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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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scheidend zum Unheil Deutschlands. Wer nur einmal den Kaiser gesehen,
konnte sich den Zauber dieser Persönlichkeit wol erklären, und an diesen Punkt
knüpft sich nun das Tragische in dem Geschick des Kaisers. Er hatte sein
ganzes Lebenlang Gelegenheit genug gehabt, sich von der Macht seines per¬
sönlichen Eindrucks zu überzeugen, und so begegnete ihm denn am Ende seines
Lebens, daß er dieselbe überschätzte; er überschätzte sie in seinem persönlichen
Verhältniß zu Lord Aberdeen, indem er die Erbweisheit einer constitutionellen
Politik zu niedrig anschlug im Verhältniß zum Gewicht eines einzelnen Mannes;
er überschätzte sie noch mehr in seiner Auffassung Oestreichs. Mit einem ge¬
wissen Uebermuth hatten die russischen Heerführer die Jnsurrection Ungarns
niedergeworfen, mehr aber noch rechnete Nikolaus auf den Zauber, den er aus
die Seele des jungen Kaisers von Oestreich ausübte. Dieser Zauber war in
der That sehr groß und bei einer edelgeschaffenen und empfänglichen Natur wol
zu erklären. Nun aber trug sich schon damals der Volksmund mit einer Sage,
die wenigstens ebensoviel ideale Wahrheit hat, als alle Volksmythen: Fürst
Schwarzenberg habe erklärt, er warte nur eine günstige Gelegenheit ab, um
einen Act recht eclatanter Undankbarkeit zu begehen. Gewichtiger noch als
diese Stimme mußte die ernste Warnung des Fürsten Metternich sein. Der
russische Botschafter überhörte diese, und Kaiser Nikolaus glaubte dem Sir
Hamilton Seymour erklären zu dürfen, Oestreich wolle durchaus, was Nußland
wolle. Vielleicht hat diese Erklärung die Wendung beschleunigt, die im Laus
der Zeit allerdings nicht ausbleiben konnte, die aber in jenem Augenblick ent¬
scheidend war. So wurde denn durch einen einzigen Rechnungsfehler das
ganze Gebäude umgestoßen, welches eine lange arbeitsame und entschlossene Re¬
gierung gegründet hatte, umgestoßen in einer Zeit, wo es gar nicht nöthig war,
denn die Sendung des Fürsten Menschikoff war nicht ein Act berechneter Politik,
sie war hervorgerufen durch die Sendung des Grafen Leiningen und nur ein
Ausfluß des beleidigten Stolzes. Es ist das ein tragisches Schicksal für den,
welchen es betrifft, aber zugleich ein Finger der Vorsehung, durch welchen die
Weisheit der Sterblichen vor den Thoren zu Schanden wird.

Die deutschen Regierungen standen gegen Kaiser Nikolaus immer in ei¬
nem eigenthümlichen Verhältniß. Die Demokratie suchte es als eine Furcht
vor der russischen Uebermacht auszudeuten, aber gewiß mit Unrecht. Es war
ein Pietätsgefühl, das nicht der Stellung, sondern der Person galt. Ein in
großen Zügen sich entfaltender energischer und entschlossener Glaube an seine
Bestimmung bei einer an und für sich achtunggebietenden Persönlichkeit wirkt
dann am lebhaftesten, wenn man sich selbst durch tausend kleine Rücksichten
und Hindernisse beengt und befangen fühlt. Man macht zuweilen an die
deutschen Fürsten ungerechte Anforderungen. Um sich aus diesem Netz der
verwickeltsten Beziehungen und Bedingungen herauszuarbeiten, bedarf ?s, einer


scheidend zum Unheil Deutschlands. Wer nur einmal den Kaiser gesehen,
konnte sich den Zauber dieser Persönlichkeit wol erklären, und an diesen Punkt
knüpft sich nun das Tragische in dem Geschick des Kaisers. Er hatte sein
ganzes Lebenlang Gelegenheit genug gehabt, sich von der Macht seines per¬
sönlichen Eindrucks zu überzeugen, und so begegnete ihm denn am Ende seines
Lebens, daß er dieselbe überschätzte; er überschätzte sie in seinem persönlichen
Verhältniß zu Lord Aberdeen, indem er die Erbweisheit einer constitutionellen
Politik zu niedrig anschlug im Verhältniß zum Gewicht eines einzelnen Mannes;
er überschätzte sie noch mehr in seiner Auffassung Oestreichs. Mit einem ge¬
wissen Uebermuth hatten die russischen Heerführer die Jnsurrection Ungarns
niedergeworfen, mehr aber noch rechnete Nikolaus auf den Zauber, den er aus
die Seele des jungen Kaisers von Oestreich ausübte. Dieser Zauber war in
der That sehr groß und bei einer edelgeschaffenen und empfänglichen Natur wol
zu erklären. Nun aber trug sich schon damals der Volksmund mit einer Sage,
die wenigstens ebensoviel ideale Wahrheit hat, als alle Volksmythen: Fürst
Schwarzenberg habe erklärt, er warte nur eine günstige Gelegenheit ab, um
einen Act recht eclatanter Undankbarkeit zu begehen. Gewichtiger noch als
diese Stimme mußte die ernste Warnung des Fürsten Metternich sein. Der
russische Botschafter überhörte diese, und Kaiser Nikolaus glaubte dem Sir
Hamilton Seymour erklären zu dürfen, Oestreich wolle durchaus, was Nußland
wolle. Vielleicht hat diese Erklärung die Wendung beschleunigt, die im Laus
der Zeit allerdings nicht ausbleiben konnte, die aber in jenem Augenblick ent¬
scheidend war. So wurde denn durch einen einzigen Rechnungsfehler das
ganze Gebäude umgestoßen, welches eine lange arbeitsame und entschlossene Re¬
gierung gegründet hatte, umgestoßen in einer Zeit, wo es gar nicht nöthig war,
denn die Sendung des Fürsten Menschikoff war nicht ein Act berechneter Politik,
sie war hervorgerufen durch die Sendung des Grafen Leiningen und nur ein
Ausfluß des beleidigten Stolzes. Es ist das ein tragisches Schicksal für den,
welchen es betrifft, aber zugleich ein Finger der Vorsehung, durch welchen die
Weisheit der Sterblichen vor den Thoren zu Schanden wird.

Die deutschen Regierungen standen gegen Kaiser Nikolaus immer in ei¬
nem eigenthümlichen Verhältniß. Die Demokratie suchte es als eine Furcht
vor der russischen Uebermacht auszudeuten, aber gewiß mit Unrecht. Es war
ein Pietätsgefühl, das nicht der Stellung, sondern der Person galt. Ein in
großen Zügen sich entfaltender energischer und entschlossener Glaube an seine
Bestimmung bei einer an und für sich achtunggebietenden Persönlichkeit wirkt
dann am lebhaftesten, wenn man sich selbst durch tausend kleine Rücksichten
und Hindernisse beengt und befangen fühlt. Man macht zuweilen an die
deutschen Fürsten ungerechte Anforderungen. Um sich aus diesem Netz der
verwickeltsten Beziehungen und Bedingungen herauszuarbeiten, bedarf ?s, einer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/413>, abgerufen am 26.06.2024.