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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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genialen Befähigung, Gewiß O von allen Staaten Deutschlands Oestreich
der noch am wenigsten gebundene; es wird in diesem Augenblick von einem
verständigen und entschlossenen Willen geleitet, und doch wie schüchtern, lang¬
sam und bedenklich sind seine Schritte. Nun vollends die kleineren Staaten,
selbst Preußen nicht ausgenommen! Da sind zunächst Rücksichten auf die recht¬
lichen Verhältnisse, auf den Bundestag, auf Verträge, auf Verfassung und
dergleichen zu nehmen; dann die hundertfältiger Familienrücksichten, dann die
seltsame Lage des Gebiets, durch welche immer jeder einzelne Staat den an¬
dern hemmt und bindet; dann die dreifache Gefahr, welche von Frankreich,
von Nußland, von der Revolution droht. Wenn nun diesem Gefühl der
Bedingtheit ein großer mächtiger Wille gegenübertritt, der aus dem Vollen
arbeitet, der alles Einzelne genau berechnet und doch niemals nöthig hat,
kleinlich zu verfahren und wenn dieser Wille zugleich als der höchste und
evelste Ausdruck der fürstlichen Machtvollkommenheit erscheint, die ein solidari¬
sches Interesse mit allen Regierungen verbindet, so kann man sich wol erklä¬
ren, daß dieser Zauber nachwirkt, auch wo man durch die Ueberzeugung des
Verstandes längst nach einer andern Seite getrieben wird. Aber dieser Zauber
vererbt sich nicht, er haftet an der Persönlichkeit. Jetzt sind die Geister an¬
ders disponirt, und der neue Monarch wird sich durch Concessionen erwerben
müssen, was der alte als ein verjährtes Recht in Anspruch nahm, ^us 8peI1
is brakön, wie der Dichter sagt, und die immanente Vernunft der Dinge
nimmt nun ihren natürlichen Verlauf; die Empfindungen, Sympathien, Vor¬
urtheile und dergleichen haben wieder ihren Gegenstand verloren, und die
Gewalt der Thatsachen, das darf man wol dreist aussprechen, entscheidet nicht
mehr sür Rußland.

Und so sind wir wol nicht zu voreilig, wenn wir aus diesem Ereigniß
Friedenshoffnungen herleiten, und zwar nicht die Aussicht eines faulen Frie¬
dens, der uns noch "or einigen Monaten bedrohte, über den wir die einzige
Gelegenheit verloren hätten, durch die Gesammtwirkung Europas die russische
Uebermacht zu brechen, sondern eines Friedens, der uns Garantien gibt für
die Zukunft; aber wir wollen nicht das Geschick durch Uebermuth herausfor¬
dern. Man hat im letzten Jahr in Frankreich und England ungebürlich die
Person des Kaisers in den Streit hereingezogen; wir wollen jetzt handeln,
wie es in einem rechtschaffenen Kriege Sitte ist, wo dem großen und edeln
Feinde der Feind mit Ernst und Haltung und nicht ohne gerührt zu sein die
letzten Ehren erweist.




genialen Befähigung, Gewiß O von allen Staaten Deutschlands Oestreich
der noch am wenigsten gebundene; es wird in diesem Augenblick von einem
verständigen und entschlossenen Willen geleitet, und doch wie schüchtern, lang¬
sam und bedenklich sind seine Schritte. Nun vollends die kleineren Staaten,
selbst Preußen nicht ausgenommen! Da sind zunächst Rücksichten auf die recht¬
lichen Verhältnisse, auf den Bundestag, auf Verträge, auf Verfassung und
dergleichen zu nehmen; dann die hundertfältiger Familienrücksichten, dann die
seltsame Lage des Gebiets, durch welche immer jeder einzelne Staat den an¬
dern hemmt und bindet; dann die dreifache Gefahr, welche von Frankreich,
von Nußland, von der Revolution droht. Wenn nun diesem Gefühl der
Bedingtheit ein großer mächtiger Wille gegenübertritt, der aus dem Vollen
arbeitet, der alles Einzelne genau berechnet und doch niemals nöthig hat,
kleinlich zu verfahren und wenn dieser Wille zugleich als der höchste und
evelste Ausdruck der fürstlichen Machtvollkommenheit erscheint, die ein solidari¬
sches Interesse mit allen Regierungen verbindet, so kann man sich wol erklä¬
ren, daß dieser Zauber nachwirkt, auch wo man durch die Ueberzeugung des
Verstandes längst nach einer andern Seite getrieben wird. Aber dieser Zauber
vererbt sich nicht, er haftet an der Persönlichkeit. Jetzt sind die Geister an¬
ders disponirt, und der neue Monarch wird sich durch Concessionen erwerben
müssen, was der alte als ein verjährtes Recht in Anspruch nahm, ^us 8peI1
is brakön, wie der Dichter sagt, und die immanente Vernunft der Dinge
nimmt nun ihren natürlichen Verlauf; die Empfindungen, Sympathien, Vor¬
urtheile und dergleichen haben wieder ihren Gegenstand verloren, und die
Gewalt der Thatsachen, das darf man wol dreist aussprechen, entscheidet nicht
mehr sür Rußland.

Und so sind wir wol nicht zu voreilig, wenn wir aus diesem Ereigniß
Friedenshoffnungen herleiten, und zwar nicht die Aussicht eines faulen Frie¬
dens, der uns noch "or einigen Monaten bedrohte, über den wir die einzige
Gelegenheit verloren hätten, durch die Gesammtwirkung Europas die russische
Uebermacht zu brechen, sondern eines Friedens, der uns Garantien gibt für
die Zukunft; aber wir wollen nicht das Geschick durch Uebermuth herausfor¬
dern. Man hat im letzten Jahr in Frankreich und England ungebürlich die
Person des Kaisers in den Streit hereingezogen; wir wollen jetzt handeln,
wie es in einem rechtschaffenen Kriege Sitte ist, wo dem großen und edeln
Feinde der Feind mit Ernst und Haltung und nicht ohne gerührt zu sein die
letzten Ehren erweist.




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[0414] genialen Befähigung, Gewiß O von allen Staaten Deutschlands Oestreich der noch am wenigsten gebundene; es wird in diesem Augenblick von einem verständigen und entschlossenen Willen geleitet, und doch wie schüchtern, lang¬ sam und bedenklich sind seine Schritte. Nun vollends die kleineren Staaten, selbst Preußen nicht ausgenommen! Da sind zunächst Rücksichten auf die recht¬ lichen Verhältnisse, auf den Bundestag, auf Verträge, auf Verfassung und dergleichen zu nehmen; dann die hundertfältiger Familienrücksichten, dann die seltsame Lage des Gebiets, durch welche immer jeder einzelne Staat den an¬ dern hemmt und bindet; dann die dreifache Gefahr, welche von Frankreich, von Nußland, von der Revolution droht. Wenn nun diesem Gefühl der Bedingtheit ein großer mächtiger Wille gegenübertritt, der aus dem Vollen arbeitet, der alles Einzelne genau berechnet und doch niemals nöthig hat, kleinlich zu verfahren und wenn dieser Wille zugleich als der höchste und evelste Ausdruck der fürstlichen Machtvollkommenheit erscheint, die ein solidari¬ sches Interesse mit allen Regierungen verbindet, so kann man sich wol erklä¬ ren, daß dieser Zauber nachwirkt, auch wo man durch die Ueberzeugung des Verstandes längst nach einer andern Seite getrieben wird. Aber dieser Zauber vererbt sich nicht, er haftet an der Persönlichkeit. Jetzt sind die Geister an¬ ders disponirt, und der neue Monarch wird sich durch Concessionen erwerben müssen, was der alte als ein verjährtes Recht in Anspruch nahm, ^us 8peI1 is brakön, wie der Dichter sagt, und die immanente Vernunft der Dinge nimmt nun ihren natürlichen Verlauf; die Empfindungen, Sympathien, Vor¬ urtheile und dergleichen haben wieder ihren Gegenstand verloren, und die Gewalt der Thatsachen, das darf man wol dreist aussprechen, entscheidet nicht mehr sür Rußland. Und so sind wir wol nicht zu voreilig, wenn wir aus diesem Ereigniß Friedenshoffnungen herleiten, und zwar nicht die Aussicht eines faulen Frie¬ dens, der uns noch "or einigen Monaten bedrohte, über den wir die einzige Gelegenheit verloren hätten, durch die Gesammtwirkung Europas die russische Uebermacht zu brechen, sondern eines Friedens, der uns Garantien gibt für die Zukunft; aber wir wollen nicht das Geschick durch Uebermuth herausfor¬ dern. Man hat im letzten Jahr in Frankreich und England ungebürlich die Person des Kaisers in den Streit hereingezogen; wir wollen jetzt handeln, wie es in einem rechtschaffenen Kriege Sitte ist, wo dem großen und edeln Feinde der Feind mit Ernst und Haltung und nicht ohne gerührt zu sein die letzten Ehren erweist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/414>, abgerufen am 26.06.2024.