Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.Um so eher scheint min der Frühling sich einstellen zu wollen. Seit mehren Man sah in den letzten Tagen auswärts vonPera. in der Umgegend des Ich hege starken Verdacht, daß sich die vielen Räuberbanden, über deren Un¬ Um so eher scheint min der Frühling sich einstellen zu wollen. Seit mehren Man sah in den letzten Tagen auswärts vonPera. in der Umgegend des Ich hege starken Verdacht, daß sich die vielen Räuberbanden, über deren Un¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0406" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/99258"/> <p xml:id="ID_1443" prev="#ID_1442"> Um so eher scheint min der Frühling sich einstellen zu wollen. Seit mehren<lb/> Togen Hot der Regen und das Schneegestöber aufgehört, die im oftmaligen Wech¬<lb/> sel solange vorherrschten; der Himmel zeigt noch nicht das azurcne Blau, welches<lb/> der Sommer erst zu bringen pflegt, aber er ist licht, und wie leichter, durchsichtiger<lb/> Flor liegen die weißen Nebclwölkchen über ihn hin, nur am tiefen Horizont zu festern,<lb/> dem Auge Schranken setzenden Massen sich verdichtend. Dabei ist die Atmosphäre bewegt<lb/> und wird dann und wann von heftigen Windstößen durchschüttert. Das Meer geht<lb/> unruhig und nicht selten in hohen Wellen. Die ganze Natur zeigt eine Physiogno¬<lb/> mie, wie wenn die Aequinoctien vor der Thür waren und es nur einen Sprung<lb/> von wenigen Tagen gälte, um sich inmitten der ganzen Pracht des bosporischen<lb/> Lenzes zu befinden. Wir können noch bitter enttäuscht werden, denn es ist nicht<lb/> selten, daß plötzlich über die durch den warmen Schein der Febrnarsonne hervor¬<lb/> gezauberten Blumen ein weißer Schneemantel hinfällt oder doch mindestens rauhe<lb/> Winde aus Nord und in ihrem Gefolge kalte Regen die zarten Keime ersticken.</p><lb/> <p xml:id="ID_1444"> Man sah in den letzten Tagen auswärts vonPera. in der Umgegend des<lb/> großen Todtenfeldes tssi-einel ekamp) und selbst bis zu dem Thale von Flamur und<lb/> Ortaköj hin schon viele Spaziergänger. Die Wege sind noch nicht ganz prakticahel,<lb/> sie werden es aber nach und nach. Die Bodenart ist zumeist Letten, stark mit<lb/> Sand vermischt. Unten liegt eine dicke Platte von Mergelschiefer, die stellenweise<lb/> zutagcsteht. Es trocknet unter solchen Umständen ziemlich rasch; nur da, wo der<lb/> Letten überwiegt, hält sich das Wasser länger. Jetzt ziehen sich kleine Riesel allent¬<lb/> halben über Landstraßen und Felder (hierunter keine Ackerfelder verstanden) hin.<lb/> Der Nasen feiert die Zeit seines üppigsten Grüns, und kaum in England mag er<lb/> von strahlenderer Smaragdfarbe gefunden werden. Ununterbrochen zieht er sich hin<lb/> über Thäler und Hänge und Berge. Aber vielleicht macht schon die Märzsonne, ganz<lb/> sicher die des April und Mai, dieser Wonne ein Ende. Entfernt man sich einige<lb/> hundert Schritte von den letzten Häusern der Stadt, so möchte man vermuthen,<lb/> eher in Arkadien, wie hart an den Mauern einer Millionenstadt zu sein. Allent¬<lb/> halben weidende Herden: Rinder und Schafe. Die Hirten sehen ungleich wilder<lb/> aus, wie bei uus: rauhe Gestalten, eine Schafhaut oder ein Bärenfell als Mantel<lb/> übergehangen? im breiten Bund, der um die Hüften läuft, die unentbehrlichen Pisto¬<lb/> len mit breiten Steinschlössern und den Handschar. Sie stricken nicht, wie in<lb/> Deutschland, sondern rauchen den Tschibuck, dessen langes Rohr aus mehren Stücken<lb/> zusammensetzt ist, um es in die Tasche stecken zu können.</p><lb/> <p xml:id="ID_1445" next="#ID_1446"> Ich hege starken Verdacht, daß sich die vielen Räuberbanden, über deren Un¬<lb/> fug man noch vor mehren Jahren hier zu klagen hatte, zum großen Theil ans<lb/> diesen Hirten reerutirt haben. Letztere sind zumeist nicht Landescingeborene. Wie<lb/> in alter Zeit ist Konstantinopel noch heute Wanderziel der im Norden des Balkans<lb/> auf Verdienst ausgehenden Bevölkerung. Bulgaren, Montenegriner, Bosnier und<lb/> Kroaten mögen die stärksten Kontingente zu dem weitverzweigten Corps stellen, wel¬<lb/> ches die Stamhuler Herden hütet. Sie sind es auch, aus denen sich die Innung<lb/> der Wasserträger, der sogenannten Sakkas und Sutschis. formirt. Innerhalb der<lb/> Corporation der Lastträger befinden sich weniger Fremde, weil die hiesigen Arme¬<lb/> nier im gewissen Sinne ein Privilegium auf diesen Dienst besitzen und ihn ge¬<lb/> meinsam mit den unteren muselmanischcn Classen allein bestreikn. Dabei kann ich</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0406]
Um so eher scheint min der Frühling sich einstellen zu wollen. Seit mehren
Togen Hot der Regen und das Schneegestöber aufgehört, die im oftmaligen Wech¬
sel solange vorherrschten; der Himmel zeigt noch nicht das azurcne Blau, welches
der Sommer erst zu bringen pflegt, aber er ist licht, und wie leichter, durchsichtiger
Flor liegen die weißen Nebclwölkchen über ihn hin, nur am tiefen Horizont zu festern,
dem Auge Schranken setzenden Massen sich verdichtend. Dabei ist die Atmosphäre bewegt
und wird dann und wann von heftigen Windstößen durchschüttert. Das Meer geht
unruhig und nicht selten in hohen Wellen. Die ganze Natur zeigt eine Physiogno¬
mie, wie wenn die Aequinoctien vor der Thür waren und es nur einen Sprung
von wenigen Tagen gälte, um sich inmitten der ganzen Pracht des bosporischen
Lenzes zu befinden. Wir können noch bitter enttäuscht werden, denn es ist nicht
selten, daß plötzlich über die durch den warmen Schein der Febrnarsonne hervor¬
gezauberten Blumen ein weißer Schneemantel hinfällt oder doch mindestens rauhe
Winde aus Nord und in ihrem Gefolge kalte Regen die zarten Keime ersticken.
Man sah in den letzten Tagen auswärts vonPera. in der Umgegend des
großen Todtenfeldes tssi-einel ekamp) und selbst bis zu dem Thale von Flamur und
Ortaköj hin schon viele Spaziergänger. Die Wege sind noch nicht ganz prakticahel,
sie werden es aber nach und nach. Die Bodenart ist zumeist Letten, stark mit
Sand vermischt. Unten liegt eine dicke Platte von Mergelschiefer, die stellenweise
zutagcsteht. Es trocknet unter solchen Umständen ziemlich rasch; nur da, wo der
Letten überwiegt, hält sich das Wasser länger. Jetzt ziehen sich kleine Riesel allent¬
halben über Landstraßen und Felder (hierunter keine Ackerfelder verstanden) hin.
Der Nasen feiert die Zeit seines üppigsten Grüns, und kaum in England mag er
von strahlenderer Smaragdfarbe gefunden werden. Ununterbrochen zieht er sich hin
über Thäler und Hänge und Berge. Aber vielleicht macht schon die Märzsonne, ganz
sicher die des April und Mai, dieser Wonne ein Ende. Entfernt man sich einige
hundert Schritte von den letzten Häusern der Stadt, so möchte man vermuthen,
eher in Arkadien, wie hart an den Mauern einer Millionenstadt zu sein. Allent¬
halben weidende Herden: Rinder und Schafe. Die Hirten sehen ungleich wilder
aus, wie bei uus: rauhe Gestalten, eine Schafhaut oder ein Bärenfell als Mantel
übergehangen? im breiten Bund, der um die Hüften läuft, die unentbehrlichen Pisto¬
len mit breiten Steinschlössern und den Handschar. Sie stricken nicht, wie in
Deutschland, sondern rauchen den Tschibuck, dessen langes Rohr aus mehren Stücken
zusammensetzt ist, um es in die Tasche stecken zu können.
Ich hege starken Verdacht, daß sich die vielen Räuberbanden, über deren Un¬
fug man noch vor mehren Jahren hier zu klagen hatte, zum großen Theil ans
diesen Hirten reerutirt haben. Letztere sind zumeist nicht Landescingeborene. Wie
in alter Zeit ist Konstantinopel noch heute Wanderziel der im Norden des Balkans
auf Verdienst ausgehenden Bevölkerung. Bulgaren, Montenegriner, Bosnier und
Kroaten mögen die stärksten Kontingente zu dem weitverzweigten Corps stellen, wel¬
ches die Stamhuler Herden hütet. Sie sind es auch, aus denen sich die Innung
der Wasserträger, der sogenannten Sakkas und Sutschis. formirt. Innerhalb der
Corporation der Lastträger befinden sich weniger Fremde, weil die hiesigen Arme¬
nier im gewissen Sinne ein Privilegium auf diesen Dienst besitzen und ihn ge¬
meinsam mit den unteren muselmanischcn Classen allein bestreikn. Dabei kann ich
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