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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Congreß wurde die Descendenz dieser Ehe überdies von den europäischen Gro߬
mächten als thronfähig anerkannt und festgestellt. Und da die Ehe ursprünglich
mit mvrganatischer Klausel, jedoch nur zu Gunsten der.Söhne des Groß-
herzogs erster Ehe eingegangen war, wurde nach dem Tode jener die Descen¬
denz der zweiten Ehe wieder durch die Großmächte gegen die Ansprüche ent¬
fernterer Agnaten im ungeteilten Besitze des Großherzogthums geschützt.

Aber es lag noch ein andrer Fall vor. Wie sollte es hinsichtlich der
Verbindungen altfürstlicher oder reichsgräflicher Männer mit Frauen aus dem
höheren ausländischen Adel gehalten werden? Einige Juristen nehmen hier
kurzweg Mißheirathen an; allein Geschichte und gesammte Praxis sind dem ent¬
gegen. Allerdings fehlt dem ausländischen hohen Adel das Merkmal des deutschen,
nämlich die Theilnahme an der Neichsrcgierung in der Form der Reichsstand¬
schaft und die landesherrlichen Rechte. Allein das viel ältere Merkmal des
Adels, vie Vvllfreiheit findet sich bei den meisten europäischen Völkern wieder.
Die überwiegende Praxis, welche durch einzelne Hausgesetze nicht alterirt wird,
hat jedenfalls festgehalten, daß auch dort nur nach dem Alter des Adels ge¬
fragt wurde. Und hat die deutsche Bundesacte den beim Falle des deutschen
Reichs (1806) mediatisirten, jetzt sogenannten Standesherren in der Zusicherung .
ihrer Ebenbürtigkeit mit den souveränen Häusern nur bestätigt, was ihnen
von Rechtswegen gebührte, so steht der englische Herzog, der noch im Besitze
seiner Herrschaft ist und seinen erblichen Sitz im Oberhause hat, an politischer
Berechtigung und Bedeutung wol schwerlich dem deutschen Standesherrn nach.

Unter den Fällen, die hierher gehören, ragt die Ehe des Herzogs Georg
Wilhelm zu Braunschweig-Zelle mit Eleonore dEsmiers, Marquise dOlbreuse,
Tochter Alerander dEsmiers, Marquis dOlbreuse aus einem adligen Geschlechte
der Grafschaft Poitou als besonders merkwürdig hervor. Aus dieser Ehe, die
überdies nur morgcmatisch gewesen zu sein scheint, aber nachher vom Herzog
kraft eignen Rechtes als eine volle Ehe erklärt wurde, entsprang eine einzige
Tochter, Sophie. Mit dieser vermählte sich im Jahre 1682 Georg Ludwig,
damals Erbprinz von Hannover, in der Folge der erste König von Großbritan¬
nien aus dem Hause Hannover. Niemals ist gegen die Standesmäßigkeit der
einen oder der andern Ehe Einsprache erhoben worden; und nicht leicht ist aus
einer Ehe eine so glänzende Nachkommenschaft hervorgegangen, 'als aus dieser.
Zwei Kinder stammten daraus ab: ein Sohn und eine Tochter. 'Der Sohn,
geboren 1683, war Georg II., seit 1727 König von Großbritannien und Irland
und Kurfürst von Braunschweig und Lüneburg. Die Tochter Sopie Dorothee,
geboren 1687, wurde Gemahlin des Kronprinzen und baldigen Königs Friedrich
Wilhelm I. von Preußen. Durch jenen Sohn und diese Tochter stammen aus der¬
selben Ehe nicht nur sämmtliche jetzt lebende Mitglieder des englischen und hanno-
verschen Königshauses, sondern auch, um nur Souveräne zu nennen: der Kaiser


Congreß wurde die Descendenz dieser Ehe überdies von den europäischen Gro߬
mächten als thronfähig anerkannt und festgestellt. Und da die Ehe ursprünglich
mit mvrganatischer Klausel, jedoch nur zu Gunsten der.Söhne des Groß-
herzogs erster Ehe eingegangen war, wurde nach dem Tode jener die Descen¬
denz der zweiten Ehe wieder durch die Großmächte gegen die Ansprüche ent¬
fernterer Agnaten im ungeteilten Besitze des Großherzogthums geschützt.

Aber es lag noch ein andrer Fall vor. Wie sollte es hinsichtlich der
Verbindungen altfürstlicher oder reichsgräflicher Männer mit Frauen aus dem
höheren ausländischen Adel gehalten werden? Einige Juristen nehmen hier
kurzweg Mißheirathen an; allein Geschichte und gesammte Praxis sind dem ent¬
gegen. Allerdings fehlt dem ausländischen hohen Adel das Merkmal des deutschen,
nämlich die Theilnahme an der Neichsrcgierung in der Form der Reichsstand¬
schaft und die landesherrlichen Rechte. Allein das viel ältere Merkmal des
Adels, vie Vvllfreiheit findet sich bei den meisten europäischen Völkern wieder.
Die überwiegende Praxis, welche durch einzelne Hausgesetze nicht alterirt wird,
hat jedenfalls festgehalten, daß auch dort nur nach dem Alter des Adels ge¬
fragt wurde. Und hat die deutsche Bundesacte den beim Falle des deutschen
Reichs (1806) mediatisirten, jetzt sogenannten Standesherren in der Zusicherung .
ihrer Ebenbürtigkeit mit den souveränen Häusern nur bestätigt, was ihnen
von Rechtswegen gebührte, so steht der englische Herzog, der noch im Besitze
seiner Herrschaft ist und seinen erblichen Sitz im Oberhause hat, an politischer
Berechtigung und Bedeutung wol schwerlich dem deutschen Standesherrn nach.

Unter den Fällen, die hierher gehören, ragt die Ehe des Herzogs Georg
Wilhelm zu Braunschweig-Zelle mit Eleonore dEsmiers, Marquise dOlbreuse,
Tochter Alerander dEsmiers, Marquis dOlbreuse aus einem adligen Geschlechte
der Grafschaft Poitou als besonders merkwürdig hervor. Aus dieser Ehe, die
überdies nur morgcmatisch gewesen zu sein scheint, aber nachher vom Herzog
kraft eignen Rechtes als eine volle Ehe erklärt wurde, entsprang eine einzige
Tochter, Sophie. Mit dieser vermählte sich im Jahre 1682 Georg Ludwig,
damals Erbprinz von Hannover, in der Folge der erste König von Großbritan¬
nien aus dem Hause Hannover. Niemals ist gegen die Standesmäßigkeit der
einen oder der andern Ehe Einsprache erhoben worden; und nicht leicht ist aus
einer Ehe eine so glänzende Nachkommenschaft hervorgegangen, 'als aus dieser.
Zwei Kinder stammten daraus ab: ein Sohn und eine Tochter. 'Der Sohn,
geboren 1683, war Georg II., seit 1727 König von Großbritannien und Irland
und Kurfürst von Braunschweig und Lüneburg. Die Tochter Sopie Dorothee,
geboren 1687, wurde Gemahlin des Kronprinzen und baldigen Königs Friedrich
Wilhelm I. von Preußen. Durch jenen Sohn und diese Tochter stammen aus der¬
selben Ehe nicht nur sämmtliche jetzt lebende Mitglieder des englischen und hanno-
verschen Königshauses, sondern auch, um nur Souveräne zu nennen: der Kaiser


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[0378] Congreß wurde die Descendenz dieser Ehe überdies von den europäischen Gro߬ mächten als thronfähig anerkannt und festgestellt. Und da die Ehe ursprünglich mit mvrganatischer Klausel, jedoch nur zu Gunsten der.Söhne des Groß- herzogs erster Ehe eingegangen war, wurde nach dem Tode jener die Descen¬ denz der zweiten Ehe wieder durch die Großmächte gegen die Ansprüche ent¬ fernterer Agnaten im ungeteilten Besitze des Großherzogthums geschützt. Aber es lag noch ein andrer Fall vor. Wie sollte es hinsichtlich der Verbindungen altfürstlicher oder reichsgräflicher Männer mit Frauen aus dem höheren ausländischen Adel gehalten werden? Einige Juristen nehmen hier kurzweg Mißheirathen an; allein Geschichte und gesammte Praxis sind dem ent¬ gegen. Allerdings fehlt dem ausländischen hohen Adel das Merkmal des deutschen, nämlich die Theilnahme an der Neichsrcgierung in der Form der Reichsstand¬ schaft und die landesherrlichen Rechte. Allein das viel ältere Merkmal des Adels, vie Vvllfreiheit findet sich bei den meisten europäischen Völkern wieder. Die überwiegende Praxis, welche durch einzelne Hausgesetze nicht alterirt wird, hat jedenfalls festgehalten, daß auch dort nur nach dem Alter des Adels ge¬ fragt wurde. Und hat die deutsche Bundesacte den beim Falle des deutschen Reichs (1806) mediatisirten, jetzt sogenannten Standesherren in der Zusicherung . ihrer Ebenbürtigkeit mit den souveränen Häusern nur bestätigt, was ihnen von Rechtswegen gebührte, so steht der englische Herzog, der noch im Besitze seiner Herrschaft ist und seinen erblichen Sitz im Oberhause hat, an politischer Berechtigung und Bedeutung wol schwerlich dem deutschen Standesherrn nach. Unter den Fällen, die hierher gehören, ragt die Ehe des Herzogs Georg Wilhelm zu Braunschweig-Zelle mit Eleonore dEsmiers, Marquise dOlbreuse, Tochter Alerander dEsmiers, Marquis dOlbreuse aus einem adligen Geschlechte der Grafschaft Poitou als besonders merkwürdig hervor. Aus dieser Ehe, die überdies nur morgcmatisch gewesen zu sein scheint, aber nachher vom Herzog kraft eignen Rechtes als eine volle Ehe erklärt wurde, entsprang eine einzige Tochter, Sophie. Mit dieser vermählte sich im Jahre 1682 Georg Ludwig, damals Erbprinz von Hannover, in der Folge der erste König von Großbritan¬ nien aus dem Hause Hannover. Niemals ist gegen die Standesmäßigkeit der einen oder der andern Ehe Einsprache erhoben worden; und nicht leicht ist aus einer Ehe eine so glänzende Nachkommenschaft hervorgegangen, 'als aus dieser. Zwei Kinder stammten daraus ab: ein Sohn und eine Tochter. 'Der Sohn, geboren 1683, war Georg II., seit 1727 König von Großbritannien und Irland und Kurfürst von Braunschweig und Lüneburg. Die Tochter Sopie Dorothee, geboren 1687, wurde Gemahlin des Kronprinzen und baldigen Königs Friedrich Wilhelm I. von Preußen. Durch jenen Sohn und diese Tochter stammen aus der¬ selben Ehe nicht nur sämmtliche jetzt lebende Mitglieder des englischen und hanno- verschen Königshauses, sondern auch, um nur Souveräne zu nennen: der Kaiser

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/378>, abgerufen am 26.06.2024.