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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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über Laube: "Ich erstaune über diese Breite der doch marklosen Zeichnung der
Charaktere, der phantasieloser Erfindung der Situationen, die er nicht anders
verwickeln kann, als indem er alle Menschen aus ihrem Charakter fallen läßt,
wodurch dann Verlegenheiten und Schicksale entstehen, die einem gleichgiltig
werden, da die Menschen sogleich mit ihnen allen Gehalt, alle Möglichkeit ver¬
lieren. Die Heldin ist blos eine Masse, und dabei eine so materielle, daß
man ihr Schicksal kaum erwarten kann, um sie loszuwerden, und damit alle
ihre Mißgriffe."-- Wir haben diese Bemerkungen nicht um ihres kritischen Inhalts
willen mitgetheilt, sondern weil sich darin das künstlerische Princip der Ver¬
fasserin ausspricht, das Princip, welches nach unsrer Ueberzeugung ihren Er-
folg vorzugsweise Vermittelthat. Das Princip der Romantiker wie der
Jungdeutschen war, über ihre eignen Schöpfungen heraus zu
sein, sie durch Reflexion und Ironie auszulösen; wenn nun von
einem zwar nicht übertriebenen, aber doch achtbaren Talente einmal die ent¬
gegengesetzte Richtung eingeschlagen, wenn die Einbildungskraft vom wirklichen
Glauben getragen wurde, so ist es gewiß kein schlechtes Zeichen, wenn dieselbe
Beifall findet und wenn man ihr zu Liebe auch manche Schwächen übersieht-
--- Der Verleger bereitet eine Gesammtausgabe vor, von der bereits vier Lie¬
ferungen erschienen sind; wir glauben, daß auch diese sich im Publicum Geltung
verschaffen wird. --


Amerikanisches Lesecab in et. Pesth und Leipzig, Hartleben. --

Die Sammlung enthält bis jetzt die drei Romane: Glanz und Elend
tMsdion a,mal ?amene) von Mrs. Ann S. Siephens; Jda May von Mrs.
Langdon, und Abenteuer eines Landkrämers von I. B. Jones; jeder derselben
in 3 Bdn. vollendet. -- Ueber den ersten Roman, der in England und Nord¬
amerika ein außerordentliches Aufsehen gemacht hat, haben wir bereits bei
Gelegenheit einer andern Uebersetzung referirt. Wir können auf das damals
ausgesprochene' Urtheil nur zurückkommen. Die Verfasserin besitzt ein glän¬
zendes descriptives Talent; einzelne Scenen sind von einer wunderbaren Lieb¬
lichkeit und Frische; ihre Charakteristik dagegen ist mehr äußerlich als innerlich,
und ihr lebhaftes sittliches Gefühl hat kein festes Princip, es ist nlso unsicher
und schwankend. Die Katastrophe ist abscheulich, und durch den mehr ange¬
klebten, als organisch aus der Geschichte sich entwickelnden Schluß wird man
keineswegs versöhnt. -- Jda May hat in der Anlage viele Aehnlichkeit mit
dem Onkel.Tom. Es wird die Verderbniß der Sitten, die mit dem Sklaven¬
handel zusammenhängt, sehr ausführlich geschildert, und die Fabel ist mit
einem strengchristlichen Sinn behandelt. Es ist sonderbar, daß die Verfasserin
hin und wieder für das Bedenkliche, das mit der Aufnahme der Religion
durch die Phantasie verknüpft ist, eine ziemlich lebhafte Empfindung hat, daß


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über Laube: „Ich erstaune über diese Breite der doch marklosen Zeichnung der
Charaktere, der phantasieloser Erfindung der Situationen, die er nicht anders
verwickeln kann, als indem er alle Menschen aus ihrem Charakter fallen läßt,
wodurch dann Verlegenheiten und Schicksale entstehen, die einem gleichgiltig
werden, da die Menschen sogleich mit ihnen allen Gehalt, alle Möglichkeit ver¬
lieren. Die Heldin ist blos eine Masse, und dabei eine so materielle, daß
man ihr Schicksal kaum erwarten kann, um sie loszuwerden, und damit alle
ihre Mißgriffe."— Wir haben diese Bemerkungen nicht um ihres kritischen Inhalts
willen mitgetheilt, sondern weil sich darin das künstlerische Princip der Ver¬
fasserin ausspricht, das Princip, welches nach unsrer Ueberzeugung ihren Er-
folg vorzugsweise Vermittelthat. Das Princip der Romantiker wie der
Jungdeutschen war, über ihre eignen Schöpfungen heraus zu
sein, sie durch Reflexion und Ironie auszulösen; wenn nun von
einem zwar nicht übertriebenen, aber doch achtbaren Talente einmal die ent¬
gegengesetzte Richtung eingeschlagen, wenn die Einbildungskraft vom wirklichen
Glauben getragen wurde, so ist es gewiß kein schlechtes Zeichen, wenn dieselbe
Beifall findet und wenn man ihr zu Liebe auch manche Schwächen übersieht-
-— Der Verleger bereitet eine Gesammtausgabe vor, von der bereits vier Lie¬
ferungen erschienen sind; wir glauben, daß auch diese sich im Publicum Geltung
verschaffen wird. —


Amerikanisches Lesecab in et. Pesth und Leipzig, Hartleben. —

Die Sammlung enthält bis jetzt die drei Romane: Glanz und Elend
tMsdion a,mal ?amene) von Mrs. Ann S. Siephens; Jda May von Mrs.
Langdon, und Abenteuer eines Landkrämers von I. B. Jones; jeder derselben
in 3 Bdn. vollendet. — Ueber den ersten Roman, der in England und Nord¬
amerika ein außerordentliches Aufsehen gemacht hat, haben wir bereits bei
Gelegenheit einer andern Uebersetzung referirt. Wir können auf das damals
ausgesprochene' Urtheil nur zurückkommen. Die Verfasserin besitzt ein glän¬
zendes descriptives Talent; einzelne Scenen sind von einer wunderbaren Lieb¬
lichkeit und Frische; ihre Charakteristik dagegen ist mehr äußerlich als innerlich,
und ihr lebhaftes sittliches Gefühl hat kein festes Princip, es ist nlso unsicher
und schwankend. Die Katastrophe ist abscheulich, und durch den mehr ange¬
klebten, als organisch aus der Geschichte sich entwickelnden Schluß wird man
keineswegs versöhnt. — Jda May hat in der Anlage viele Aehnlichkeit mit
dem Onkel.Tom. Es wird die Verderbniß der Sitten, die mit dem Sklaven¬
handel zusammenhängt, sehr ausführlich geschildert, und die Fabel ist mit
einem strengchristlichen Sinn behandelt. Es ist sonderbar, daß die Verfasserin
hin und wieder für das Bedenkliche, das mit der Aufnahme der Religion
durch die Phantasie verknüpft ist, eine ziemlich lebhafte Empfindung hat, daß


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[0419] über Laube: „Ich erstaune über diese Breite der doch marklosen Zeichnung der Charaktere, der phantasieloser Erfindung der Situationen, die er nicht anders verwickeln kann, als indem er alle Menschen aus ihrem Charakter fallen läßt, wodurch dann Verlegenheiten und Schicksale entstehen, die einem gleichgiltig werden, da die Menschen sogleich mit ihnen allen Gehalt, alle Möglichkeit ver¬ lieren. Die Heldin ist blos eine Masse, und dabei eine so materielle, daß man ihr Schicksal kaum erwarten kann, um sie loszuwerden, und damit alle ihre Mißgriffe."— Wir haben diese Bemerkungen nicht um ihres kritischen Inhalts willen mitgetheilt, sondern weil sich darin das künstlerische Princip der Ver¬ fasserin ausspricht, das Princip, welches nach unsrer Ueberzeugung ihren Er- folg vorzugsweise Vermittelthat. Das Princip der Romantiker wie der Jungdeutschen war, über ihre eignen Schöpfungen heraus zu sein, sie durch Reflexion und Ironie auszulösen; wenn nun von einem zwar nicht übertriebenen, aber doch achtbaren Talente einmal die ent¬ gegengesetzte Richtung eingeschlagen, wenn die Einbildungskraft vom wirklichen Glauben getragen wurde, so ist es gewiß kein schlechtes Zeichen, wenn dieselbe Beifall findet und wenn man ihr zu Liebe auch manche Schwächen übersieht- -— Der Verleger bereitet eine Gesammtausgabe vor, von der bereits vier Lie¬ ferungen erschienen sind; wir glauben, daß auch diese sich im Publicum Geltung verschaffen wird. — Amerikanisches Lesecab in et. Pesth und Leipzig, Hartleben. — Die Sammlung enthält bis jetzt die drei Romane: Glanz und Elend tMsdion a,mal ?amene) von Mrs. Ann S. Siephens; Jda May von Mrs. Langdon, und Abenteuer eines Landkrämers von I. B. Jones; jeder derselben in 3 Bdn. vollendet. — Ueber den ersten Roman, der in England und Nord¬ amerika ein außerordentliches Aufsehen gemacht hat, haben wir bereits bei Gelegenheit einer andern Uebersetzung referirt. Wir können auf das damals ausgesprochene' Urtheil nur zurückkommen. Die Verfasserin besitzt ein glän¬ zendes descriptives Talent; einzelne Scenen sind von einer wunderbaren Lieb¬ lichkeit und Frische; ihre Charakteristik dagegen ist mehr äußerlich als innerlich, und ihr lebhaftes sittliches Gefühl hat kein festes Princip, es ist nlso unsicher und schwankend. Die Katastrophe ist abscheulich, und durch den mehr ange¬ klebten, als organisch aus der Geschichte sich entwickelnden Schluß wird man keineswegs versöhnt. — Jda May hat in der Anlage viele Aehnlichkeit mit dem Onkel.Tom. Es wird die Verderbniß der Sitten, die mit dem Sklaven¬ handel zusammenhängt, sehr ausführlich geschildert, und die Fabel ist mit einem strengchristlichen Sinn behandelt. Es ist sonderbar, daß die Verfasserin hin und wieder für das Bedenkliche, das mit der Aufnahme der Religion durch die Phantasie verknüpft ist, eine ziemlich lebhafte Empfindung hat, daß 32*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/419>, abgerufen am 26.06.2024.