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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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dieser Kampf der Ansichten noch lebhafter, denn das monarchische Princip war
dies Mal stärker und unmittelbarer ausgesprochen; doch wurde dadurch die
Zahl ihrer Anhänger namentlich in Oestreich verstärkt. -- Der vierte Roman:
"Jacob van der Nees", 1853, hatte eigentlich nur noch eine sueeos et'esUmc;.
Zwei Jahre darauf starb ihr Bruder; Henriette Paalzow folgte ihm im
October 1847, als Frau allgemein geachtet, und mit Recht, wie sich auch aus
dem vorliegenden Briefwechsel ergibt. -- Was ihren dichterischen Erfolg be¬
trifft, so ging er allerdings zum Theil aus dem Interesse hervor, welches die
vornehme Welt an der Verfasserin nahm, die gewissermaßen in ihren Kreis
gehörte und deren Tendenz es war, die gute Sache zu verherrlichen. Allein
dieser äußerliche Grund reicht doch keineswegs aus. . Sehr lehrreich ist, was
sie S. 132 über ihr Verhältniß zu Tieck sagt: "Seine Richtung muß die
meinige, wenn ich ohne Anmaßung mich so ausdrücken darf, für eine Beleidigung
ansehen. Seine negirende, ironische Weise, die Welt anzusehen und ihre Zer¬
würfnisse hervorzuheben, sie in großen, sichtlichen Wunden zu zerreißen und
ihre Heilung durch eine verächtliche Hoffnungslosigkeit für alle Zustände in
Zweifel zu stellen, -- hat die Versöhnung bei ihm in ein rein phantastisches
Gebiet verwiesen, das sich vom Leben ganz ablöst und dasselbe grollend isolirt,
indem es jenes zwar mit poetischem Zauber, aber ohne Wesenheit, ohne abso¬
lute Wahrheit, abgerissen von dem Vorhandenen, auffaßt. Die Versöhnung,
die ich aus dem Leben selbst gewinnen will -- der Nachweis, den ich suche,
daß das Uebel wirklich kleiner ist als die Wunde, die wir sehen -- das
Geheimniß der Schönheit und Poesie, das für mich nicht in der Trennung
von dem wirklichen Leben, sondern in seiner innigen warmen Auffassung, wie
der süße Kern in der rauhen Schale ruht -- dieses gläubige Vertrauen, daß
die Wunden besser heilen, wenn wir nicht den Verband wegreißen und spot¬
tend zeigen, wie groß sie sind, sondern mit dem Ernst religiöser Wahrheit ihre
Ursache nachzuweisen suchen, um auf diesem Wege dem Schwankenden festen
Boden zu zeigen und der Welt ihre ewige Harmonie zu retten; das sind Rich¬
tungen, die ihn beleidigen müssen, da er jene Geißel, die er wie seine ganze
Schule schwingt, für seine ganze Zeit geflochten zu haben glaubt!" -- Ferner
über die Gräfin Hahn-Hahn: "Das sind für mich liederliche Bücher! Gewiß
hat sie Geist, aber keine Gesinnung, Erfahrung, Beobachtung auf dem schmu-
zigsten Terrain; Redefluß und Gewandtheit des Stils, aber Halbheit der Ge¬
danken, halbe Wahrheiten, halbe Anschauungen! Sie ist das Product der trau¬
rigsten Richtung unsrer Zeit; von einer selbstbereiteten schiefen Stellung aus
sieht sie das Leben so verschoben, daß ihr nichts wie der Ueberdruß bleibt und
die ironisirende Herbigkeit, mit der sie alle Zustände zubereitet, daß sie ihr dann
unterliegen müssen. Sie hat kein ästhetisches Bedürfniß, kein religiöses, kein
sittliches -- darum sucht sie es in der ganzen Welt zu negiren." -- Endlich


dieser Kampf der Ansichten noch lebhafter, denn das monarchische Princip war
dies Mal stärker und unmittelbarer ausgesprochen; doch wurde dadurch die
Zahl ihrer Anhänger namentlich in Oestreich verstärkt. — Der vierte Roman:
„Jacob van der Nees", 1853, hatte eigentlich nur noch eine sueeos et'esUmc;.
Zwei Jahre darauf starb ihr Bruder; Henriette Paalzow folgte ihm im
October 1847, als Frau allgemein geachtet, und mit Recht, wie sich auch aus
dem vorliegenden Briefwechsel ergibt. — Was ihren dichterischen Erfolg be¬
trifft, so ging er allerdings zum Theil aus dem Interesse hervor, welches die
vornehme Welt an der Verfasserin nahm, die gewissermaßen in ihren Kreis
gehörte und deren Tendenz es war, die gute Sache zu verherrlichen. Allein
dieser äußerliche Grund reicht doch keineswegs aus. . Sehr lehrreich ist, was
sie S. 132 über ihr Verhältniß zu Tieck sagt: „Seine Richtung muß die
meinige, wenn ich ohne Anmaßung mich so ausdrücken darf, für eine Beleidigung
ansehen. Seine negirende, ironische Weise, die Welt anzusehen und ihre Zer¬
würfnisse hervorzuheben, sie in großen, sichtlichen Wunden zu zerreißen und
ihre Heilung durch eine verächtliche Hoffnungslosigkeit für alle Zustände in
Zweifel zu stellen, — hat die Versöhnung bei ihm in ein rein phantastisches
Gebiet verwiesen, das sich vom Leben ganz ablöst und dasselbe grollend isolirt,
indem es jenes zwar mit poetischem Zauber, aber ohne Wesenheit, ohne abso¬
lute Wahrheit, abgerissen von dem Vorhandenen, auffaßt. Die Versöhnung,
die ich aus dem Leben selbst gewinnen will — der Nachweis, den ich suche,
daß das Uebel wirklich kleiner ist als die Wunde, die wir sehen — das
Geheimniß der Schönheit und Poesie, das für mich nicht in der Trennung
von dem wirklichen Leben, sondern in seiner innigen warmen Auffassung, wie
der süße Kern in der rauhen Schale ruht — dieses gläubige Vertrauen, daß
die Wunden besser heilen, wenn wir nicht den Verband wegreißen und spot¬
tend zeigen, wie groß sie sind, sondern mit dem Ernst religiöser Wahrheit ihre
Ursache nachzuweisen suchen, um auf diesem Wege dem Schwankenden festen
Boden zu zeigen und der Welt ihre ewige Harmonie zu retten; das sind Rich¬
tungen, die ihn beleidigen müssen, da er jene Geißel, die er wie seine ganze
Schule schwingt, für seine ganze Zeit geflochten zu haben glaubt!" — Ferner
über die Gräfin Hahn-Hahn: „Das sind für mich liederliche Bücher! Gewiß
hat sie Geist, aber keine Gesinnung, Erfahrung, Beobachtung auf dem schmu-
zigsten Terrain; Redefluß und Gewandtheit des Stils, aber Halbheit der Ge¬
danken, halbe Wahrheiten, halbe Anschauungen! Sie ist das Product der trau¬
rigsten Richtung unsrer Zeit; von einer selbstbereiteten schiefen Stellung aus
sieht sie das Leben so verschoben, daß ihr nichts wie der Ueberdruß bleibt und
die ironisirende Herbigkeit, mit der sie alle Zustände zubereitet, daß sie ihr dann
unterliegen müssen. Sie hat kein ästhetisches Bedürfniß, kein religiöses, kein
sittliches — darum sucht sie es in der ganzen Welt zu negiren." — Endlich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/418>, abgerufen am 26.06.2024.