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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Hoher Adel, Ebenbürtigkeit und Mißheirathen.

Obgleich in den letzten Jahren bei den vielverändcrten deutschen Staats¬
verfassungen oft vom hohen und niedern Adel die Rede war, so leben doch
viele tausend gebildete Deutsche, die sich in ihrem Leben nicht um den
Unterschied zwischen hohem und niederem Adel gekümmert haben und dem
Fragenden mit einem Lächeln antworten würden, dessen Ausdruck allerdings
auch nach unserm Dafürhalten die kürzeste und bündigste Antwort sein würde.
Nur muß man die in dem kräftigen Bürgerthum gewöhnliche Nichtachtung der
Standesunterschiede Privilegirter nicht dadurch begründen wollen, daß man diese
als verjährte und von dem modernen Leben bereits überwachsene Ueberbleibsel
aus alter Zeit betrachtet. Denn in der That wird durch diese Theorien noch
gegenwärtig das Wohl und Wehe von Millionen bestimmt, welche weder
dem hohe^i noch dem niedern Adel angehören. Nicht nur die Ehen aller regie¬
renden Familien werden durch diesen Kreis von Anschauungen, Pflichten und
Rechten bestimmt, nicht nur der persönliche Verkehr und die nähere Genossen¬
schaft der deutschen Landesherren wird danach geregelt, nicht nur Ton, Stim¬
mung und Lebensanschauung an den einzelnen Höfen wird dadurch bestimmt,
sondern auch in den wichtigsten Successions- und Eigenthumsfragen spielt diese
Theorie eine große Rolle -- es sei hier an den Bentinckschen Proceß erinnert
-- und in den letzten Jahren haben wir erlebt, daß bei einer brennenden
deutschen Frage, der über die Zukunft der Herzogthümer, auch die Lehre von
der Ebenbürtigkeit dazu benutzt wurde, um einen für Deutschland verderb¬
lichen Entscheid über- die Zukunft zweier Landschaften zu treffen.

Es ist im allgemeinen bekannt, daß zu dem hohen Adel Deutschlands
außer den jetzt souverän, regierenden Fürstengeschlechtern und deren recht¬
mäßiger Descendenz alle diejenigen Familien gehören, denen diese Würde
nach Aufhebung des deutschen Reichs wie nach den Freiheitskriegen von
den deutschen Bundesregierungen unter Garantie der übrigen friedenschlie¬
ßenden Mächte ausdrücklich zugestanden wurde. Die Ansprüche dieser
Familien, zum hohen Adel zu gehören, gründeten sich darauf, daß sie zur
Zeit des deutschen Reiches freie Inhaber eines Fahnenlehns gewesen wa-


Greiijboten. I. . 46
Hoher Adel, Ebenbürtigkeit und Mißheirathen.

Obgleich in den letzten Jahren bei den vielverändcrten deutschen Staats¬
verfassungen oft vom hohen und niedern Adel die Rede war, so leben doch
viele tausend gebildete Deutsche, die sich in ihrem Leben nicht um den
Unterschied zwischen hohem und niederem Adel gekümmert haben und dem
Fragenden mit einem Lächeln antworten würden, dessen Ausdruck allerdings
auch nach unserm Dafürhalten die kürzeste und bündigste Antwort sein würde.
Nur muß man die in dem kräftigen Bürgerthum gewöhnliche Nichtachtung der
Standesunterschiede Privilegirter nicht dadurch begründen wollen, daß man diese
als verjährte und von dem modernen Leben bereits überwachsene Ueberbleibsel
aus alter Zeit betrachtet. Denn in der That wird durch diese Theorien noch
gegenwärtig das Wohl und Wehe von Millionen bestimmt, welche weder
dem hohe^i noch dem niedern Adel angehören. Nicht nur die Ehen aller regie¬
renden Familien werden durch diesen Kreis von Anschauungen, Pflichten und
Rechten bestimmt, nicht nur der persönliche Verkehr und die nähere Genossen¬
schaft der deutschen Landesherren wird danach geregelt, nicht nur Ton, Stim¬
mung und Lebensanschauung an den einzelnen Höfen wird dadurch bestimmt,
sondern auch in den wichtigsten Successions- und Eigenthumsfragen spielt diese
Theorie eine große Rolle — es sei hier an den Bentinckschen Proceß erinnert
— und in den letzten Jahren haben wir erlebt, daß bei einer brennenden
deutschen Frage, der über die Zukunft der Herzogthümer, auch die Lehre von
der Ebenbürtigkeit dazu benutzt wurde, um einen für Deutschland verderb¬
lichen Entscheid über- die Zukunft zweier Landschaften zu treffen.

Es ist im allgemeinen bekannt, daß zu dem hohen Adel Deutschlands
außer den jetzt souverän, regierenden Fürstengeschlechtern und deren recht¬
mäßiger Descendenz alle diejenigen Familien gehören, denen diese Würde
nach Aufhebung des deutschen Reichs wie nach den Freiheitskriegen von
den deutschen Bundesregierungen unter Garantie der übrigen friedenschlie¬
ßenden Mächte ausdrücklich zugestanden wurde. Die Ansprüche dieser
Familien, zum hohen Adel zu gehören, gründeten sich darauf, daß sie zur
Zeit des deutschen Reiches freie Inhaber eines Fahnenlehns gewesen wa-


Greiijboten. I. . 46
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[0369] Hoher Adel, Ebenbürtigkeit und Mißheirathen. Obgleich in den letzten Jahren bei den vielverändcrten deutschen Staats¬ verfassungen oft vom hohen und niedern Adel die Rede war, so leben doch viele tausend gebildete Deutsche, die sich in ihrem Leben nicht um den Unterschied zwischen hohem und niederem Adel gekümmert haben und dem Fragenden mit einem Lächeln antworten würden, dessen Ausdruck allerdings auch nach unserm Dafürhalten die kürzeste und bündigste Antwort sein würde. Nur muß man die in dem kräftigen Bürgerthum gewöhnliche Nichtachtung der Standesunterschiede Privilegirter nicht dadurch begründen wollen, daß man diese als verjährte und von dem modernen Leben bereits überwachsene Ueberbleibsel aus alter Zeit betrachtet. Denn in der That wird durch diese Theorien noch gegenwärtig das Wohl und Wehe von Millionen bestimmt, welche weder dem hohe^i noch dem niedern Adel angehören. Nicht nur die Ehen aller regie¬ renden Familien werden durch diesen Kreis von Anschauungen, Pflichten und Rechten bestimmt, nicht nur der persönliche Verkehr und die nähere Genossen¬ schaft der deutschen Landesherren wird danach geregelt, nicht nur Ton, Stim¬ mung und Lebensanschauung an den einzelnen Höfen wird dadurch bestimmt, sondern auch in den wichtigsten Successions- und Eigenthumsfragen spielt diese Theorie eine große Rolle — es sei hier an den Bentinckschen Proceß erinnert — und in den letzten Jahren haben wir erlebt, daß bei einer brennenden deutschen Frage, der über die Zukunft der Herzogthümer, auch die Lehre von der Ebenbürtigkeit dazu benutzt wurde, um einen für Deutschland verderb¬ lichen Entscheid über- die Zukunft zweier Landschaften zu treffen. Es ist im allgemeinen bekannt, daß zu dem hohen Adel Deutschlands außer den jetzt souverän, regierenden Fürstengeschlechtern und deren recht¬ mäßiger Descendenz alle diejenigen Familien gehören, denen diese Würde nach Aufhebung des deutschen Reichs wie nach den Freiheitskriegen von den deutschen Bundesregierungen unter Garantie der übrigen friedenschlie¬ ßenden Mächte ausdrücklich zugestanden wurde. Die Ansprüche dieser Familien, zum hohen Adel zu gehören, gründeten sich darauf, daß sie zur Zeit des deutschen Reiches freie Inhaber eines Fahnenlehns gewesen wa- Greiijboten. I. . 46

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/369>, abgerufen am 26.06.2024.