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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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wenigstens im Range niedrigeren Kreise suchen, um der Frau trotz der mor-
ganatischen Clausel doch noch die Vortheile persönlicher Erhöhung bieten zu
können. Der Ausschluß der Kinder aus morganatischer Ehe vom Range
und Stande des Vaters ist erst durch spätere Weiterbildung des Rechtsin¬
stitutes eingeführt worden. Trat der Fall ein, daß die aus morganatischer
Ehe stammenden Kinder wegen Wegfalls der Söhne aus der (ersten) unbedingt
ebenbürtigen Ehe zur Erbschaft auch der übrigen Allodialbesitzungen des Va¬
ters gerufen wurden, ^so brauchten sie dazu keine Standeserhöhung zu er¬
langen, weil ihnen die Güter von Rechtswegen zufielen. Nur wenn dieselben
Kinder in Ermanglung von Söhnen voller Ehe auch den Lehnbesitz des Vaters
und dessen dadurch bedingte politische Würde erlangen wollten, bedurften sie
dazu einer besondern kaiserlichen (lchnsherrlichen) Genehmigung und Verleihung,
und wenn es sich um Fahnenlehen handelte, so lag darin natürlich und noth¬
wendig zugleich eine Erhöhung ihres bisherigen Schildes; und hier haben wir
den geschichtlichen Ausgangspunkt für die später sogenannten Standeserhöh¬
ungen. Uebrigens kannte man in Italien sowenig eine Mißheirath zwischen
freien Ständen, daß man nach dem Zeugniß des longobardischen Lehnrechtes
nach einigem Schwanken sogar den mit einer unfreien Frau ehelich erzeugten
Sohn zur Lehnfolge zuließ, wenn er. nur vor dem Eintritt des Successions-
falls die Freilassung erlangt hatte. Noch heutzutage kennt der italienische
Adel überhaupt keine Mißheirathen.

Richtig ist aber, daß, als die morganatischen Ehen aufgekommen waren,
das Interesse der fürstlichen Agnaten auch hier dahin ging, die standesunglci-
chen Ehen ihrer Familienglieder von-Rechtswegen wie morganatische Ehen be¬
handelt zu sehen. Und zu leugnen ist nicht, daß es ihnen in manchen Fällen
gelang, dies factisch durchzusetzen, oder daß auch wol manche aus unstandes-
mäßiger Ehe erzeugte Kinder, besonders wo die Mutter von sehr geringem
Stande gewesen war, selbst keine Ansprüche aus Land und Leute machten, da
sie sich persönlich einer solchen Stellung nicht gewachsen fühlten.

Während im Is., -16. und 17. Jahrhunderte die romanistische Richtung der
Rechtsentwicklung überwog, erkannten die Juristen damaliger Zeit keine Mi߬
heirathunter den verschiedenen Classen der Freien an; denn das römische Recht
weiß nichts von Geburtsunterschieden unter Freien, welche eine Beschränkung
der Rechtswirkungen einer wahren Ehe in Bezug auf Stand und Erbrechte
der Kinder zur Folge haben könnten. Wenn daher von der Mitte des 18. Jahr¬
hunderts an eine Mißheirathslehre zu solcher Bedeutung kam, daß ihr die tief
eingedrungene und kräftig vertretene romanistische Theorie wenigstens theilweise
weichen mußte, so muß der Grund in etwas Anderem gesucht werden, als in
einem angeblichen uralten gemeinen fürstlichen Herkommen. Daß dieses nicht
bestehe, wußte man im Is. Jahrhundert noch sehr wohl in Deutschland.


wenigstens im Range niedrigeren Kreise suchen, um der Frau trotz der mor-
ganatischen Clausel doch noch die Vortheile persönlicher Erhöhung bieten zu
können. Der Ausschluß der Kinder aus morganatischer Ehe vom Range
und Stande des Vaters ist erst durch spätere Weiterbildung des Rechtsin¬
stitutes eingeführt worden. Trat der Fall ein, daß die aus morganatischer
Ehe stammenden Kinder wegen Wegfalls der Söhne aus der (ersten) unbedingt
ebenbürtigen Ehe zur Erbschaft auch der übrigen Allodialbesitzungen des Va¬
ters gerufen wurden, ^so brauchten sie dazu keine Standeserhöhung zu er¬
langen, weil ihnen die Güter von Rechtswegen zufielen. Nur wenn dieselben
Kinder in Ermanglung von Söhnen voller Ehe auch den Lehnbesitz des Vaters
und dessen dadurch bedingte politische Würde erlangen wollten, bedurften sie
dazu einer besondern kaiserlichen (lchnsherrlichen) Genehmigung und Verleihung,
und wenn es sich um Fahnenlehen handelte, so lag darin natürlich und noth¬
wendig zugleich eine Erhöhung ihres bisherigen Schildes; und hier haben wir
den geschichtlichen Ausgangspunkt für die später sogenannten Standeserhöh¬
ungen. Uebrigens kannte man in Italien sowenig eine Mißheirath zwischen
freien Ständen, daß man nach dem Zeugniß des longobardischen Lehnrechtes
nach einigem Schwanken sogar den mit einer unfreien Frau ehelich erzeugten
Sohn zur Lehnfolge zuließ, wenn er. nur vor dem Eintritt des Successions-
falls die Freilassung erlangt hatte. Noch heutzutage kennt der italienische
Adel überhaupt keine Mißheirathen.

Richtig ist aber, daß, als die morganatischen Ehen aufgekommen waren,
das Interesse der fürstlichen Agnaten auch hier dahin ging, die standesunglci-
chen Ehen ihrer Familienglieder von-Rechtswegen wie morganatische Ehen be¬
handelt zu sehen. Und zu leugnen ist nicht, daß es ihnen in manchen Fällen
gelang, dies factisch durchzusetzen, oder daß auch wol manche aus unstandes-
mäßiger Ehe erzeugte Kinder, besonders wo die Mutter von sehr geringem
Stande gewesen war, selbst keine Ansprüche aus Land und Leute machten, da
sie sich persönlich einer solchen Stellung nicht gewachsen fühlten.

Während im Is., -16. und 17. Jahrhunderte die romanistische Richtung der
Rechtsentwicklung überwog, erkannten die Juristen damaliger Zeit keine Mi߬
heirathunter den verschiedenen Classen der Freien an; denn das römische Recht
weiß nichts von Geburtsunterschieden unter Freien, welche eine Beschränkung
der Rechtswirkungen einer wahren Ehe in Bezug auf Stand und Erbrechte
der Kinder zur Folge haben könnten. Wenn daher von der Mitte des 18. Jahr¬
hunderts an eine Mißheirathslehre zu solcher Bedeutung kam, daß ihr die tief
eingedrungene und kräftig vertretene romanistische Theorie wenigstens theilweise
weichen mußte, so muß der Grund in etwas Anderem gesucht werden, als in
einem angeblichen uralten gemeinen fürstlichen Herkommen. Daß dieses nicht
bestehe, wußte man im Is. Jahrhundert noch sehr wohl in Deutschland.


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[0374] wenigstens im Range niedrigeren Kreise suchen, um der Frau trotz der mor- ganatischen Clausel doch noch die Vortheile persönlicher Erhöhung bieten zu können. Der Ausschluß der Kinder aus morganatischer Ehe vom Range und Stande des Vaters ist erst durch spätere Weiterbildung des Rechtsin¬ stitutes eingeführt worden. Trat der Fall ein, daß die aus morganatischer Ehe stammenden Kinder wegen Wegfalls der Söhne aus der (ersten) unbedingt ebenbürtigen Ehe zur Erbschaft auch der übrigen Allodialbesitzungen des Va¬ ters gerufen wurden, ^so brauchten sie dazu keine Standeserhöhung zu er¬ langen, weil ihnen die Güter von Rechtswegen zufielen. Nur wenn dieselben Kinder in Ermanglung von Söhnen voller Ehe auch den Lehnbesitz des Vaters und dessen dadurch bedingte politische Würde erlangen wollten, bedurften sie dazu einer besondern kaiserlichen (lchnsherrlichen) Genehmigung und Verleihung, und wenn es sich um Fahnenlehen handelte, so lag darin natürlich und noth¬ wendig zugleich eine Erhöhung ihres bisherigen Schildes; und hier haben wir den geschichtlichen Ausgangspunkt für die später sogenannten Standeserhöh¬ ungen. Uebrigens kannte man in Italien sowenig eine Mißheirath zwischen freien Ständen, daß man nach dem Zeugniß des longobardischen Lehnrechtes nach einigem Schwanken sogar den mit einer unfreien Frau ehelich erzeugten Sohn zur Lehnfolge zuließ, wenn er. nur vor dem Eintritt des Successions- falls die Freilassung erlangt hatte. Noch heutzutage kennt der italienische Adel überhaupt keine Mißheirathen. Richtig ist aber, daß, als die morganatischen Ehen aufgekommen waren, das Interesse der fürstlichen Agnaten auch hier dahin ging, die standesunglci- chen Ehen ihrer Familienglieder von-Rechtswegen wie morganatische Ehen be¬ handelt zu sehen. Und zu leugnen ist nicht, daß es ihnen in manchen Fällen gelang, dies factisch durchzusetzen, oder daß auch wol manche aus unstandes- mäßiger Ehe erzeugte Kinder, besonders wo die Mutter von sehr geringem Stande gewesen war, selbst keine Ansprüche aus Land und Leute machten, da sie sich persönlich einer solchen Stellung nicht gewachsen fühlten. Während im Is., -16. und 17. Jahrhunderte die romanistische Richtung der Rechtsentwicklung überwog, erkannten die Juristen damaliger Zeit keine Mi߬ heirathunter den verschiedenen Classen der Freien an; denn das römische Recht weiß nichts von Geburtsunterschieden unter Freien, welche eine Beschränkung der Rechtswirkungen einer wahren Ehe in Bezug auf Stand und Erbrechte der Kinder zur Folge haben könnten. Wenn daher von der Mitte des 18. Jahr¬ hunderts an eine Mißheirathslehre zu solcher Bedeutung kam, daß ihr die tief eingedrungene und kräftig vertretene romanistische Theorie wenigstens theilweise weichen mußte, so muß der Grund in etwas Anderem gesucht werden, als in einem angeblichen uralten gemeinen fürstlichen Herkommen. Daß dieses nicht bestehe, wußte man im Is. Jahrhundert noch sehr wohl in Deutschland.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/374>, abgerufen am 26.06.2024.