Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Nun müssen wir uns doch die Köpfe entzweischlagen. Ihr seid zwar nnr ein Edlina,,
VitMnnb --

Und Ihr nur ein Freiling. Hohnstein --

Aber seis drum. Frisch drauf los! Wer übrigbleibt, hat den besten Gott.

(Schwingen die Keulen.)


Sämmtliche hier genannte Götter, mit Ausnahme des bekannten Wuotans,
die Herren Püstrich und Krodo und der stschschwänzige Viel haben niemals
die Ehre gehabt, Götter der deutschen Heiden zu sein. Der Dichter hat das
besondere Unglück gehabt, grade die Mißgeburten des 17. und 18. Jahrhunderts,
abgeschmackte Erfindungen der damaligen Antiquare statt der zahlreichen, wirklich
erhaltenen Götternamen in sein Stück hereinzusetzen.

Man glaubt kaum, daß diese Scene noch übertroffen werden kann; aber
gleich darauf tritt ein christlicher Priester auf, der mit den Heiden zankt; sie
berathen, was sie mit ihm machen sollen, er bemerkt: "Mein Leben steht in
Gottes Hand." -- "So siehe zu, wie er dich schützt" ruft der eine Heide ihm'
zu, indem er einen Stoß auf ihn führt; der Priester hält ruhig dem Stoß
die Bibel entgegen und geht ab mit den Worten: "Er hats gethan." Alle
sehen ihm betroffen nach und reflectiren über den merkwürdigen Gott, den der
Schuft haben müsse. -- Nun möchten wir uns darüber ehrbar zwei ernsthafte
Bemerkungen erlauben.

Einmal ist es wol Sitte bei den protestantischen Missionären unsrer
Zeit, daß sie die Bibel mit sich führen; das war es aber nicht im sechsten
Jahrhundert. Die Lectüre war bei unsern deutschen Vorvätern nicht die
Hauptbeschäftigung, die Priester wirkten durch Crucifixe und ähnliche Symbole
und durch das lebendige Wort, aber nicht durch die Berufung auf ein Buch,
das den Deutschen ja doch unverständlich sein mußte. Nebenbei war damals
das Buchdrucker und Buchbinder noch nicht erfunden und eine Bibel in die
Tasche zu stecken, um sie bei passender Gelegenheit hervorzuziehen, wäre dem
wackern Priester sehr schwer geworden.

Aber fürwahr! noch viel befremdlicher ist es, daß die Heiden über diesen
Theatcrstreich erstaunen. Wenn sie nach dem Priester stechen und dieser parirt
mit einem beliebigen Schild, sei es von Holz, Stahl oder Leder, so liegt doch
darin gewiß nichts Uebernatürliches und die Heiden haben keine Veranlassung,
das Walten eines mächtigen Gottes darin zU vermuthen.

Wenn schon die allereinfachsten Voraussetzungen der Tragödie so
verworren sind, was soll sich da für eine Katastrophe daraus entwickeln! Und
so ist denn auch der weitere Verlauf des Stückes nichts als Willkür und
weder der Idealismus noch der Realismus kommt zu seinem Recht. --

Einen bei weitem höheren Rang in Bezug auf die Bildung wie auf die
dramatische Technik behauptet das Drama von Hermann Grimm. Es ist
in einem edlen Stil gehalten und der Dichter hat sein Charakterproblem sehr


Nun müssen wir uns doch die Köpfe entzweischlagen. Ihr seid zwar nnr ein Edlina,,
VitMnnb —

Und Ihr nur ein Freiling. Hohnstein —

Aber seis drum. Frisch drauf los! Wer übrigbleibt, hat den besten Gott.

(Schwingen die Keulen.)


Sämmtliche hier genannte Götter, mit Ausnahme des bekannten Wuotans,
die Herren Püstrich und Krodo und der stschschwänzige Viel haben niemals
die Ehre gehabt, Götter der deutschen Heiden zu sein. Der Dichter hat das
besondere Unglück gehabt, grade die Mißgeburten des 17. und 18. Jahrhunderts,
abgeschmackte Erfindungen der damaligen Antiquare statt der zahlreichen, wirklich
erhaltenen Götternamen in sein Stück hereinzusetzen.

Man glaubt kaum, daß diese Scene noch übertroffen werden kann; aber
gleich darauf tritt ein christlicher Priester auf, der mit den Heiden zankt; sie
berathen, was sie mit ihm machen sollen, er bemerkt: „Mein Leben steht in
Gottes Hand." — „So siehe zu, wie er dich schützt" ruft der eine Heide ihm'
zu, indem er einen Stoß auf ihn führt; der Priester hält ruhig dem Stoß
die Bibel entgegen und geht ab mit den Worten: „Er hats gethan." Alle
sehen ihm betroffen nach und reflectiren über den merkwürdigen Gott, den der
Schuft haben müsse. — Nun möchten wir uns darüber ehrbar zwei ernsthafte
Bemerkungen erlauben.

Einmal ist es wol Sitte bei den protestantischen Missionären unsrer
Zeit, daß sie die Bibel mit sich führen; das war es aber nicht im sechsten
Jahrhundert. Die Lectüre war bei unsern deutschen Vorvätern nicht die
Hauptbeschäftigung, die Priester wirkten durch Crucifixe und ähnliche Symbole
und durch das lebendige Wort, aber nicht durch die Berufung auf ein Buch,
das den Deutschen ja doch unverständlich sein mußte. Nebenbei war damals
das Buchdrucker und Buchbinder noch nicht erfunden und eine Bibel in die
Tasche zu stecken, um sie bei passender Gelegenheit hervorzuziehen, wäre dem
wackern Priester sehr schwer geworden.

Aber fürwahr! noch viel befremdlicher ist es, daß die Heiden über diesen
Theatcrstreich erstaunen. Wenn sie nach dem Priester stechen und dieser parirt
mit einem beliebigen Schild, sei es von Holz, Stahl oder Leder, so liegt doch
darin gewiß nichts Uebernatürliches und die Heiden haben keine Veranlassung,
das Walten eines mächtigen Gottes darin zU vermuthen.

Wenn schon die allereinfachsten Voraussetzungen der Tragödie so
verworren sind, was soll sich da für eine Katastrophe daraus entwickeln! Und
so ist denn auch der weitere Verlauf des Stückes nichts als Willkür und
weder der Idealismus noch der Realismus kommt zu seinem Recht. —

Einen bei weitem höheren Rang in Bezug auf die Bildung wie auf die
dramatische Technik behauptet das Drama von Hermann Grimm. Es ist
in einem edlen Stil gehalten und der Dichter hat sein Charakterproblem sehr


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0396" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/99248"/>
          <quote>
            <p xml:id="ID_1397"> Nun müssen wir uns doch die Köpfe entzweischlagen. Ihr seid zwar nnr ein Edlina,,<lb/>
VitMnnb &#x2014;</p>
            <p xml:id="ID_1398"> Und Ihr nur ein Freiling. Hohnstein &#x2014;</p>
            <p xml:id="ID_1399"> Aber seis drum. Frisch drauf los! Wer übrigbleibt, hat den besten Gott.</p>
            <p xml:id="ID_1400"> (Schwingen die Keulen.)</p>
          </quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1401"> Sämmtliche hier genannte Götter, mit Ausnahme des bekannten Wuotans,<lb/>
die Herren Püstrich und Krodo und der stschschwänzige Viel haben niemals<lb/>
die Ehre gehabt, Götter der deutschen Heiden zu sein. Der Dichter hat das<lb/>
besondere Unglück gehabt, grade die Mißgeburten des 17. und 18. Jahrhunderts,<lb/>
abgeschmackte Erfindungen der damaligen Antiquare statt der zahlreichen, wirklich<lb/>
erhaltenen Götternamen in sein Stück hereinzusetzen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1402"> Man glaubt kaum, daß diese Scene noch übertroffen werden kann; aber<lb/>
gleich darauf tritt ein christlicher Priester auf, der mit den Heiden zankt; sie<lb/>
berathen, was sie mit ihm machen sollen, er bemerkt: &#x201E;Mein Leben steht in<lb/>
Gottes Hand." &#x2014; &#x201E;So siehe zu, wie er dich schützt" ruft der eine Heide ihm'<lb/>
zu, indem er einen Stoß auf ihn führt; der Priester hält ruhig dem Stoß<lb/>
die Bibel entgegen und geht ab mit den Worten: &#x201E;Er hats gethan." Alle<lb/>
sehen ihm betroffen nach und reflectiren über den merkwürdigen Gott, den der<lb/>
Schuft haben müsse. &#x2014; Nun möchten wir uns darüber ehrbar zwei ernsthafte<lb/>
Bemerkungen erlauben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1403"> Einmal ist es wol Sitte bei den protestantischen Missionären unsrer<lb/>
Zeit, daß sie die Bibel mit sich führen; das war es aber nicht im sechsten<lb/>
Jahrhundert. Die Lectüre war bei unsern deutschen Vorvätern nicht die<lb/>
Hauptbeschäftigung, die Priester wirkten durch Crucifixe und ähnliche Symbole<lb/>
und durch das lebendige Wort, aber nicht durch die Berufung auf ein Buch,<lb/>
das den Deutschen ja doch unverständlich sein mußte. Nebenbei war damals<lb/>
das Buchdrucker und Buchbinder noch nicht erfunden und eine Bibel in die<lb/>
Tasche zu stecken, um sie bei passender Gelegenheit hervorzuziehen, wäre dem<lb/>
wackern Priester sehr schwer geworden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1404"> Aber fürwahr! noch viel befremdlicher ist es, daß die Heiden über diesen<lb/>
Theatcrstreich erstaunen. Wenn sie nach dem Priester stechen und dieser parirt<lb/>
mit einem beliebigen Schild, sei es von Holz, Stahl oder Leder, so liegt doch<lb/>
darin gewiß nichts Uebernatürliches und die Heiden haben keine Veranlassung,<lb/>
das Walten eines mächtigen Gottes darin zU vermuthen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1405"> Wenn schon die allereinfachsten Voraussetzungen der Tragödie so<lb/>
verworren sind, was soll sich da für eine Katastrophe daraus entwickeln! Und<lb/>
so ist denn auch der weitere Verlauf des Stückes nichts als Willkür und<lb/>
weder der Idealismus noch der Realismus kommt zu seinem Recht. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1406" next="#ID_1407"> Einen bei weitem höheren Rang in Bezug auf die Bildung wie auf die<lb/>
dramatische Technik behauptet das Drama von Hermann Grimm. Es ist<lb/>
in einem edlen Stil gehalten und der Dichter hat sein Charakterproblem sehr</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0396] Nun müssen wir uns doch die Köpfe entzweischlagen. Ihr seid zwar nnr ein Edlina,, VitMnnb — Und Ihr nur ein Freiling. Hohnstein — Aber seis drum. Frisch drauf los! Wer übrigbleibt, hat den besten Gott. (Schwingen die Keulen.) Sämmtliche hier genannte Götter, mit Ausnahme des bekannten Wuotans, die Herren Püstrich und Krodo und der stschschwänzige Viel haben niemals die Ehre gehabt, Götter der deutschen Heiden zu sein. Der Dichter hat das besondere Unglück gehabt, grade die Mißgeburten des 17. und 18. Jahrhunderts, abgeschmackte Erfindungen der damaligen Antiquare statt der zahlreichen, wirklich erhaltenen Götternamen in sein Stück hereinzusetzen. Man glaubt kaum, daß diese Scene noch übertroffen werden kann; aber gleich darauf tritt ein christlicher Priester auf, der mit den Heiden zankt; sie berathen, was sie mit ihm machen sollen, er bemerkt: „Mein Leben steht in Gottes Hand." — „So siehe zu, wie er dich schützt" ruft der eine Heide ihm' zu, indem er einen Stoß auf ihn führt; der Priester hält ruhig dem Stoß die Bibel entgegen und geht ab mit den Worten: „Er hats gethan." Alle sehen ihm betroffen nach und reflectiren über den merkwürdigen Gott, den der Schuft haben müsse. — Nun möchten wir uns darüber ehrbar zwei ernsthafte Bemerkungen erlauben. Einmal ist es wol Sitte bei den protestantischen Missionären unsrer Zeit, daß sie die Bibel mit sich führen; das war es aber nicht im sechsten Jahrhundert. Die Lectüre war bei unsern deutschen Vorvätern nicht die Hauptbeschäftigung, die Priester wirkten durch Crucifixe und ähnliche Symbole und durch das lebendige Wort, aber nicht durch die Berufung auf ein Buch, das den Deutschen ja doch unverständlich sein mußte. Nebenbei war damals das Buchdrucker und Buchbinder noch nicht erfunden und eine Bibel in die Tasche zu stecken, um sie bei passender Gelegenheit hervorzuziehen, wäre dem wackern Priester sehr schwer geworden. Aber fürwahr! noch viel befremdlicher ist es, daß die Heiden über diesen Theatcrstreich erstaunen. Wenn sie nach dem Priester stechen und dieser parirt mit einem beliebigen Schild, sei es von Holz, Stahl oder Leder, so liegt doch darin gewiß nichts Uebernatürliches und die Heiden haben keine Veranlassung, das Walten eines mächtigen Gottes darin zU vermuthen. Wenn schon die allereinfachsten Voraussetzungen der Tragödie so verworren sind, was soll sich da für eine Katastrophe daraus entwickeln! Und so ist denn auch der weitere Verlauf des Stückes nichts als Willkür und weder der Idealismus noch der Realismus kommt zu seinem Recht. — Einen bei weitem höheren Rang in Bezug auf die Bildung wie auf die dramatische Technik behauptet das Drama von Hermann Grimm. Es ist in einem edlen Stil gehalten und der Dichter hat sein Charakterproblem sehr

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/396
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/396>, abgerufen am 26.06.2024.