Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ren, d. h. in ihrem eignen Gebiet die hohen Souveränetätsrechte besessen und
außerdem an der Regierung des deutschen Reiches wenigstens als recipirte
Beisitzer des Grafencollegiums ihres Kreises Antheil gehabt hatten. Außer
den zahlreichen im Anfange dieses Jahrhunderts med.iatisirten Besitzern von
Fahnenlehen gehören in diesen Kreis noch einige Familien, welche wie z. B.
die Stolberge, durch besondere Verträge mit größern Staaten einen Theil die¬
ser Souveränetätsrechte mit den nöthigen Vorbehalten aufgegeben hatten, so¬
wie einzelne andere, welche durch spätere Beschlüsse des Bundestags (dessen
Competenz für diese Fragen mehr als zweifelhaft ist) für Mitglieder des hohen
Adels erklärt wurden, z. B. die Grafen Bentinck, welche 6" Mre niemals dazu
gehört haben. Außerdem aber ist durch die großen Revolutionen der letzten
hundert Jahre diesen anspruchsvollen Familien eine Classe neuer Standes¬
genossen zugesellt worden, welche nach der alten Rechtstheorie durchaus nicht
in den Kreis des hohen Adels untergebracht werden konnten, die Parvenus
auf europäischen Thronen und ihre Verwandten, vor allen die Familie der
napoleoniden. Um diese Neulinge, vor denen die Ebenbürtigen sich viele
Jahre tief beugten und demüthigem, zu legalisiren, machte sich der Grundsatz
Bahn, daß jeder Souverän, welcher als Inhaber eines Throns von den
ebenbürtigen Monarchen anerkannt sei, sowie die von ihm als zum hohen
Adel gehörig präconisirten Verwandten gleichfalls den Vorzug des hohen Blu¬
tes genießen.

Die Stellung mancher Souveräne ist zweifelhaft. Der heilige Vater
z. B. gehört für seine Person unzweifelhaft zum hohen Adel, aber er hat als
ein Wahlherrscher nicht das Recht, sein Geschlecht in denselben Kreis auszu¬
nehmen. Der Sultan hat bis jetzt das ungewöhnliche Schicksal gehabt, nicht
in Familienverbindung mit den deutschen Ebenbürtigen zu kommen. Sollte
dieser Fall eintreten, was durchaus nicht unmöglich ist, da deutsche Fürsten-
tochter von je die Fähigkeit gezeigt haben, sich der .Religion ihre,. Gemahls
anzupassen, so würde seine Stellung zu den ebenbürtigen Familien Gegenstand
der interessantesten juristischen Fragen werden müssen.

Wenn es aus diesen und andern Gründen in einzelnen Fällen zweifel¬
haft sein kann, ob ein Individuum zum hohen Adel Deutschlands zu rechnen
sei oder nicht, so ist es doch ziemlich sicher, wer nicht zum hohen Adel gezählt
werden darf. Es gehören nicht dazu die Edlen, Grafen, Fürsten und Her¬
zöge, welche diese Titel den Decreten einzelner Souveräne verdanken. Beson¬
ders seit, den letzten hundert Jahren hat sich durch die zahlreichen StandeS-
erhöhungen, welche die einzelnen Monarchen, z" B. Preußens, bei ihrer
Thronbesteigung und andern politischen Veranlassungen vorgenommen haben,
auch in dem niedern Adel eine gewisse Stufenfolge der Adelsbezeichnungen
ausgebildet, an welcher einzelne beharrliche Familien bis zum höchsten Titel


ren, d. h. in ihrem eignen Gebiet die hohen Souveränetätsrechte besessen und
außerdem an der Regierung des deutschen Reiches wenigstens als recipirte
Beisitzer des Grafencollegiums ihres Kreises Antheil gehabt hatten. Außer
den zahlreichen im Anfange dieses Jahrhunderts med.iatisirten Besitzern von
Fahnenlehen gehören in diesen Kreis noch einige Familien, welche wie z. B.
die Stolberge, durch besondere Verträge mit größern Staaten einen Theil die¬
ser Souveränetätsrechte mit den nöthigen Vorbehalten aufgegeben hatten, so¬
wie einzelne andere, welche durch spätere Beschlüsse des Bundestags (dessen
Competenz für diese Fragen mehr als zweifelhaft ist) für Mitglieder des hohen
Adels erklärt wurden, z. B. die Grafen Bentinck, welche 6« Mre niemals dazu
gehört haben. Außerdem aber ist durch die großen Revolutionen der letzten
hundert Jahre diesen anspruchsvollen Familien eine Classe neuer Standes¬
genossen zugesellt worden, welche nach der alten Rechtstheorie durchaus nicht
in den Kreis des hohen Adels untergebracht werden konnten, die Parvenus
auf europäischen Thronen und ihre Verwandten, vor allen die Familie der
napoleoniden. Um diese Neulinge, vor denen die Ebenbürtigen sich viele
Jahre tief beugten und demüthigem, zu legalisiren, machte sich der Grundsatz
Bahn, daß jeder Souverän, welcher als Inhaber eines Throns von den
ebenbürtigen Monarchen anerkannt sei, sowie die von ihm als zum hohen
Adel gehörig präconisirten Verwandten gleichfalls den Vorzug des hohen Blu¬
tes genießen.

Die Stellung mancher Souveräne ist zweifelhaft. Der heilige Vater
z. B. gehört für seine Person unzweifelhaft zum hohen Adel, aber er hat als
ein Wahlherrscher nicht das Recht, sein Geschlecht in denselben Kreis auszu¬
nehmen. Der Sultan hat bis jetzt das ungewöhnliche Schicksal gehabt, nicht
in Familienverbindung mit den deutschen Ebenbürtigen zu kommen. Sollte
dieser Fall eintreten, was durchaus nicht unmöglich ist, da deutsche Fürsten-
tochter von je die Fähigkeit gezeigt haben, sich der .Religion ihre,. Gemahls
anzupassen, so würde seine Stellung zu den ebenbürtigen Familien Gegenstand
der interessantesten juristischen Fragen werden müssen.

Wenn es aus diesen und andern Gründen in einzelnen Fällen zweifel¬
haft sein kann, ob ein Individuum zum hohen Adel Deutschlands zu rechnen
sei oder nicht, so ist es doch ziemlich sicher, wer nicht zum hohen Adel gezählt
werden darf. Es gehören nicht dazu die Edlen, Grafen, Fürsten und Her¬
zöge, welche diese Titel den Decreten einzelner Souveräne verdanken. Beson¬
ders seit, den letzten hundert Jahren hat sich durch die zahlreichen StandeS-
erhöhungen, welche die einzelnen Monarchen, z„ B. Preußens, bei ihrer
Thronbesteigung und andern politischen Veranlassungen vorgenommen haben,
auch in dem niedern Adel eine gewisse Stufenfolge der Adelsbezeichnungen
ausgebildet, an welcher einzelne beharrliche Familien bis zum höchsten Titel


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0370" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/99222"/>
          <p xml:id="ID_1270" prev="#ID_1269"> ren, d. h. in ihrem eignen Gebiet die hohen Souveränetätsrechte besessen und<lb/>
außerdem an der Regierung des deutschen Reiches wenigstens als recipirte<lb/>
Beisitzer des Grafencollegiums ihres Kreises Antheil gehabt hatten. Außer<lb/>
den zahlreichen im Anfange dieses Jahrhunderts med.iatisirten Besitzern von<lb/>
Fahnenlehen gehören in diesen Kreis noch einige Familien, welche wie z. B.<lb/>
die Stolberge, durch besondere Verträge mit größern Staaten einen Theil die¬<lb/>
ser Souveränetätsrechte mit den nöthigen Vorbehalten aufgegeben hatten, so¬<lb/>
wie einzelne andere, welche durch spätere Beschlüsse des Bundestags (dessen<lb/>
Competenz für diese Fragen mehr als zweifelhaft ist) für Mitglieder des hohen<lb/>
Adels erklärt wurden, z. B. die Grafen Bentinck, welche 6« Mre niemals dazu<lb/>
gehört haben. Außerdem aber ist durch die großen Revolutionen der letzten<lb/>
hundert Jahre diesen anspruchsvollen Familien eine Classe neuer Standes¬<lb/>
genossen zugesellt worden, welche nach der alten Rechtstheorie durchaus nicht<lb/>
in den Kreis des hohen Adels untergebracht werden konnten, die Parvenus<lb/>
auf europäischen Thronen und ihre Verwandten, vor allen die Familie der<lb/>
napoleoniden. Um diese Neulinge, vor denen die Ebenbürtigen sich viele<lb/>
Jahre tief beugten und demüthigem, zu legalisiren, machte sich der Grundsatz<lb/>
Bahn, daß jeder Souverän, welcher als Inhaber eines Throns von den<lb/>
ebenbürtigen Monarchen anerkannt sei, sowie die von ihm als zum hohen<lb/>
Adel gehörig präconisirten Verwandten gleichfalls den Vorzug des hohen Blu¬<lb/>
tes genießen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1271"> Die Stellung mancher Souveräne ist zweifelhaft. Der heilige Vater<lb/>
z. B. gehört für seine Person unzweifelhaft zum hohen Adel, aber er hat als<lb/>
ein Wahlherrscher nicht das Recht, sein Geschlecht in denselben Kreis auszu¬<lb/>
nehmen. Der Sultan hat bis jetzt das ungewöhnliche Schicksal gehabt, nicht<lb/>
in Familienverbindung mit den deutschen Ebenbürtigen zu kommen. Sollte<lb/>
dieser Fall eintreten, was durchaus nicht unmöglich ist, da deutsche Fürsten-<lb/>
tochter von je die Fähigkeit gezeigt haben, sich der .Religion ihre,. Gemahls<lb/>
anzupassen, so würde seine Stellung zu den ebenbürtigen Familien Gegenstand<lb/>
der interessantesten juristischen Fragen werden müssen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1272" next="#ID_1273"> Wenn es aus diesen und andern Gründen in einzelnen Fällen zweifel¬<lb/>
haft sein kann, ob ein Individuum zum hohen Adel Deutschlands zu rechnen<lb/>
sei oder nicht, so ist es doch ziemlich sicher, wer nicht zum hohen Adel gezählt<lb/>
werden darf. Es gehören nicht dazu die Edlen, Grafen, Fürsten und Her¬<lb/>
zöge, welche diese Titel den Decreten einzelner Souveräne verdanken. Beson¬<lb/>
ders seit, den letzten hundert Jahren hat sich durch die zahlreichen StandeS-<lb/>
erhöhungen, welche die einzelnen Monarchen, z&#x201E; B. Preußens, bei ihrer<lb/>
Thronbesteigung und andern politischen Veranlassungen vorgenommen haben,<lb/>
auch in dem niedern Adel eine gewisse Stufenfolge der Adelsbezeichnungen<lb/>
ausgebildet, an welcher einzelne beharrliche Familien bis zum höchsten Titel</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0370] ren, d. h. in ihrem eignen Gebiet die hohen Souveränetätsrechte besessen und außerdem an der Regierung des deutschen Reiches wenigstens als recipirte Beisitzer des Grafencollegiums ihres Kreises Antheil gehabt hatten. Außer den zahlreichen im Anfange dieses Jahrhunderts med.iatisirten Besitzern von Fahnenlehen gehören in diesen Kreis noch einige Familien, welche wie z. B. die Stolberge, durch besondere Verträge mit größern Staaten einen Theil die¬ ser Souveränetätsrechte mit den nöthigen Vorbehalten aufgegeben hatten, so¬ wie einzelne andere, welche durch spätere Beschlüsse des Bundestags (dessen Competenz für diese Fragen mehr als zweifelhaft ist) für Mitglieder des hohen Adels erklärt wurden, z. B. die Grafen Bentinck, welche 6« Mre niemals dazu gehört haben. Außerdem aber ist durch die großen Revolutionen der letzten hundert Jahre diesen anspruchsvollen Familien eine Classe neuer Standes¬ genossen zugesellt worden, welche nach der alten Rechtstheorie durchaus nicht in den Kreis des hohen Adels untergebracht werden konnten, die Parvenus auf europäischen Thronen und ihre Verwandten, vor allen die Familie der napoleoniden. Um diese Neulinge, vor denen die Ebenbürtigen sich viele Jahre tief beugten und demüthigem, zu legalisiren, machte sich der Grundsatz Bahn, daß jeder Souverän, welcher als Inhaber eines Throns von den ebenbürtigen Monarchen anerkannt sei, sowie die von ihm als zum hohen Adel gehörig präconisirten Verwandten gleichfalls den Vorzug des hohen Blu¬ tes genießen. Die Stellung mancher Souveräne ist zweifelhaft. Der heilige Vater z. B. gehört für seine Person unzweifelhaft zum hohen Adel, aber er hat als ein Wahlherrscher nicht das Recht, sein Geschlecht in denselben Kreis auszu¬ nehmen. Der Sultan hat bis jetzt das ungewöhnliche Schicksal gehabt, nicht in Familienverbindung mit den deutschen Ebenbürtigen zu kommen. Sollte dieser Fall eintreten, was durchaus nicht unmöglich ist, da deutsche Fürsten- tochter von je die Fähigkeit gezeigt haben, sich der .Religion ihre,. Gemahls anzupassen, so würde seine Stellung zu den ebenbürtigen Familien Gegenstand der interessantesten juristischen Fragen werden müssen. Wenn es aus diesen und andern Gründen in einzelnen Fällen zweifel¬ haft sein kann, ob ein Individuum zum hohen Adel Deutschlands zu rechnen sei oder nicht, so ist es doch ziemlich sicher, wer nicht zum hohen Adel gezählt werden darf. Es gehören nicht dazu die Edlen, Grafen, Fürsten und Her¬ zöge, welche diese Titel den Decreten einzelner Souveräne verdanken. Beson¬ ders seit, den letzten hundert Jahren hat sich durch die zahlreichen StandeS- erhöhungen, welche die einzelnen Monarchen, z„ B. Preußens, bei ihrer Thronbesteigung und andern politischen Veranlassungen vorgenommen haben, auch in dem niedern Adel eine gewisse Stufenfolge der Adelsbezeichnungen ausgebildet, an welcher einzelne beharrliche Familien bis zum höchsten Titel

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/370
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/370>, abgerufen am 26.06.2024.