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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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diese Schiffe den norwegischen Hering in den Niederlanden selbst laden, so er¬
sparten sie sich eine gefährliche Reise, könnten eine höhere Fracht als in Nor¬
wegen, wo sie sehr niedrig ist, bedingen und dann auch das Getreide mit ge¬
ringeren Frachtkosten anführen.

Die Vertheidiger des Gesetzes von 1818 schieben alle Schuld des traurigen
Zustandes der Heringsfischerei auf die hohen Eingangssteuern, welche der hol¬
ländische Hering in andern Ländern bezahlen muß.

Woher aber diese? Zum Theil aus den monopolistischen, die Fremden aus¬
schließenden Bestimmungen über den Fang, zum größten Theil aber daher, weil
der holländische Hering ein Luxusartikel, der englische und nordische Gegen¬
stände des allgemeinen Bedürfnisses sind, jener aber höher besteuert werden muß,
als diese.

Daß der holländische Fischer sowenig gegen ein solches System remonstrirt,
liegt theils in dem Monopole, welches ihm Privilegien verleiht, theils in den
Regierungsprämien, die wie überall dem gemeinen Mann viel anlockender
scheinen, als Vermehrung des Gewinnstes durch vermehrte Anstrengung.

Zuletzt wirkt das Gesetz auch noch unendlich nachtheiliger auf die ärmeren
Classen der Consumenten, denen dadurch eine gesunde Speise entzogen wird,
als auf die immerhin verhältnißmäßig wenigen Producenten!




Die falsche Popularität der Naturwissenschaft.

Die materielle Richtung unsrer Zeit darf theilweise als eine natürliche
Folge des Speculationsgeistes betrachtet werden, welchen die Philosophie des
Jahrhunderts über uns gebracht hat. Sie ist weit tiefer in das Volk ge-
dningen, als die Herren auf den Kathedern sich träumen lassen. Um wieviel
mehr auch in die eigentliche Gelehrtenwelt, in die Forschung. Am auffallend¬
sten tritt uns der fieberhafte Drang, das Wesen der Dinge bis auf den
Grund zu untersuchen, in der Naturwissenschaft entgegen -- unbarmherzig dringt
die Sonde des Physiologen in die ehrwürdigsten, noch vor zwanzig Jahren
unerforschlichen Geheimnisse des lebenden Körpers ein, mit genialer Leichtig¬
keit überspringt die Chemie ti" Schranken, die ihr von Jahr zu Jahr liberal
in die Weite gerückt werden, mit rastlosem Eifer untergräbt die Geologie alle
biblischen und nichtbiblischen Vorstellungen der Entstehungsgeschichte der Welt.
Es ist in diesen Disciplinen ordentlich ein Wettrennen nach schlagenden Hypo¬
thesen und Entdeckungen im Gange, und wenn einmal ein muthiger Nenner
allzuweit ins Blaue hineinschießt, so verweist ihn gar bald die unerbittliche Noth-


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diese Schiffe den norwegischen Hering in den Niederlanden selbst laden, so er¬
sparten sie sich eine gefährliche Reise, könnten eine höhere Fracht als in Nor¬
wegen, wo sie sehr niedrig ist, bedingen und dann auch das Getreide mit ge¬
ringeren Frachtkosten anführen.

Die Vertheidiger des Gesetzes von 1818 schieben alle Schuld des traurigen
Zustandes der Heringsfischerei auf die hohen Eingangssteuern, welche der hol¬
ländische Hering in andern Ländern bezahlen muß.

Woher aber diese? Zum Theil aus den monopolistischen, die Fremden aus¬
schließenden Bestimmungen über den Fang, zum größten Theil aber daher, weil
der holländische Hering ein Luxusartikel, der englische und nordische Gegen¬
stände des allgemeinen Bedürfnisses sind, jener aber höher besteuert werden muß,
als diese.

Daß der holländische Fischer sowenig gegen ein solches System remonstrirt,
liegt theils in dem Monopole, welches ihm Privilegien verleiht, theils in den
Regierungsprämien, die wie überall dem gemeinen Mann viel anlockender
scheinen, als Vermehrung des Gewinnstes durch vermehrte Anstrengung.

Zuletzt wirkt das Gesetz auch noch unendlich nachtheiliger auf die ärmeren
Classen der Consumenten, denen dadurch eine gesunde Speise entzogen wird,
als auf die immerhin verhältnißmäßig wenigen Producenten!




Die falsche Popularität der Naturwissenschaft.

Die materielle Richtung unsrer Zeit darf theilweise als eine natürliche
Folge des Speculationsgeistes betrachtet werden, welchen die Philosophie des
Jahrhunderts über uns gebracht hat. Sie ist weit tiefer in das Volk ge-
dningen, als die Herren auf den Kathedern sich träumen lassen. Um wieviel
mehr auch in die eigentliche Gelehrtenwelt, in die Forschung. Am auffallend¬
sten tritt uns der fieberhafte Drang, das Wesen der Dinge bis auf den
Grund zu untersuchen, in der Naturwissenschaft entgegen — unbarmherzig dringt
die Sonde des Physiologen in die ehrwürdigsten, noch vor zwanzig Jahren
unerforschlichen Geheimnisse des lebenden Körpers ein, mit genialer Leichtig¬
keit überspringt die Chemie ti« Schranken, die ihr von Jahr zu Jahr liberal
in die Weite gerückt werden, mit rastlosem Eifer untergräbt die Geologie alle
biblischen und nichtbiblischen Vorstellungen der Entstehungsgeschichte der Welt.
Es ist in diesen Disciplinen ordentlich ein Wettrennen nach schlagenden Hypo¬
thesen und Entdeckungen im Gange, und wenn einmal ein muthiger Nenner
allzuweit ins Blaue hineinschießt, so verweist ihn gar bald die unerbittliche Noth-


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[0387] diese Schiffe den norwegischen Hering in den Niederlanden selbst laden, so er¬ sparten sie sich eine gefährliche Reise, könnten eine höhere Fracht als in Nor¬ wegen, wo sie sehr niedrig ist, bedingen und dann auch das Getreide mit ge¬ ringeren Frachtkosten anführen. Die Vertheidiger des Gesetzes von 1818 schieben alle Schuld des traurigen Zustandes der Heringsfischerei auf die hohen Eingangssteuern, welche der hol¬ ländische Hering in andern Ländern bezahlen muß. Woher aber diese? Zum Theil aus den monopolistischen, die Fremden aus¬ schließenden Bestimmungen über den Fang, zum größten Theil aber daher, weil der holländische Hering ein Luxusartikel, der englische und nordische Gegen¬ stände des allgemeinen Bedürfnisses sind, jener aber höher besteuert werden muß, als diese. Daß der holländische Fischer sowenig gegen ein solches System remonstrirt, liegt theils in dem Monopole, welches ihm Privilegien verleiht, theils in den Regierungsprämien, die wie überall dem gemeinen Mann viel anlockender scheinen, als Vermehrung des Gewinnstes durch vermehrte Anstrengung. Zuletzt wirkt das Gesetz auch noch unendlich nachtheiliger auf die ärmeren Classen der Consumenten, denen dadurch eine gesunde Speise entzogen wird, als auf die immerhin verhältnißmäßig wenigen Producenten! Die falsche Popularität der Naturwissenschaft. Die materielle Richtung unsrer Zeit darf theilweise als eine natürliche Folge des Speculationsgeistes betrachtet werden, welchen die Philosophie des Jahrhunderts über uns gebracht hat. Sie ist weit tiefer in das Volk ge- dningen, als die Herren auf den Kathedern sich träumen lassen. Um wieviel mehr auch in die eigentliche Gelehrtenwelt, in die Forschung. Am auffallend¬ sten tritt uns der fieberhafte Drang, das Wesen der Dinge bis auf den Grund zu untersuchen, in der Naturwissenschaft entgegen — unbarmherzig dringt die Sonde des Physiologen in die ehrwürdigsten, noch vor zwanzig Jahren unerforschlichen Geheimnisse des lebenden Körpers ein, mit genialer Leichtig¬ keit überspringt die Chemie ti« Schranken, die ihr von Jahr zu Jahr liberal in die Weite gerückt werden, mit rastlosem Eifer untergräbt die Geologie alle biblischen und nichtbiblischen Vorstellungen der Entstehungsgeschichte der Welt. Es ist in diesen Disciplinen ordentlich ein Wettrennen nach schlagenden Hypo¬ thesen und Entdeckungen im Gange, und wenn einmal ein muthiger Nenner allzuweit ins Blaue hineinschießt, so verweist ihn gar bald die unerbittliche Noth- 48*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/387>, abgerufen am 26.06.2024.