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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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ernsthaft durchdacht; allein wir können die Gewalt, die er der Geschichte an¬
gethan, nicht billigen. In dem dramatischen Entwurf von Schiller ist der
Demetrius ein großes historisches Schauspiel, welches dem Zuschauer, ohne
daß dieser nöthig hätte, irgendeine historische Bildung mitzubringen, die
äußern Voraussetzungen der Handlung und deren nothwendige Einwirkung auf
den Charakter des Helden vollkommen deutlich versinnlicht. Bei Grimm da¬
gegen finden wir Demetrius bereits auf dem Thron und ihm tritt ganz gegen
die Geschichte ein neuer Prätendent entgegen, von dem sich herausstellt, daß
er der echte Erbe der Zaren ist. Demetrius, der davon unterrichtet wird, läßt
sich durch seine falsche Stellung zum Versuch eines Verbrechens verleiten, dies
schlägt fehl, in ihm selbst siegt die bessere Natur und er tödtet sich, indem
er seinen Gegner als echten Kaiser anerkennt. In diesem'Gemälde ist nun jeder
Zug unhistorisch und das ist um so mißlicher, da durch Schiller die wirkliche
Geschichte allgemein bekannt ist. Aber wir haben auch die Ueberzeugung, daß
die wirkliche Geschichte, wie sie Schiller aufgefaßt hat, sich für das Drama
viel mehr eigne, als diese fingirte Geschichte. Wenn wir uns für Demetrius
und für den Conflict, der sich in seiner Seele zwischen dem Gewissen und der
Nothwendigkeit, seine Stellung zu behaupten, erhebt, interessiren sollen, so
müssen wir ihn zuerst in vollem Glauben handeln sehen; sein Schicksal muß
uns Theilnahme erregen, bevor er in Schuld verfällt; und dann ist es wieder
natürlicher, -- grade bei einer kräftigen Natur, -- daß die Folgen seiner That
sich äußerlich gegen ihn wenden, wie es in der Geschichte der Fall war, als
daß er in sich geht und dadurch, die Katastrophe herbeiführt. Wir verstehen'
wol den Grund des Dichters: er wollte zu der strengen concentrirten Form
der Alten zurückkehren und die Breite des Details, in welchem das historische
Schauspiel in der Regel den Nerv der Handlung erstickt, vermeiden. Allein
das historische Drama ist seiner Natur nach zum Theil ein äußerliches, d. h. es
basirt auf sittlichen Voraussetzungen, die wir nicht ohne weiteres mitbringen,
sondern die einer bestimmten Zeit angehören und die uns daher der Dichter
ausführlich schildern muß, wie es Schiller überall.gethan. Nach der Schiller-
schen ErPosition interessiren wir uns für die Frage, ob Demetrius echt oder
untergeschoben sei, ebenso eifrig, wie für die orientalische Frage;, bei Grimm
dagegen wird die Frage ganz unvermuthet und ohne Vorbereitung angeregt
und läßt uns daher kalt. --

Der dramatische Versuch von Albert Türcke ist ein wesentlicher Fort¬
schritt gegen sein früheres Stück: die Portenser; aber wir können es auch
nicht als gelungen bezeichnen. Der Verfasser ahmt Shakespeare mehr äußerlich
nach in der Verwirrung der Scenen, in der Häufung episodischer Figuren, in der
Gewaltsamkeit der Bilder :c., als innerlich in der großen Gewalt seiner Leiden¬
schaft, was freilich schwerer ist. Als Probe geben wir das Bruchstück eines


ernsthaft durchdacht; allein wir können die Gewalt, die er der Geschichte an¬
gethan, nicht billigen. In dem dramatischen Entwurf von Schiller ist der
Demetrius ein großes historisches Schauspiel, welches dem Zuschauer, ohne
daß dieser nöthig hätte, irgendeine historische Bildung mitzubringen, die
äußern Voraussetzungen der Handlung und deren nothwendige Einwirkung auf
den Charakter des Helden vollkommen deutlich versinnlicht. Bei Grimm da¬
gegen finden wir Demetrius bereits auf dem Thron und ihm tritt ganz gegen
die Geschichte ein neuer Prätendent entgegen, von dem sich herausstellt, daß
er der echte Erbe der Zaren ist. Demetrius, der davon unterrichtet wird, läßt
sich durch seine falsche Stellung zum Versuch eines Verbrechens verleiten, dies
schlägt fehl, in ihm selbst siegt die bessere Natur und er tödtet sich, indem
er seinen Gegner als echten Kaiser anerkennt. In diesem'Gemälde ist nun jeder
Zug unhistorisch und das ist um so mißlicher, da durch Schiller die wirkliche
Geschichte allgemein bekannt ist. Aber wir haben auch die Ueberzeugung, daß
die wirkliche Geschichte, wie sie Schiller aufgefaßt hat, sich für das Drama
viel mehr eigne, als diese fingirte Geschichte. Wenn wir uns für Demetrius
und für den Conflict, der sich in seiner Seele zwischen dem Gewissen und der
Nothwendigkeit, seine Stellung zu behaupten, erhebt, interessiren sollen, so
müssen wir ihn zuerst in vollem Glauben handeln sehen; sein Schicksal muß
uns Theilnahme erregen, bevor er in Schuld verfällt; und dann ist es wieder
natürlicher, — grade bei einer kräftigen Natur, — daß die Folgen seiner That
sich äußerlich gegen ihn wenden, wie es in der Geschichte der Fall war, als
daß er in sich geht und dadurch, die Katastrophe herbeiführt. Wir verstehen'
wol den Grund des Dichters: er wollte zu der strengen concentrirten Form
der Alten zurückkehren und die Breite des Details, in welchem das historische
Schauspiel in der Regel den Nerv der Handlung erstickt, vermeiden. Allein
das historische Drama ist seiner Natur nach zum Theil ein äußerliches, d. h. es
basirt auf sittlichen Voraussetzungen, die wir nicht ohne weiteres mitbringen,
sondern die einer bestimmten Zeit angehören und die uns daher der Dichter
ausführlich schildern muß, wie es Schiller überall.gethan. Nach der Schiller-
schen ErPosition interessiren wir uns für die Frage, ob Demetrius echt oder
untergeschoben sei, ebenso eifrig, wie für die orientalische Frage;, bei Grimm
dagegen wird die Frage ganz unvermuthet und ohne Vorbereitung angeregt
und läßt uns daher kalt. —

Der dramatische Versuch von Albert Türcke ist ein wesentlicher Fort¬
schritt gegen sein früheres Stück: die Portenser; aber wir können es auch
nicht als gelungen bezeichnen. Der Verfasser ahmt Shakespeare mehr äußerlich
nach in der Verwirrung der Scenen, in der Häufung episodischer Figuren, in der
Gewaltsamkeit der Bilder :c., als innerlich in der großen Gewalt seiner Leiden¬
schaft, was freilich schwerer ist. Als Probe geben wir das Bruchstück eines


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[0397] ernsthaft durchdacht; allein wir können die Gewalt, die er der Geschichte an¬ gethan, nicht billigen. In dem dramatischen Entwurf von Schiller ist der Demetrius ein großes historisches Schauspiel, welches dem Zuschauer, ohne daß dieser nöthig hätte, irgendeine historische Bildung mitzubringen, die äußern Voraussetzungen der Handlung und deren nothwendige Einwirkung auf den Charakter des Helden vollkommen deutlich versinnlicht. Bei Grimm da¬ gegen finden wir Demetrius bereits auf dem Thron und ihm tritt ganz gegen die Geschichte ein neuer Prätendent entgegen, von dem sich herausstellt, daß er der echte Erbe der Zaren ist. Demetrius, der davon unterrichtet wird, läßt sich durch seine falsche Stellung zum Versuch eines Verbrechens verleiten, dies schlägt fehl, in ihm selbst siegt die bessere Natur und er tödtet sich, indem er seinen Gegner als echten Kaiser anerkennt. In diesem'Gemälde ist nun jeder Zug unhistorisch und das ist um so mißlicher, da durch Schiller die wirkliche Geschichte allgemein bekannt ist. Aber wir haben auch die Ueberzeugung, daß die wirkliche Geschichte, wie sie Schiller aufgefaßt hat, sich für das Drama viel mehr eigne, als diese fingirte Geschichte. Wenn wir uns für Demetrius und für den Conflict, der sich in seiner Seele zwischen dem Gewissen und der Nothwendigkeit, seine Stellung zu behaupten, erhebt, interessiren sollen, so müssen wir ihn zuerst in vollem Glauben handeln sehen; sein Schicksal muß uns Theilnahme erregen, bevor er in Schuld verfällt; und dann ist es wieder natürlicher, — grade bei einer kräftigen Natur, — daß die Folgen seiner That sich äußerlich gegen ihn wenden, wie es in der Geschichte der Fall war, als daß er in sich geht und dadurch, die Katastrophe herbeiführt. Wir verstehen' wol den Grund des Dichters: er wollte zu der strengen concentrirten Form der Alten zurückkehren und die Breite des Details, in welchem das historische Schauspiel in der Regel den Nerv der Handlung erstickt, vermeiden. Allein das historische Drama ist seiner Natur nach zum Theil ein äußerliches, d. h. es basirt auf sittlichen Voraussetzungen, die wir nicht ohne weiteres mitbringen, sondern die einer bestimmten Zeit angehören und die uns daher der Dichter ausführlich schildern muß, wie es Schiller überall.gethan. Nach der Schiller- schen ErPosition interessiren wir uns für die Frage, ob Demetrius echt oder untergeschoben sei, ebenso eifrig, wie für die orientalische Frage;, bei Grimm dagegen wird die Frage ganz unvermuthet und ohne Vorbereitung angeregt und läßt uns daher kalt. — Der dramatische Versuch von Albert Türcke ist ein wesentlicher Fort¬ schritt gegen sein früheres Stück: die Portenser; aber wir können es auch nicht als gelungen bezeichnen. Der Verfasser ahmt Shakespeare mehr äußerlich nach in der Verwirrung der Scenen, in der Häufung episodischer Figuren, in der Gewaltsamkeit der Bilder :c., als innerlich in der großen Gewalt seiner Leiden¬ schaft, was freilich schwerer ist. Als Probe geben wir das Bruchstück eines

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/397>, abgerufen am 26.06.2024.