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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Pontius.

Und habt ihr an ihm sonst nichts auszusetzen?

Ich wüßte nicht. Er scheint, wie schon gesagt, '
Ein guter Mensch zu sein, doch seine trockne
Moral langweilt mich bis zum Uebermaß u. s. w.

Herodes.

Die Stellen sind ganz zufällig gewählt; wir könnten das ganze Stück
abschreiben. Wenn Pastor Uhlich eine Tragödie zu dichten hätte, würde er es
nicht anders machen. Herr Pyl scheint uns "ein guter Mensch zu sein, doch
seine trockne Poesie langweilt uns bis zum Uebermaß." --

Den dramatischen Versuch Heyses können wir nicht als so gelungen be¬
zeichnen, wie wir dem talentvollen Dichter wünschen. Die Sprache ist fließend,
der Ton correct, die Anordnung der Scenen einfach und verständig; mich in
dieser Dichtung, wie in allem, was Heyse schreibt, ist sehr viel Zartes und
Melodisches; wir führen als Beispiel nur.die Beschreibung der Parzen an:


Sie standen mit ungelocktcm Haar, '

Eiserne Kränze über den Stirnen.

Die Augen ohne Lieb und ohne Zürnen,

Mit ruhig brennenden, wimpcrlosen Sternen,

Sahn wie in unerschöpfte Fernen;

Ihr Wuchs war zart, nicht übermenschlich groß.

Graue Gewände flössen herab

In wenig Falten, regungslos.

Es war kein Zug, der Reiz und Wechsel gab,

Doch eine Klarheit, die mich ganz bezwang.


Aber der Versuch, die antike Fabel durch Einmischung romantischer Mo¬
tive zu idealisiren, scheint uns doch ein Fehlgriff. Es kommen dadurch in die
kräftige Sinnlichkeit der griechischen Gestalten fernliegende Reflexionen, däm¬
mernde Farben und eine Stimmung, welche dem Kern der Sage widerspricht.
Es war nicht im Sinn der Griechen, vom Leben gesättigt zu sein; und wenn
sich Althäa von den Parzen das Leben ihres Sohnes zusichern ließ, so konnte
sie wol kaum aus Reflexionen wie die folgenden kommen:


Ach, und gcwährtens gute Götter dir,
Und er, unalternd, sah der Dinge Fall,
Entsteh", Vergeh", des Wandels Walten,
Des Todes Ernten und die Masken all,
Drin des Gesetzes Einerlei sich kleidet:
Vermöcht ers, sich den Ekel fernzuhalten,
Der Irdischen das Irdische verleidet?

Der Ele.l> am Irdischen ist ein modernes Gefühl, wenigstens in der Weise,
wie es hier ausgesprochen wird; für die Griechen war das Leben das höchste
der Güter, und die Unendlichkeit des Lebens die höchste Seligkeit. Die Hand¬
lung selbst ist neben den lebensvollen Bildern der Odyssee schwach und nüchtern.


Pontius.

Und habt ihr an ihm sonst nichts auszusetzen?

Ich wüßte nicht. Er scheint, wie schon gesagt, '
Ein guter Mensch zu sein, doch seine trockne
Moral langweilt mich bis zum Uebermaß u. s. w.

Herodes.

Die Stellen sind ganz zufällig gewählt; wir könnten das ganze Stück
abschreiben. Wenn Pastor Uhlich eine Tragödie zu dichten hätte, würde er es
nicht anders machen. Herr Pyl scheint uns „ein guter Mensch zu sein, doch
seine trockne Poesie langweilt uns bis zum Uebermaß." —

Den dramatischen Versuch Heyses können wir nicht als so gelungen be¬
zeichnen, wie wir dem talentvollen Dichter wünschen. Die Sprache ist fließend,
der Ton correct, die Anordnung der Scenen einfach und verständig; mich in
dieser Dichtung, wie in allem, was Heyse schreibt, ist sehr viel Zartes und
Melodisches; wir führen als Beispiel nur.die Beschreibung der Parzen an:


Sie standen mit ungelocktcm Haar, '

Eiserne Kränze über den Stirnen.

Die Augen ohne Lieb und ohne Zürnen,

Mit ruhig brennenden, wimpcrlosen Sternen,

Sahn wie in unerschöpfte Fernen;

Ihr Wuchs war zart, nicht übermenschlich groß.

Graue Gewände flössen herab

In wenig Falten, regungslos.

Es war kein Zug, der Reiz und Wechsel gab,

Doch eine Klarheit, die mich ganz bezwang.


Aber der Versuch, die antike Fabel durch Einmischung romantischer Mo¬
tive zu idealisiren, scheint uns doch ein Fehlgriff. Es kommen dadurch in die
kräftige Sinnlichkeit der griechischen Gestalten fernliegende Reflexionen, däm¬
mernde Farben und eine Stimmung, welche dem Kern der Sage widerspricht.
Es war nicht im Sinn der Griechen, vom Leben gesättigt zu sein; und wenn
sich Althäa von den Parzen das Leben ihres Sohnes zusichern ließ, so konnte
sie wol kaum aus Reflexionen wie die folgenden kommen:


Ach, und gcwährtens gute Götter dir,
Und er, unalternd, sah der Dinge Fall,
Entsteh», Vergeh», des Wandels Walten,
Des Todes Ernten und die Masken all,
Drin des Gesetzes Einerlei sich kleidet:
Vermöcht ers, sich den Ekel fernzuhalten,
Der Irdischen das Irdische verleidet?

Der Ele.l> am Irdischen ist ein modernes Gefühl, wenigstens in der Weise,
wie es hier ausgesprochen wird; für die Griechen war das Leben das höchste
der Güter, und die Unendlichkeit des Lebens die höchste Seligkeit. Die Hand¬
lung selbst ist neben den lebensvollen Bildern der Odyssee schwach und nüchtern.


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[0394] Pontius. Und habt ihr an ihm sonst nichts auszusetzen? Ich wüßte nicht. Er scheint, wie schon gesagt, ' Ein guter Mensch zu sein, doch seine trockne Moral langweilt mich bis zum Uebermaß u. s. w. Herodes. Die Stellen sind ganz zufällig gewählt; wir könnten das ganze Stück abschreiben. Wenn Pastor Uhlich eine Tragödie zu dichten hätte, würde er es nicht anders machen. Herr Pyl scheint uns „ein guter Mensch zu sein, doch seine trockne Poesie langweilt uns bis zum Uebermaß." — Den dramatischen Versuch Heyses können wir nicht als so gelungen be¬ zeichnen, wie wir dem talentvollen Dichter wünschen. Die Sprache ist fließend, der Ton correct, die Anordnung der Scenen einfach und verständig; mich in dieser Dichtung, wie in allem, was Heyse schreibt, ist sehr viel Zartes und Melodisches; wir führen als Beispiel nur.die Beschreibung der Parzen an: Sie standen mit ungelocktcm Haar, ' Eiserne Kränze über den Stirnen. Die Augen ohne Lieb und ohne Zürnen, Mit ruhig brennenden, wimpcrlosen Sternen, Sahn wie in unerschöpfte Fernen; Ihr Wuchs war zart, nicht übermenschlich groß. Graue Gewände flössen herab In wenig Falten, regungslos. Es war kein Zug, der Reiz und Wechsel gab, Doch eine Klarheit, die mich ganz bezwang. Aber der Versuch, die antike Fabel durch Einmischung romantischer Mo¬ tive zu idealisiren, scheint uns doch ein Fehlgriff. Es kommen dadurch in die kräftige Sinnlichkeit der griechischen Gestalten fernliegende Reflexionen, däm¬ mernde Farben und eine Stimmung, welche dem Kern der Sage widerspricht. Es war nicht im Sinn der Griechen, vom Leben gesättigt zu sein; und wenn sich Althäa von den Parzen das Leben ihres Sohnes zusichern ließ, so konnte sie wol kaum aus Reflexionen wie die folgenden kommen: Ach, und gcwährtens gute Götter dir, Und er, unalternd, sah der Dinge Fall, Entsteh», Vergeh», des Wandels Walten, Des Todes Ernten und die Masken all, Drin des Gesetzes Einerlei sich kleidet: Vermöcht ers, sich den Ekel fernzuhalten, Der Irdischen das Irdische verleidet? Der Ele.l> am Irdischen ist ein modernes Gefühl, wenigstens in der Weise, wie es hier ausgesprochen wird; für die Griechen war das Leben das höchste der Güter, und die Unendlichkeit des Lebens die höchste Seligkeit. Die Hand¬ lung selbst ist neben den lebensvollen Bildern der Odyssee schwach und nüchtern.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/394>, abgerufen am 26.06.2024.