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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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freie Bürgerstand dadurch hinabgedrückt werden sollte, sondern auch der alte
ritterliche Adel, der vielfach Landeshoheit und Reichsunmittelbarkeit besaß, in
Domstiftern und Bisthümern sogar zur Reichsstandschast emporsteigen konnte,
in einer solchen Ausschließung seiner Verwandtschaft eine verletzende Zurück¬
setzung sah.

Noch größere Verwirrung brachte die seit dem 15. Jahrhundert aufkommende
Sitte der Standcserhöhungen mit sich, welche fürstliche Männer nicht selten
für ihre Gemahlinnen aus adeligen oder bürgerlichem Hause vom Kaiser er¬
wirkten. Während die Agnaten auf eine angebliche Mißheirath Rechtsansprüche
bauten, suchten die zu dem Vorurtheil Anlaß gebenden Eheherrn durch Er¬
langung des auf den politisch bevorzugten Stand hinweisenden Titel der Ge¬
mahlin dagegenzuwirken. Der kaiserliche Hof, welcher den Titel verlieh, hielt
sodann um des eignen Ansehens willen darauf, daß, wenn die Ehe nicht aus¬
drücklich morganatisch geschlossen war, die Kinder als ebenbürtig und unbedingt
erbfolgefähig betrachtet wurden. Jemehr jedoch hin und hergestritten wurde,
desto lebhafter fühlte man die Nothwendigkeit einer reichsgesetzlichen Bestimmung
über die Mißheirathen, aber einigen konnten sich die kurfürstlichen gesetzgeben¬
den Collegien' nach langer Verhandlung doch nur über eine unbestimmte
Fassung, welche sodann in der Wahlcapitulation Kaiser Karls VII. vom Jahre
17i-2 aufgenommen wurde. Der Kaiser versprach den aus motorischer Mi߬
heirath erzeugten Kindern eines Reichsstandes oder eines aus solchem Hause
entsprossenen Herrn weder die väterlichen Titel, Ehren und Würden zu er¬
theilen, noch wollte er sie zum Nachtheile der wahren Erbfolger ohne deren
Einwilligung für ebenbürtig und successtvnsfähig erklären. Fest stand dabei nur
der eine Fall, welcher die letzte Veranlassung der ganzen Forderung war, nämlich
der Fall, dqß ein Mann von altem reichsständischcn Fürstenstande sich mit einem
bürgerlichen Mädchen verheirathete. Hier wurde die Notorietät als auf ge¬
meinem Herkommen beruhend vorausgesetzt. Daß auch eine fürstliche oder
reichsgräfliche Ehe nut Frauen vom Adel, besonders von altem stiftsmäßigen
Adel eine Mißheirath sei, ist mit jenem Ausdrucke niemals zur Anerkennung
als gemeines Reichsrecht gebracht worden. Höchstens fand nun die Voraus¬
setzung in dem Hausgesetz einzelner Familien rechtliche Geltung. Und so
konnte und mußte sich das badensche Geheimerathöcollegimn vom 4. December
1787 bei Berathung der Ehepacten bezüglich der zweiten Ehe des Markgrafen
(nachherigen Kurfürsten und Großherzogs) Karl Friedrich mit dem Freifräulein
Ccirvline Luise Geyer von Geiersberg einstimmig dahin aussprechen, daß, da
die Freifrau von Hochberg von Vater und Mutter her die erforderliche Ahnen-
Probe machen könne, die aus dieser Ehe entspringenden Söhne nach den bis¬
herigen reichöhofräthlichen Principien umsomehr successionssähig seien, als das
Herkommen im fürstlichen Hause damit übereinstimme. Auf dem Aachener


Grcttjbotcu. I. 1865. ' 47

freie Bürgerstand dadurch hinabgedrückt werden sollte, sondern auch der alte
ritterliche Adel, der vielfach Landeshoheit und Reichsunmittelbarkeit besaß, in
Domstiftern und Bisthümern sogar zur Reichsstandschast emporsteigen konnte,
in einer solchen Ausschließung seiner Verwandtschaft eine verletzende Zurück¬
setzung sah.

Noch größere Verwirrung brachte die seit dem 15. Jahrhundert aufkommende
Sitte der Standcserhöhungen mit sich, welche fürstliche Männer nicht selten
für ihre Gemahlinnen aus adeligen oder bürgerlichem Hause vom Kaiser er¬
wirkten. Während die Agnaten auf eine angebliche Mißheirath Rechtsansprüche
bauten, suchten die zu dem Vorurtheil Anlaß gebenden Eheherrn durch Er¬
langung des auf den politisch bevorzugten Stand hinweisenden Titel der Ge¬
mahlin dagegenzuwirken. Der kaiserliche Hof, welcher den Titel verlieh, hielt
sodann um des eignen Ansehens willen darauf, daß, wenn die Ehe nicht aus¬
drücklich morganatisch geschlossen war, die Kinder als ebenbürtig und unbedingt
erbfolgefähig betrachtet wurden. Jemehr jedoch hin und hergestritten wurde,
desto lebhafter fühlte man die Nothwendigkeit einer reichsgesetzlichen Bestimmung
über die Mißheirathen, aber einigen konnten sich die kurfürstlichen gesetzgeben¬
den Collegien' nach langer Verhandlung doch nur über eine unbestimmte
Fassung, welche sodann in der Wahlcapitulation Kaiser Karls VII. vom Jahre
17i-2 aufgenommen wurde. Der Kaiser versprach den aus motorischer Mi߬
heirath erzeugten Kindern eines Reichsstandes oder eines aus solchem Hause
entsprossenen Herrn weder die väterlichen Titel, Ehren und Würden zu er¬
theilen, noch wollte er sie zum Nachtheile der wahren Erbfolger ohne deren
Einwilligung für ebenbürtig und successtvnsfähig erklären. Fest stand dabei nur
der eine Fall, welcher die letzte Veranlassung der ganzen Forderung war, nämlich
der Fall, dqß ein Mann von altem reichsständischcn Fürstenstande sich mit einem
bürgerlichen Mädchen verheirathete. Hier wurde die Notorietät als auf ge¬
meinem Herkommen beruhend vorausgesetzt. Daß auch eine fürstliche oder
reichsgräfliche Ehe nut Frauen vom Adel, besonders von altem stiftsmäßigen
Adel eine Mißheirath sei, ist mit jenem Ausdrucke niemals zur Anerkennung
als gemeines Reichsrecht gebracht worden. Höchstens fand nun die Voraus¬
setzung in dem Hausgesetz einzelner Familien rechtliche Geltung. Und so
konnte und mußte sich das badensche Geheimerathöcollegimn vom 4. December
1787 bei Berathung der Ehepacten bezüglich der zweiten Ehe des Markgrafen
(nachherigen Kurfürsten und Großherzogs) Karl Friedrich mit dem Freifräulein
Ccirvline Luise Geyer von Geiersberg einstimmig dahin aussprechen, daß, da
die Freifrau von Hochberg von Vater und Mutter her die erforderliche Ahnen-
Probe machen könne, die aus dieser Ehe entspringenden Söhne nach den bis¬
herigen reichöhofräthlichen Principien umsomehr successionssähig seien, als das
Herkommen im fürstlichen Hause damit übereinstimme. Auf dem Aachener


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[0377] freie Bürgerstand dadurch hinabgedrückt werden sollte, sondern auch der alte ritterliche Adel, der vielfach Landeshoheit und Reichsunmittelbarkeit besaß, in Domstiftern und Bisthümern sogar zur Reichsstandschast emporsteigen konnte, in einer solchen Ausschließung seiner Verwandtschaft eine verletzende Zurück¬ setzung sah. Noch größere Verwirrung brachte die seit dem 15. Jahrhundert aufkommende Sitte der Standcserhöhungen mit sich, welche fürstliche Männer nicht selten für ihre Gemahlinnen aus adeligen oder bürgerlichem Hause vom Kaiser er¬ wirkten. Während die Agnaten auf eine angebliche Mißheirath Rechtsansprüche bauten, suchten die zu dem Vorurtheil Anlaß gebenden Eheherrn durch Er¬ langung des auf den politisch bevorzugten Stand hinweisenden Titel der Ge¬ mahlin dagegenzuwirken. Der kaiserliche Hof, welcher den Titel verlieh, hielt sodann um des eignen Ansehens willen darauf, daß, wenn die Ehe nicht aus¬ drücklich morganatisch geschlossen war, die Kinder als ebenbürtig und unbedingt erbfolgefähig betrachtet wurden. Jemehr jedoch hin und hergestritten wurde, desto lebhafter fühlte man die Nothwendigkeit einer reichsgesetzlichen Bestimmung über die Mißheirathen, aber einigen konnten sich die kurfürstlichen gesetzgeben¬ den Collegien' nach langer Verhandlung doch nur über eine unbestimmte Fassung, welche sodann in der Wahlcapitulation Kaiser Karls VII. vom Jahre 17i-2 aufgenommen wurde. Der Kaiser versprach den aus motorischer Mi߬ heirath erzeugten Kindern eines Reichsstandes oder eines aus solchem Hause entsprossenen Herrn weder die väterlichen Titel, Ehren und Würden zu er¬ theilen, noch wollte er sie zum Nachtheile der wahren Erbfolger ohne deren Einwilligung für ebenbürtig und successtvnsfähig erklären. Fest stand dabei nur der eine Fall, welcher die letzte Veranlassung der ganzen Forderung war, nämlich der Fall, dqß ein Mann von altem reichsständischcn Fürstenstande sich mit einem bürgerlichen Mädchen verheirathete. Hier wurde die Notorietät als auf ge¬ meinem Herkommen beruhend vorausgesetzt. Daß auch eine fürstliche oder reichsgräfliche Ehe nut Frauen vom Adel, besonders von altem stiftsmäßigen Adel eine Mißheirath sei, ist mit jenem Ausdrucke niemals zur Anerkennung als gemeines Reichsrecht gebracht worden. Höchstens fand nun die Voraus¬ setzung in dem Hausgesetz einzelner Familien rechtliche Geltung. Und so konnte und mußte sich das badensche Geheimerathöcollegimn vom 4. December 1787 bei Berathung der Ehepacten bezüglich der zweiten Ehe des Markgrafen (nachherigen Kurfürsten und Großherzogs) Karl Friedrich mit dem Freifräulein Ccirvline Luise Geyer von Geiersberg einstimmig dahin aussprechen, daß, da die Freifrau von Hochberg von Vater und Mutter her die erforderliche Ahnen- Probe machen könne, die aus dieser Ehe entspringenden Söhne nach den bis¬ herigen reichöhofräthlichen Principien umsomehr successionssähig seien, als das Herkommen im fürstlichen Hause damit übereinstimme. Auf dem Aachener Grcttjbotcu. I. 1865. ' 47

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/377>, abgerufen am 26.06.2024.