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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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von Freien und Adel, ja nicht einmal eine Scheidung der bei manchen Stammen
schon vorhandenen königlichen Geschlechter von den Freien gefunden wird. Von
einer Nechtswirkung dieser Trennung auf Ehe und andre Rechtsinstitute kann
also noch keine Rede sein. Der Merowinger Chlotar II. war sogar der Sohn
einer unfreien Magd, wurde dessenungeachtet als Prinz von Geblüt anerkannt
und bestieg ohne Widerrede den fränkischen Thron. In der karolingischen Zeit
wurde nur die Ehe zwischen Freien und Unfreien mit verschiedenen Nachtheilen
bedroht, so daß namentlich die Kinder unfrei und von der Erbfolge ausge¬
schlossen wurden, und hier liegt der Anfang zu der Lehre von der Mißheirath.
Unter den Freigeborenen selbst aber, mögen sie durch Alter ihres Geschlechts
oder durch politische Stellung ausgezeichnet sein, findet sich auch da weder in
landrechtlicher noch familienrechtlicher Hinsicht ein Unterschied.

Der. Sachsenspiegel unterscheidet Fürsten, freie Herren und schöffenbare
Leute, erklärt aber ausdrücklich, daß sie sämmtlich nur einen einzigen Stand
ausmachen, und somit kennt auch dieses alte Gesetzbuch keine Mißheirath unter
den verschiedenen Stufen der Freien selbst. Das ehelich freigeborene Kind, d. h.
das Kind, dessen Vater und Mutter, gleichviel auf welcher Stufe, frei sind,'
erbt nicht blos den Stand und das Recht des Vaters überhaupt, sondern auch
namentlich dessen lehnrechtliche Stellung, also je nach des Vaters Stande dessen
Ansprüche auf Fahnenlehn (fürstliche Negierung und Reichsstandschast) oder aus
Ritterlehn. Ausdrücklich sagt der Sachsenspiegel, daß ein Kind besser geboren
sein könne, als seine Mutter, was nur in dem Falle denkbar ist, wenn die
Mutter aus einer andern Classe der Freien als der Vater ist. Ist dagegen
der eine Elterntheil dienstpflichtig, gleichviel ob dies eine gemeine Unfreiheit
oder eine ritterliche Ministerialität ist, so ist das Kind wieder dienst¬
pflichtig, und darauf zielt das Nechtssprichwort: "Das Kino folgt der ärgeren
Hand."

Auch der Schwabenspiegel stellt drei Abstufungen der freien Leute auf;
jedoch bildet das mit der Frankenherrschaft kommende Lehnverhältniß den Ein-
theilungsgrund. Auf der ersten Stufe stehen die Sempersreien, d. h. die freien
Herren, welche andre Freie zu Vasallen haben, die Lehnsherren. Die zweite
Stufe nehmen als Mittelfreie eben diese Vasallen und Lehnsträger ein, und
die dritte Stufe haben die Landsassen inne, d. h. die gemeinen Freien, die
Bauern, welche freien Grundbesitz, aber kein Lehn haben. Den letzteren stand
seit dem Entstehen der Städte auch der Stadtbürger dem Rechte nach gleich;
und als die Städte ein gewisses Uebergewicht an Ansehen erlangten, gaben
sie den Namen und der "Bürgerstand" umfaßte alle Geburtsfreien der dritten
Gliederung.

Bis zum 13. Jahrhundert hatte das Lehnswesen auch in den Ländern des
sächsischen Rechts Eingang gefunden, und mit Kaiser Otto war der Fendalis-


von Freien und Adel, ja nicht einmal eine Scheidung der bei manchen Stammen
schon vorhandenen königlichen Geschlechter von den Freien gefunden wird. Von
einer Nechtswirkung dieser Trennung auf Ehe und andre Rechtsinstitute kann
also noch keine Rede sein. Der Merowinger Chlotar II. war sogar der Sohn
einer unfreien Magd, wurde dessenungeachtet als Prinz von Geblüt anerkannt
und bestieg ohne Widerrede den fränkischen Thron. In der karolingischen Zeit
wurde nur die Ehe zwischen Freien und Unfreien mit verschiedenen Nachtheilen
bedroht, so daß namentlich die Kinder unfrei und von der Erbfolge ausge¬
schlossen wurden, und hier liegt der Anfang zu der Lehre von der Mißheirath.
Unter den Freigeborenen selbst aber, mögen sie durch Alter ihres Geschlechts
oder durch politische Stellung ausgezeichnet sein, findet sich auch da weder in
landrechtlicher noch familienrechtlicher Hinsicht ein Unterschied.

Der. Sachsenspiegel unterscheidet Fürsten, freie Herren und schöffenbare
Leute, erklärt aber ausdrücklich, daß sie sämmtlich nur einen einzigen Stand
ausmachen, und somit kennt auch dieses alte Gesetzbuch keine Mißheirath unter
den verschiedenen Stufen der Freien selbst. Das ehelich freigeborene Kind, d. h.
das Kind, dessen Vater und Mutter, gleichviel auf welcher Stufe, frei sind,'
erbt nicht blos den Stand und das Recht des Vaters überhaupt, sondern auch
namentlich dessen lehnrechtliche Stellung, also je nach des Vaters Stande dessen
Ansprüche auf Fahnenlehn (fürstliche Negierung und Reichsstandschast) oder aus
Ritterlehn. Ausdrücklich sagt der Sachsenspiegel, daß ein Kind besser geboren
sein könne, als seine Mutter, was nur in dem Falle denkbar ist, wenn die
Mutter aus einer andern Classe der Freien als der Vater ist. Ist dagegen
der eine Elterntheil dienstpflichtig, gleichviel ob dies eine gemeine Unfreiheit
oder eine ritterliche Ministerialität ist, so ist das Kind wieder dienst¬
pflichtig, und darauf zielt das Nechtssprichwort: „Das Kino folgt der ärgeren
Hand."

Auch der Schwabenspiegel stellt drei Abstufungen der freien Leute auf;
jedoch bildet das mit der Frankenherrschaft kommende Lehnverhältniß den Ein-
theilungsgrund. Auf der ersten Stufe stehen die Sempersreien, d. h. die freien
Herren, welche andre Freie zu Vasallen haben, die Lehnsherren. Die zweite
Stufe nehmen als Mittelfreie eben diese Vasallen und Lehnsträger ein, und
die dritte Stufe haben die Landsassen inne, d. h. die gemeinen Freien, die
Bauern, welche freien Grundbesitz, aber kein Lehn haben. Den letzteren stand
seit dem Entstehen der Städte auch der Stadtbürger dem Rechte nach gleich;
und als die Städte ein gewisses Uebergewicht an Ansehen erlangten, gaben
sie den Namen und der „Bürgerstand" umfaßte alle Geburtsfreien der dritten
Gliederung.

Bis zum 13. Jahrhundert hatte das Lehnswesen auch in den Ländern des
sächsischen Rechts Eingang gefunden, und mit Kaiser Otto war der Fendalis-


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[0372] von Freien und Adel, ja nicht einmal eine Scheidung der bei manchen Stammen schon vorhandenen königlichen Geschlechter von den Freien gefunden wird. Von einer Nechtswirkung dieser Trennung auf Ehe und andre Rechtsinstitute kann also noch keine Rede sein. Der Merowinger Chlotar II. war sogar der Sohn einer unfreien Magd, wurde dessenungeachtet als Prinz von Geblüt anerkannt und bestieg ohne Widerrede den fränkischen Thron. In der karolingischen Zeit wurde nur die Ehe zwischen Freien und Unfreien mit verschiedenen Nachtheilen bedroht, so daß namentlich die Kinder unfrei und von der Erbfolge ausge¬ schlossen wurden, und hier liegt der Anfang zu der Lehre von der Mißheirath. Unter den Freigeborenen selbst aber, mögen sie durch Alter ihres Geschlechts oder durch politische Stellung ausgezeichnet sein, findet sich auch da weder in landrechtlicher noch familienrechtlicher Hinsicht ein Unterschied. Der. Sachsenspiegel unterscheidet Fürsten, freie Herren und schöffenbare Leute, erklärt aber ausdrücklich, daß sie sämmtlich nur einen einzigen Stand ausmachen, und somit kennt auch dieses alte Gesetzbuch keine Mißheirath unter den verschiedenen Stufen der Freien selbst. Das ehelich freigeborene Kind, d. h. das Kind, dessen Vater und Mutter, gleichviel auf welcher Stufe, frei sind,' erbt nicht blos den Stand und das Recht des Vaters überhaupt, sondern auch namentlich dessen lehnrechtliche Stellung, also je nach des Vaters Stande dessen Ansprüche auf Fahnenlehn (fürstliche Negierung und Reichsstandschast) oder aus Ritterlehn. Ausdrücklich sagt der Sachsenspiegel, daß ein Kind besser geboren sein könne, als seine Mutter, was nur in dem Falle denkbar ist, wenn die Mutter aus einer andern Classe der Freien als der Vater ist. Ist dagegen der eine Elterntheil dienstpflichtig, gleichviel ob dies eine gemeine Unfreiheit oder eine ritterliche Ministerialität ist, so ist das Kind wieder dienst¬ pflichtig, und darauf zielt das Nechtssprichwort: „Das Kino folgt der ärgeren Hand." Auch der Schwabenspiegel stellt drei Abstufungen der freien Leute auf; jedoch bildet das mit der Frankenherrschaft kommende Lehnverhältniß den Ein- theilungsgrund. Auf der ersten Stufe stehen die Sempersreien, d. h. die freien Herren, welche andre Freie zu Vasallen haben, die Lehnsherren. Die zweite Stufe nehmen als Mittelfreie eben diese Vasallen und Lehnsträger ein, und die dritte Stufe haben die Landsassen inne, d. h. die gemeinen Freien, die Bauern, welche freien Grundbesitz, aber kein Lehn haben. Den letzteren stand seit dem Entstehen der Städte auch der Stadtbürger dem Rechte nach gleich; und als die Städte ein gewisses Uebergewicht an Ansehen erlangten, gaben sie den Namen und der „Bürgerstand" umfaßte alle Geburtsfreien der dritten Gliederung. Bis zum 13. Jahrhundert hatte das Lehnswesen auch in den Ländern des sächsischen Rechts Eingang gefunden, und mit Kaiser Otto war der Fendalis-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/372>, abgerufen am 26.06.2024.