Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.willig in seinen Dienst zwang, ist nicht mehr und die Gegensätze haben wieder Weit größer und folgenreicher aber werden die Veränderungen sein, die willig in seinen Dienst zwang, ist nicht mehr und die Gegensätze haben wieder Weit größer und folgenreicher aber werden die Veränderungen sein, die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0412" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/99264"/> <p xml:id="ID_1463" prev="#ID_1462"> willig in seinen Dienst zwang, ist nicht mehr und die Gegensätze haben wieder<lb/> freies Spiel gewonnen. Das Gerücht knüpft diese Gegensätze an die Persön¬<lb/> lichkeiten der beiden Ältesten Söhne des Kaisers. Wir wissen nicht, inwieweit<lb/> es gegründet ist, hegen auch keineswegs.die Ansicht, daß sie jetzt in dieser<lb/> gewaltigen Krisis zum Ausbruch kommen werden, da Nikolaus über die Ein¬<lb/> heit der Familie kräftig gewacht hat, aber — es fehlt die zweifellose Sicherheit<lb/> in den Entschlüssen und das ist für die Leitung eines so unförmlichen Reichs<lb/> die Hauptsache. Der Kaiser hat für die Ausführung seiner Ideen sehr tüch¬<lb/> tige, intelligente und entschlossene Diener gefunden; in seiner mächtigen Hand<lb/> waren sie blos Werkzeuge, die nicht willenlos, sondern mit Eifer und Jubel<lb/> für seine Zwecke arbeiteten. Man würde aber sehr irren, wenn man annehmen<lb/> wollte, jede beliebige Hand könne sie nun wieder als Werkzeuge gebrauchen.<lb/> Es ist ein ziemlich weitverbreiteter Irrthum, daß bei einer despotischen Re¬<lb/> gierungsform alle Diener des Reichs eine servile Gesinnung haben müßten.<lb/> Die Verehrung eines kräftigen Menschen vor einer überlegenen Natur ist noch<lb/> kein Servilismus, und die Diener, die Kaiser Nikolaus herangebildet, sind<lb/> zum Theil gar nicht geschmeidige und lenksame Naturen, auf der andern Seite<lb/> haben sie aber auch nicht Unabhängigkeit und Selbständigkeit genug, um<lb/> ohne die Leitung einer gebietenden Hand sich des Reichs anzunehmen, denn<lb/> sie sind an strengen Dienst gewöhnt und was, in Oestreich zu Ende deS<lb/> Jahres 1848 geschah, daß die Generale des Reichs nach eignem Entschluß den<lb/> aus den Fugen gehenden Staat wiederherstellten, würde in Rußland große<lb/> Schwierigkeiten finden. Welche Wendung also auch die innern Angelegenheiten<lb/> im erstell Augenblick nehmen mögen, ein gewisses Zaudern und Schwanken ist<lb/> unvermeidlich und das Uebergewicht des Kaisers über seine Feinde, das in<lb/> der Einheit und Festigkeit seines Willens lag, ist auf immer verloren. Viel¬<lb/> leicht erwirbt der Thronfolger das Uebergewicht wieder, aber für die Zeit der<lb/> Krisis kann er es nicht anwenden; vielleicht wird zu Anfang die russische<lb/> Politik dem Ausland mit noch größerer Schroffheit g.egenübertreten, aber Schroff¬<lb/> heit ist nicht dasselbe mit Festigkeit.</p><lb/> <p xml:id="ID_1464" next="#ID_1465"> Weit größer und folgenreicher aber werden die Veränderungen sein, die<lb/> in dem Einfluß Rußlands über die auswärtigen Fürsten eintreten. Man muß<lb/> es mit angesehen haben, wie Kaiser Nikolaus im Jahre 183-1 die Berliner<lb/> Garden anredete: „Nicht wahr, Kameraden, ihr werdet nie gegen mich fechten!" —<lb/> um sich zu überzeugen, daß der Eindruck dieser Worte nicht von der äußeren<lb/> Machtstellung des Redenden, nicht von seinem Verhältniß zum preußischen<lb/> Königshause, sondern vorzugsweise von seiner gebietenden Persönlichkeit her¬<lb/> rührte. Der Einfluß dieser Persönlichkeit wirkte bei den deutschen Fürsten und<lb/> ihren Regierungen vielleicht ebenso bedeutend, als die Kränkungen, die sie von<lb/> der Demokratie erlitten. ' Er war entscheidend im Jahre 18S0, und zwar ent-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0412]
willig in seinen Dienst zwang, ist nicht mehr und die Gegensätze haben wieder
freies Spiel gewonnen. Das Gerücht knüpft diese Gegensätze an die Persön¬
lichkeiten der beiden Ältesten Söhne des Kaisers. Wir wissen nicht, inwieweit
es gegründet ist, hegen auch keineswegs.die Ansicht, daß sie jetzt in dieser
gewaltigen Krisis zum Ausbruch kommen werden, da Nikolaus über die Ein¬
heit der Familie kräftig gewacht hat, aber — es fehlt die zweifellose Sicherheit
in den Entschlüssen und das ist für die Leitung eines so unförmlichen Reichs
die Hauptsache. Der Kaiser hat für die Ausführung seiner Ideen sehr tüch¬
tige, intelligente und entschlossene Diener gefunden; in seiner mächtigen Hand
waren sie blos Werkzeuge, die nicht willenlos, sondern mit Eifer und Jubel
für seine Zwecke arbeiteten. Man würde aber sehr irren, wenn man annehmen
wollte, jede beliebige Hand könne sie nun wieder als Werkzeuge gebrauchen.
Es ist ein ziemlich weitverbreiteter Irrthum, daß bei einer despotischen Re¬
gierungsform alle Diener des Reichs eine servile Gesinnung haben müßten.
Die Verehrung eines kräftigen Menschen vor einer überlegenen Natur ist noch
kein Servilismus, und die Diener, die Kaiser Nikolaus herangebildet, sind
zum Theil gar nicht geschmeidige und lenksame Naturen, auf der andern Seite
haben sie aber auch nicht Unabhängigkeit und Selbständigkeit genug, um
ohne die Leitung einer gebietenden Hand sich des Reichs anzunehmen, denn
sie sind an strengen Dienst gewöhnt und was, in Oestreich zu Ende deS
Jahres 1848 geschah, daß die Generale des Reichs nach eignem Entschluß den
aus den Fugen gehenden Staat wiederherstellten, würde in Rußland große
Schwierigkeiten finden. Welche Wendung also auch die innern Angelegenheiten
im erstell Augenblick nehmen mögen, ein gewisses Zaudern und Schwanken ist
unvermeidlich und das Uebergewicht des Kaisers über seine Feinde, das in
der Einheit und Festigkeit seines Willens lag, ist auf immer verloren. Viel¬
leicht erwirbt der Thronfolger das Uebergewicht wieder, aber für die Zeit der
Krisis kann er es nicht anwenden; vielleicht wird zu Anfang die russische
Politik dem Ausland mit noch größerer Schroffheit g.egenübertreten, aber Schroff¬
heit ist nicht dasselbe mit Festigkeit.
Weit größer und folgenreicher aber werden die Veränderungen sein, die
in dem Einfluß Rußlands über die auswärtigen Fürsten eintreten. Man muß
es mit angesehen haben, wie Kaiser Nikolaus im Jahre 183-1 die Berliner
Garden anredete: „Nicht wahr, Kameraden, ihr werdet nie gegen mich fechten!" —
um sich zu überzeugen, daß der Eindruck dieser Worte nicht von der äußeren
Machtstellung des Redenden, nicht von seinem Verhältniß zum preußischen
Königshause, sondern vorzugsweise von seiner gebietenden Persönlichkeit her¬
rührte. Der Einfluß dieser Persönlichkeit wirkte bei den deutschen Fürsten und
ihren Regierungen vielleicht ebenso bedeutend, als die Kränkungen, die sie von
der Demokratie erlitten. ' Er war entscheidend im Jahre 18S0, und zwar ent-
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