dient seine Analyse des amerikanischen Sittenromans bei dem deutschen Leser
die größte Aufmerksamkeit.--


Sickingen. Eine Landknechtsgeschichtc von Albert Tnrcke. Berlin, Wohl¬
gemut!). --

Wir haben von dem, Verfasser bereits zwei Dramen besprochen: "Die
Portenser" und "Johanna Gray". Das gegenwärtige Gedicht verdient unter diesen
Versuchen entschieden den Vorzug. Der Verfasser hat den Ton gefunden, der im
ganzen zu dem Gegenstande paßt, wenn er auch etwas hölzerner ist, als die
Nachahmung der alterthümlichen Art und Weise grade erfordert. Diese Nach¬
bildung der Stimmung scheint ver Dichter als die Hauptaufgabe betrachtet zu
haben, die Erzählung selbst ist nicht sehr lebhaft.--




Die Leiden Oberschlesiens.

Vor kurzem brachte dieses Blatt eine kulturhistorische Skizze oberschlesischer
Zustände. In der lebendigen und wahrheitstreuen Schilderung fand Schreiber
dieses eine Aufforderung zur Prüfung der großen Aufgabe, welche das Schick¬
sal dieses preußischen Irland dem Staatsmann darbietet. Wenn ich dabei
auf politische Forderungen zurückkomme, welche im Lause der letzten Jahre oft
genug vertheidigt, angefochten und verworfen sind, so halte ich das für einen
Gewinn.

In der erwähnten Skizze ist das städtische Leben in Oberschlesten mit
Recht außer Acht gelassen. Obgleich nämlich Oberschlesien reich an kleinen
Städten ist, so haben dieselben doch keine höhere industrielle Bedeutung und


zu erwerben, die niemals Muße findet, sich des Erworbenen zu freuen. Die
amerikanische Poesie hat einen spiritualistischen religiösen Charakter, sie hat
manche Ähnlichkeit mit der Opposition des Pietismus im 18. Jahrhundert
gegen die verkümmerten spießbürgerlichen Verhältnisse des deutschen Lebens;
allein sie ist keineswegs eine willkürliche Auflehnung gegen den Geist der
Nation, sondern sie geht mit innerer Nothwendigkeit aus demselben hervor,
und wenn sie sich auch vorläufig grade so in Extremen bewegt, wie ihr
Gegensatz, so läßt sich dock eine allmälige Vermittlung erwarten und daraus
vielleicht eine Verjüngung und Wiedergeburt des Nationalgeistes, der uns in
seiner gegenwärtigen Einseitigkeit ein so häßliches und widerwärtiges Bild gibt.
Wir machen noch einmal auf einen Schriftsteller aufmerksam, der diesen Gegen¬
stand in der Revue des deur mondes mit ebensoviel Geist als Gründlichkeit
behandelt, Emil Montegue. ' Unter allen Abhandlungen dieser Zeitschrift ver¬
dient seine Analyse des amerikanischen Sittenromans bei dem deutschen Leser
die größte Aufmerksamkeit.—


Sickingen. Eine Landknechtsgeschichtc von Albert Tnrcke. Berlin, Wohl¬
gemut!). —

Wir haben von dem, Verfasser bereits zwei Dramen besprochen: „Die
Portenser" und „Johanna Gray". Das gegenwärtige Gedicht verdient unter diesen
Versuchen entschieden den Vorzug. Der Verfasser hat den Ton gefunden, der im
ganzen zu dem Gegenstande paßt, wenn er auch etwas hölzerner ist, als die
Nachahmung der alterthümlichen Art und Weise grade erfordert. Diese Nach¬
bildung der Stimmung scheint ver Dichter als die Hauptaufgabe betrachtet zu
haben, die Erzählung selbst ist nicht sehr lebhaft.—




Die Leiden Oberschlesiens.

Vor kurzem brachte dieses Blatt eine kulturhistorische Skizze oberschlesischer
Zustände. In der lebendigen und wahrheitstreuen Schilderung fand Schreiber
dieses eine Aufforderung zur Prüfung der großen Aufgabe, welche das Schick¬
sal dieses preußischen Irland dem Staatsmann darbietet. Wenn ich dabei
auf politische Forderungen zurückkomme, welche im Lause der letzten Jahre oft
genug vertheidigt, angefochten und verworfen sind, so halte ich das für einen
Gewinn.

In der erwähnten Skizze ist das städtische Leben in Oberschlesten mit
Recht außer Acht gelassen. Obgleich nämlich Oberschlesien reich an kleinen
Städten ist, so haben dieselben doch keine höhere industrielle Bedeutung und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/421>, abgerufen am 26.06.2024.