Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.zweifelhaft, ob die schließliche Anerkennung der angefochtenen Ehen durch die Dagegen strebten die Praxis und die Familienpolitik der Fürsten und Jemehr sich infolge der eigenthümlichen Entwicklung der deutschen Reichs¬ Es lag im Interesse dieser stolzerem und glänzendem Häuser, daß die zweifelhaft, ob die schließliche Anerkennung der angefochtenen Ehen durch die Dagegen strebten die Praxis und die Familienpolitik der Fürsten und Jemehr sich infolge der eigenthümlichen Entwicklung der deutschen Reichs¬ Es lag im Interesse dieser stolzerem und glänzendem Häuser, daß die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0376" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/99228"/> <p xml:id="ID_1288" prev="#ID_1287"> zweifelhaft, ob die schließliche Anerkennung der angefochtenen Ehen durch die<lb/> Agnaten oder ihre stillschweigende Zustimmung nicht doch rechtlich nothwendig<lb/> wär. Zugegeben sogar, daß in den einzelnen Fällen von den Agnaten ihre<lb/> Einwilligung als rechtlich nothwendig angesehen und in dieser Ueberzeugung<lb/> ertheilt oder verweigert wurde, so bewiese das höchstens ein Familienherkommen<lb/> in den betreffenden Familien, aber keineswegs ein gemeingiltiges Herkommen;<lb/> denn die Hausverträge und fürstlichen Testamente gehen oft sogar noch weiter,<lb/> gestatten nur die Verbindung mit einer fürstlichen Braut und verbieten dieselbe<lb/> mit altgräflichen, oder wol gar, wie es in einem würtembergischen Testamenre<lb/> von 1664 vorkommt, mit auswärtigen souveränen Häusern. In einem gräflich<lb/> Leiningenschen Hausvertrage von 1614 werden nicht blos die unebenbürtiger<lb/> Kinder, sondern wird sogar derjenige selbst, welcher eine Ehe mit einer Person<lb/> geringeren Standes eingeht, von der Succession ausgeschlossen und in einem<lb/> gräflich Neußischen Hausvertrage von 1668 wird den Familiengliedern ebensowol<lb/> das Heirathen aus einem höheren, wie aus einem niederen Geschlechte untersagt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1289"> Dagegen strebten die Praxis und die Familienpolitik der Fürsten und<lb/> Souveräne seit dem 30jährigen Kriege nach einer größeren Erhebung über<lb/> das Volk. Die Lehre vom reinen Blut, von göttlicher Legitimität, von fürst¬<lb/> licher Ebenbürtigkeit ward mit allen ihren Abgeschmacktheiten in dieser faulen<lb/> Zeit populär.</p><lb/> <p xml:id="ID_1290"> Jemehr sich infolge der eigenthümlichen Entwicklung der deutschen Reichs¬<lb/> verfassung der politische Abstand zwischen dem Fürsten- „und Herrenstande einer¬<lb/> seits, und den übrigen freien Ständen andrerseits vergrößerte, desto angelegent¬<lb/> licher mußten die Bevorzugten (Erlauchten, illustres) darnach streben, sich<lb/> gegen die übrigen Freien, den Adel und die Bürger, auch als Geburtsstand<lb/> abzuschließen. Man sing an, von einem Stande des hohen Adels im<lb/> Gegensatze des niedern oder ritterlichen zu sprechen. Sollten aber jene Er¬<lb/> lauchten definirt werden, so gehörte niemand dazu, als wirklich reichs-<lb/> ständische,, mit Sitz und Stimme auf dem Landtage erscheinende<lb/> und an der Neichsregierung theilnehmende Fürsten- und Grafen¬<lb/> geschlechter und einige wenige reichsständische Dynastien, welche sich ohne<lb/> Veränderung ihrer Titel als edle Herren (bin-om-s) auf ihren Herrschaften<lb/> erhalten hatten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1291" next="#ID_1292"> Es lag im Interesse dieser stolzerem und glänzendem Häuser, daß die<lb/> Ehen mit adeligen und bürgerlichen Frauen von Rechtswegen als Mißheirath<lb/> betrachtet würden. Sobald es ihnen gelang, ihrer Autonomie so große An¬<lb/> erkennung zu verschaffen, daß die Familien befugt erschienen, den Grundsatz<lb/> nach Belieben unter sich einzuführen, konnte aus dem Herkommen ein Recht<lb/> werden. Allein die Anerkennung solcher Befugn-iß mußte auf Widerstand<lb/> stoßen und konnte deshalb erst allmälig erlangt werden, weil nicht blos der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0376]
zweifelhaft, ob die schließliche Anerkennung der angefochtenen Ehen durch die
Agnaten oder ihre stillschweigende Zustimmung nicht doch rechtlich nothwendig
wär. Zugegeben sogar, daß in den einzelnen Fällen von den Agnaten ihre
Einwilligung als rechtlich nothwendig angesehen und in dieser Ueberzeugung
ertheilt oder verweigert wurde, so bewiese das höchstens ein Familienherkommen
in den betreffenden Familien, aber keineswegs ein gemeingiltiges Herkommen;
denn die Hausverträge und fürstlichen Testamente gehen oft sogar noch weiter,
gestatten nur die Verbindung mit einer fürstlichen Braut und verbieten dieselbe
mit altgräflichen, oder wol gar, wie es in einem würtembergischen Testamenre
von 1664 vorkommt, mit auswärtigen souveränen Häusern. In einem gräflich
Leiningenschen Hausvertrage von 1614 werden nicht blos die unebenbürtiger
Kinder, sondern wird sogar derjenige selbst, welcher eine Ehe mit einer Person
geringeren Standes eingeht, von der Succession ausgeschlossen und in einem
gräflich Neußischen Hausvertrage von 1668 wird den Familiengliedern ebensowol
das Heirathen aus einem höheren, wie aus einem niederen Geschlechte untersagt.
Dagegen strebten die Praxis und die Familienpolitik der Fürsten und
Souveräne seit dem 30jährigen Kriege nach einer größeren Erhebung über
das Volk. Die Lehre vom reinen Blut, von göttlicher Legitimität, von fürst¬
licher Ebenbürtigkeit ward mit allen ihren Abgeschmacktheiten in dieser faulen
Zeit populär.
Jemehr sich infolge der eigenthümlichen Entwicklung der deutschen Reichs¬
verfassung der politische Abstand zwischen dem Fürsten- „und Herrenstande einer¬
seits, und den übrigen freien Ständen andrerseits vergrößerte, desto angelegent¬
licher mußten die Bevorzugten (Erlauchten, illustres) darnach streben, sich
gegen die übrigen Freien, den Adel und die Bürger, auch als Geburtsstand
abzuschließen. Man sing an, von einem Stande des hohen Adels im
Gegensatze des niedern oder ritterlichen zu sprechen. Sollten aber jene Er¬
lauchten definirt werden, so gehörte niemand dazu, als wirklich reichs-
ständische,, mit Sitz und Stimme auf dem Landtage erscheinende
und an der Neichsregierung theilnehmende Fürsten- und Grafen¬
geschlechter und einige wenige reichsständische Dynastien, welche sich ohne
Veränderung ihrer Titel als edle Herren (bin-om-s) auf ihren Herrschaften
erhalten hatten.
Es lag im Interesse dieser stolzerem und glänzendem Häuser, daß die
Ehen mit adeligen und bürgerlichen Frauen von Rechtswegen als Mißheirath
betrachtet würden. Sobald es ihnen gelang, ihrer Autonomie so große An¬
erkennung zu verschaffen, daß die Familien befugt erschienen, den Grundsatz
nach Belieben unter sich einzuführen, konnte aus dem Herkommen ein Recht
werden. Allein die Anerkennung solcher Befugn-iß mußte auf Widerstand
stoßen und konnte deshalb erst allmälig erlangt werden, weil nicht blos der
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |