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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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mus die Grundlage der gesammten Reichsverfassung geworden. Auch in Sachsen
wurde also anerkannt, daß die Erwerbung eines Fahnenlehns, d. h. eines Landes¬
bezirks, worauf Negierungsrechte hafteten und dessen Besitz zur Neichsstandschaft
befähigte, dein Empfänger einen bedeutenden Vorzug vor den übrigen Classen
der vollkommen Geburtsfreicn gewährte. Aber diese Auszeichnung, so groß sie
auch war, wurde damals nur als eine politische betrachtet, und sie berührte
das Geburtsstandsystcm nach Landrecht, die sogenannte Ebenbürtigkeit noch
längere Zeit in Sachsen gar nicht. -- In Schwaben dagegen galt dem dortigen
Rechtöspiegel zufolge bald nur der für einen Semperfreien, dessen Vater und
Mutter und sogar Großeltern von beiden Seiten semperfrei waren. War der
eine Elterntheil nicht semperfrei, sondern nur mittelfrei, so galten die Kinder
nur noch für Mittelfreie. Weiter geht der Schwabenspiegel jedoch nickt. Er
sagt keineswegs, daß bei einer ehelichen Verbindung zwischen Mittelfreien und
freien Landsassen die Kinder auch nur landsassenfrei seien. Nur die juristische
Consequenz bringt das mit sich und hat es als Satz ausgestellt.

Schon Kaiser Rudolph I. entband 1278 durch Urkunde, kraft der dem
Kaiser allein zustehenden MachtMlkommenheit, die Gemahlin des Markgrafen
von Meißen, Heinrich des Erlauchten, Elisabeth von Maltitz und dessen ehelich
mit ihr erzeugten Sohn Friedrich, sowie alle etwa noch künftig aus dieser Ehe
entspringenden Kinder von der Ministerialität. Der Kaiser erhebt mit andern
Worten die Gemahlin, den Sohn und die künftigen Kinder des Markgrafen für
alle Zeit in den freien Stand, als wenn sie in demselben geboren
wären, und die Kinder hatten nun, wie andre Freie und Edle, also wie die
älteren Brüder, Ansprüche, des Vaters Lehen und Allod zu erben.

Mit dem in Italien zuerst in Aufnahme gekommenen Rechtsinstitute der
morganatischen Ehe oder der Ehe zur linken Hand, hat es folgende Bewandt-
niß. Die morganatische Ehe sollte ihrem ursprünglichen Sinne Mes den
Streitigkeiten vorbeugen, welche in den fürstlichen Häusern entstanden, wenn
der Vater zu einer zweiten standesgleichen Ehe geschritten war und hieraus
Kinder entsprangen, welche den aus erster ebenbürtigen Ehe schon vorhandenen
Kindern die Erbtheile zu verkleinern drohten. Wittwer von edlem Geschlecht,
welche sich eine neue Lebensgefährtin ausersahen, kamen daher auf den Aus¬
weg, im Ehecontracte den Verzicht der künftigen Descendenz auf ihre gesetzliche
Erbfolge festzustellen, und auf besondere Legate zu beschränken. Daß sich eine
Frau von ebenso hohem Range, wie der fürstliche Gemahl zu einer solchen
Bedingung nicht leicht verstehen würde, war vorauszusetzen. Die Zumuthung
konnte hier kaum gestellt werden, und das allein ist der Grund, warum sich
unter geborenen Mitgliedern des fürstlichen Standes factisch keine morgana¬
tischen Ehen finden. Der fürstliche Manu, welcher nur eine morganatische
Verbindung eingehen wollte, mußte sich seine Lebensgefährtin in einem andern,


mus die Grundlage der gesammten Reichsverfassung geworden. Auch in Sachsen
wurde also anerkannt, daß die Erwerbung eines Fahnenlehns, d. h. eines Landes¬
bezirks, worauf Negierungsrechte hafteten und dessen Besitz zur Neichsstandschaft
befähigte, dein Empfänger einen bedeutenden Vorzug vor den übrigen Classen
der vollkommen Geburtsfreicn gewährte. Aber diese Auszeichnung, so groß sie
auch war, wurde damals nur als eine politische betrachtet, und sie berührte
das Geburtsstandsystcm nach Landrecht, die sogenannte Ebenbürtigkeit noch
längere Zeit in Sachsen gar nicht. — In Schwaben dagegen galt dem dortigen
Rechtöspiegel zufolge bald nur der für einen Semperfreien, dessen Vater und
Mutter und sogar Großeltern von beiden Seiten semperfrei waren. War der
eine Elterntheil nicht semperfrei, sondern nur mittelfrei, so galten die Kinder
nur noch für Mittelfreie. Weiter geht der Schwabenspiegel jedoch nickt. Er
sagt keineswegs, daß bei einer ehelichen Verbindung zwischen Mittelfreien und
freien Landsassen die Kinder auch nur landsassenfrei seien. Nur die juristische
Consequenz bringt das mit sich und hat es als Satz ausgestellt.

Schon Kaiser Rudolph I. entband 1278 durch Urkunde, kraft der dem
Kaiser allein zustehenden MachtMlkommenheit, die Gemahlin des Markgrafen
von Meißen, Heinrich des Erlauchten, Elisabeth von Maltitz und dessen ehelich
mit ihr erzeugten Sohn Friedrich, sowie alle etwa noch künftig aus dieser Ehe
entspringenden Kinder von der Ministerialität. Der Kaiser erhebt mit andern
Worten die Gemahlin, den Sohn und die künftigen Kinder des Markgrafen für
alle Zeit in den freien Stand, als wenn sie in demselben geboren
wären, und die Kinder hatten nun, wie andre Freie und Edle, also wie die
älteren Brüder, Ansprüche, des Vaters Lehen und Allod zu erben.

Mit dem in Italien zuerst in Aufnahme gekommenen Rechtsinstitute der
morganatischen Ehe oder der Ehe zur linken Hand, hat es folgende Bewandt-
niß. Die morganatische Ehe sollte ihrem ursprünglichen Sinne Mes den
Streitigkeiten vorbeugen, welche in den fürstlichen Häusern entstanden, wenn
der Vater zu einer zweiten standesgleichen Ehe geschritten war und hieraus
Kinder entsprangen, welche den aus erster ebenbürtigen Ehe schon vorhandenen
Kindern die Erbtheile zu verkleinern drohten. Wittwer von edlem Geschlecht,
welche sich eine neue Lebensgefährtin ausersahen, kamen daher auf den Aus¬
weg, im Ehecontracte den Verzicht der künftigen Descendenz auf ihre gesetzliche
Erbfolge festzustellen, und auf besondere Legate zu beschränken. Daß sich eine
Frau von ebenso hohem Range, wie der fürstliche Gemahl zu einer solchen
Bedingung nicht leicht verstehen würde, war vorauszusetzen. Die Zumuthung
konnte hier kaum gestellt werden, und das allein ist der Grund, warum sich
unter geborenen Mitgliedern des fürstlichen Standes factisch keine morgana¬
tischen Ehen finden. Der fürstliche Manu, welcher nur eine morganatische
Verbindung eingehen wollte, mußte sich seine Lebensgefährtin in einem andern,


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[0373] mus die Grundlage der gesammten Reichsverfassung geworden. Auch in Sachsen wurde also anerkannt, daß die Erwerbung eines Fahnenlehns, d. h. eines Landes¬ bezirks, worauf Negierungsrechte hafteten und dessen Besitz zur Neichsstandschaft befähigte, dein Empfänger einen bedeutenden Vorzug vor den übrigen Classen der vollkommen Geburtsfreicn gewährte. Aber diese Auszeichnung, so groß sie auch war, wurde damals nur als eine politische betrachtet, und sie berührte das Geburtsstandsystcm nach Landrecht, die sogenannte Ebenbürtigkeit noch längere Zeit in Sachsen gar nicht. — In Schwaben dagegen galt dem dortigen Rechtöspiegel zufolge bald nur der für einen Semperfreien, dessen Vater und Mutter und sogar Großeltern von beiden Seiten semperfrei waren. War der eine Elterntheil nicht semperfrei, sondern nur mittelfrei, so galten die Kinder nur noch für Mittelfreie. Weiter geht der Schwabenspiegel jedoch nickt. Er sagt keineswegs, daß bei einer ehelichen Verbindung zwischen Mittelfreien und freien Landsassen die Kinder auch nur landsassenfrei seien. Nur die juristische Consequenz bringt das mit sich und hat es als Satz ausgestellt. Schon Kaiser Rudolph I. entband 1278 durch Urkunde, kraft der dem Kaiser allein zustehenden MachtMlkommenheit, die Gemahlin des Markgrafen von Meißen, Heinrich des Erlauchten, Elisabeth von Maltitz und dessen ehelich mit ihr erzeugten Sohn Friedrich, sowie alle etwa noch künftig aus dieser Ehe entspringenden Kinder von der Ministerialität. Der Kaiser erhebt mit andern Worten die Gemahlin, den Sohn und die künftigen Kinder des Markgrafen für alle Zeit in den freien Stand, als wenn sie in demselben geboren wären, und die Kinder hatten nun, wie andre Freie und Edle, also wie die älteren Brüder, Ansprüche, des Vaters Lehen und Allod zu erben. Mit dem in Italien zuerst in Aufnahme gekommenen Rechtsinstitute der morganatischen Ehe oder der Ehe zur linken Hand, hat es folgende Bewandt- niß. Die morganatische Ehe sollte ihrem ursprünglichen Sinne Mes den Streitigkeiten vorbeugen, welche in den fürstlichen Häusern entstanden, wenn der Vater zu einer zweiten standesgleichen Ehe geschritten war und hieraus Kinder entsprangen, welche den aus erster ebenbürtigen Ehe schon vorhandenen Kindern die Erbtheile zu verkleinern drohten. Wittwer von edlem Geschlecht, welche sich eine neue Lebensgefährtin ausersahen, kamen daher auf den Aus¬ weg, im Ehecontracte den Verzicht der künftigen Descendenz auf ihre gesetzliche Erbfolge festzustellen, und auf besondere Legate zu beschränken. Daß sich eine Frau von ebenso hohem Range, wie der fürstliche Gemahl zu einer solchen Bedingung nicht leicht verstehen würde, war vorauszusetzen. Die Zumuthung konnte hier kaum gestellt werden, und das allein ist der Grund, warum sich unter geborenen Mitgliedern des fürstlichen Standes factisch keine morgana¬ tischen Ehen finden. Der fürstliche Manu, welcher nur eine morganatische Verbindung eingehen wollte, mußte sich seine Lebensgefährtin in einem andern,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/373>, abgerufen am 26.06.2024.