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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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hinaufgestiegen sind. Außer dem östreichischen Edlen und Ritter steigt diese
Scala vom einfachen Edelmann zum Freiherrn, Grafen bis zum Fürsten auf.
Auch der letzte Titel, den in der Negel nur der Senior des Hauses besitzt
und der zuweilen nur einzelnen Persönlichkeiten, z.B. dem alten Blücher, dem
Staatskanzler Hardenberg u. ". verliehen wurde, erhebt die Betheiligten noch
nicht in den Kreis des hohen Adels, weil die Vorzüge desselben durch keinen Fürsten
der Welt mehr verliehen werden können, seit die Würde des heiligen römischen
Kaisers, der allerdings dieses Recht in Anspruch nahm, aufgehört hat. Das
deutsche Volk ist nicht geneigt, diesen Unterschied besonders hochzuachten, und
es wird den meisten ziemlich gleichgültig sein, daß noch ein himmelweiter Unter¬
schied bestehen soll zwischen einem Fürsten, den die Könige von Preußen zu
dieser Würde erhoben haben und zwischen einem Grafen, der noch zur Zeit
des deutschen Reiches im Grafencollegium seines Kreises Sitz und 'Stimme
hatte. In den Augen der Ebenbürtigen aber ist dieser Unterschied vielleicht
jetzt größer als je, und an allen Fürstenhöfen Europas wird er als etwas
Selbstverständliches anerkannt und sowol bei jedem Hofceremoniell, als, was
wichtiger ist, bei allen Familienverbindungen eifrig berücksichtigt. Nur den
Ebenbürtigen soll nach Recht das Prädicat Erlaucht und Durchlaucht zukommen,
nur aus ihrem Kreis dürfen souveraine ihre rechtmäßigen Gatten wählen.

Freilich hat die starke Strömung des modernen Lebens viele Löcher in
diese papiernen Ansprüche gerissen, und namentlich die ebenbürtigen Grasen-
familien haben durch häufige Ehen mit nichtebenbürtigen Grafen- und Adels¬
geschlechtern Concessionen an die nivellirende Zeit gemacht. Aber noch besteht im
ganzen die Corporation der Ebenbürtigen mit den Ansprüchen, zweifelhaften
Rechten und Vorurtheilen als ein Ueberrest der alten Zeit, der grade jetzt mehren
Regierungen Deutschlands ernste Schwierigkeiten bereitet und in dem Bereich der
eigenen Herrschaften von vielen Tausenden Anerkennung fordert. Es wird des¬
halb für die Leser d. Bl. nicht ohne Interesse sein, die Doctrin von Eben¬
bürtigkeit und Mißheirathen, wie sich dieselbe so wunderlich aus dem Feuda¬
lismus des Mittelalters entwickelt hat, etwas näher kennen zu lernen.

Um diese wichtigen Materien zu entscheiden, gehen die Juristen in die
deutsche Vorzeit soweit wie möglich zurück. Zwar ist der Uradel in den Ur¬
wäldern Germaniens, wovon Pütter in seinem berühmten Buche über unsern
Gegenstand (1796) ausgeht, durch die Kritik in Nebelbilder aufgelöst und neuere
Forschungen, namentlich die vo<Zoepfl*), haben im Gegentheil nachgewiesen,
daß in der ältesten durch Nachrichten aufgehellten Zeit noch keine Scheidung



Ueber Mischcirathcn in den deutschen regierenden Fürstenhäusern überhaupt und
in dem oldenburgischen chcsauuuthause insbesondere. Von Dr. Heinrich Zoepfl. Stuttgart.
Verlag von Adolph Krabbe, An vortreffliches Buch, das in diesem Blatte schon
öfter erwähnt wurde und bei der folgenden Darstellung zugruudegclegt ist.
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hinaufgestiegen sind. Außer dem östreichischen Edlen und Ritter steigt diese
Scala vom einfachen Edelmann zum Freiherrn, Grafen bis zum Fürsten auf.
Auch der letzte Titel, den in der Negel nur der Senior des Hauses besitzt
und der zuweilen nur einzelnen Persönlichkeiten, z.B. dem alten Blücher, dem
Staatskanzler Hardenberg u. «. verliehen wurde, erhebt die Betheiligten noch
nicht in den Kreis des hohen Adels, weil die Vorzüge desselben durch keinen Fürsten
der Welt mehr verliehen werden können, seit die Würde des heiligen römischen
Kaisers, der allerdings dieses Recht in Anspruch nahm, aufgehört hat. Das
deutsche Volk ist nicht geneigt, diesen Unterschied besonders hochzuachten, und
es wird den meisten ziemlich gleichgültig sein, daß noch ein himmelweiter Unter¬
schied bestehen soll zwischen einem Fürsten, den die Könige von Preußen zu
dieser Würde erhoben haben und zwischen einem Grafen, der noch zur Zeit
des deutschen Reiches im Grafencollegium seines Kreises Sitz und 'Stimme
hatte. In den Augen der Ebenbürtigen aber ist dieser Unterschied vielleicht
jetzt größer als je, und an allen Fürstenhöfen Europas wird er als etwas
Selbstverständliches anerkannt und sowol bei jedem Hofceremoniell, als, was
wichtiger ist, bei allen Familienverbindungen eifrig berücksichtigt. Nur den
Ebenbürtigen soll nach Recht das Prädicat Erlaucht und Durchlaucht zukommen,
nur aus ihrem Kreis dürfen souveraine ihre rechtmäßigen Gatten wählen.

Freilich hat die starke Strömung des modernen Lebens viele Löcher in
diese papiernen Ansprüche gerissen, und namentlich die ebenbürtigen Grasen-
familien haben durch häufige Ehen mit nichtebenbürtigen Grafen- und Adels¬
geschlechtern Concessionen an die nivellirende Zeit gemacht. Aber noch besteht im
ganzen die Corporation der Ebenbürtigen mit den Ansprüchen, zweifelhaften
Rechten und Vorurtheilen als ein Ueberrest der alten Zeit, der grade jetzt mehren
Regierungen Deutschlands ernste Schwierigkeiten bereitet und in dem Bereich der
eigenen Herrschaften von vielen Tausenden Anerkennung fordert. Es wird des¬
halb für die Leser d. Bl. nicht ohne Interesse sein, die Doctrin von Eben¬
bürtigkeit und Mißheirathen, wie sich dieselbe so wunderlich aus dem Feuda¬
lismus des Mittelalters entwickelt hat, etwas näher kennen zu lernen.

Um diese wichtigen Materien zu entscheiden, gehen die Juristen in die
deutsche Vorzeit soweit wie möglich zurück. Zwar ist der Uradel in den Ur¬
wäldern Germaniens, wovon Pütter in seinem berühmten Buche über unsern
Gegenstand (1796) ausgeht, durch die Kritik in Nebelbilder aufgelöst und neuere
Forschungen, namentlich die vo<Zoepfl*), haben im Gegentheil nachgewiesen,
daß in der ältesten durch Nachrichten aufgehellten Zeit noch keine Scheidung



Ueber Mischcirathcn in den deutschen regierenden Fürstenhäusern überhaupt und
in dem oldenburgischen chcsauuuthause insbesondere. Von Dr. Heinrich Zoepfl. Stuttgart.
Verlag von Adolph Krabbe, An vortreffliches Buch, das in diesem Blatte schon
öfter erwähnt wurde und bei der folgenden Darstellung zugruudegclegt ist.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/371>, abgerufen am 26.06.2024.