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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Dies Bild, das in einzelnen Details specieller auszuführen hier zu weit
führen würde, wird erkennen lassen, mit welcher Energie die geistliche Bearbeitung
der großen Massen bei den Volksmissionen betrieben worden und welche
Wirkung in Zeiten zu erreichen war, wo die Waffen philosophischer An¬
schauungen naheliegender Gründe halber nicht ins Feld geführt werden konnten.

Mit dem Geschäfte der Volksmissionen betraute man vorzugsweise großen-
theils noch in voller Manneskraft stehende Jünger Loyolas. Um einen
Begriff von der Ausdehnung dieser Jesuitenmissionen zugeben, ist anzuführen,
daß in dem Zeitraum seit 1849 bis gegen Ende vorigen Jahres nachweisbar
lediglich von Vätern der Gesellschaft Jesu Volksmissionen im preußischen
Staate nicht weniger als neunzig und einige vollzogen wurden; außerdem
berichteten öffentliche Blätter über eine mehr oder minder beharrliche Missions¬
thätigkeit von Jesuiten in Oestreich, Baiern, Hannover, Würtemberg, Baden,
den beiden Hessen, Nassau u. s. w. Nebenher wurden in deutschen Gauen
vielfache Missionen zur innern Bekehrung des Volk.es ausgeführt von Francis-
canern, Kapuzinern, Lazariften, Minoriten und der Kongregation des aller-
heiligsten Erlösers, durch Redemptoristen und Liguorianer. Diese ganze Schar
von Ordenspriestern wetterte gewaltig von den Kanzeln herab gegen jede Art
von philosophischer Aufklärung und wendete sich mit vollem Zorne gegen die
Heroen der Literatur Frankreichs, gegen Voltaire und Rousseau, wie gegen
alle Männer der Wissenschaft, die im vorangegangenen und in dem laufenden
Jahrhundert durch die Befreiung der Geister von theologischen Fesseln dem
Einflüsse der Kirche und der Priesterschaft Abbruch gethan hatten. Diesem
Misstonswesen wurde von den Autoritäten des evangelischen Kirchenwesens,
wenigstens was den preußischen Staat anlangt, nur sehr zag entgegengetreten;
die politischen Machthaber ließen in Deutschland die von Rom entsendeten
Ordensgeistlichen lange gewähren und da die einzig gegen das Umsichgreifen neuer
Orthodoxie wirksamen Kräfte, das freie Wort und die freie Presse, nicht zur
Bethätigung zu gelangen vermochten, so erwarb sich durch diese Volksmissionen
die "Mutterkirche" unter den Classen des Bürgerstandes, der Landbewohner
und überhaupt der durch ihrer Hände Arbeit sich Ernährenden, zahlreiche
"innerlich Bekehrte".

Aber nicht allein das Volk oder die Laienschaft, auch ein großer Theil
solcher, die bereits die heiligen Weihen empfangen hallten, ferner die Lehrer
und Erzieher katholischer Confesston erschienen der Kirche einer den hierarchischen
Absichten mehr zusagenden geistigen Wandelung höchst bedürftig; es wurden
daher in größerer Ausdehnung wie bisher sogenannte "geistliche Exer¬
citien" für Priester und Lehrer angeordnet. Unter Leitung eines besonders
zu diesem Zwecke auserlesenen, durch Frömmigkeit und Talente hervorragenden
Geistlichen -- vorzugsweise verwendete man Jesuiten und Redemptoristen gern


Dies Bild, das in einzelnen Details specieller auszuführen hier zu weit
führen würde, wird erkennen lassen, mit welcher Energie die geistliche Bearbeitung
der großen Massen bei den Volksmissionen betrieben worden und welche
Wirkung in Zeiten zu erreichen war, wo die Waffen philosophischer An¬
schauungen naheliegender Gründe halber nicht ins Feld geführt werden konnten.

Mit dem Geschäfte der Volksmissionen betraute man vorzugsweise großen-
theils noch in voller Manneskraft stehende Jünger Loyolas. Um einen
Begriff von der Ausdehnung dieser Jesuitenmissionen zugeben, ist anzuführen,
daß in dem Zeitraum seit 1849 bis gegen Ende vorigen Jahres nachweisbar
lediglich von Vätern der Gesellschaft Jesu Volksmissionen im preußischen
Staate nicht weniger als neunzig und einige vollzogen wurden; außerdem
berichteten öffentliche Blätter über eine mehr oder minder beharrliche Missions¬
thätigkeit von Jesuiten in Oestreich, Baiern, Hannover, Würtemberg, Baden,
den beiden Hessen, Nassau u. s. w. Nebenher wurden in deutschen Gauen
vielfache Missionen zur innern Bekehrung des Volk.es ausgeführt von Francis-
canern, Kapuzinern, Lazariften, Minoriten und der Kongregation des aller-
heiligsten Erlösers, durch Redemptoristen und Liguorianer. Diese ganze Schar
von Ordenspriestern wetterte gewaltig von den Kanzeln herab gegen jede Art
von philosophischer Aufklärung und wendete sich mit vollem Zorne gegen die
Heroen der Literatur Frankreichs, gegen Voltaire und Rousseau, wie gegen
alle Männer der Wissenschaft, die im vorangegangenen und in dem laufenden
Jahrhundert durch die Befreiung der Geister von theologischen Fesseln dem
Einflüsse der Kirche und der Priesterschaft Abbruch gethan hatten. Diesem
Misstonswesen wurde von den Autoritäten des evangelischen Kirchenwesens,
wenigstens was den preußischen Staat anlangt, nur sehr zag entgegengetreten;
die politischen Machthaber ließen in Deutschland die von Rom entsendeten
Ordensgeistlichen lange gewähren und da die einzig gegen das Umsichgreifen neuer
Orthodoxie wirksamen Kräfte, das freie Wort und die freie Presse, nicht zur
Bethätigung zu gelangen vermochten, so erwarb sich durch diese Volksmissionen
die „Mutterkirche" unter den Classen des Bürgerstandes, der Landbewohner
und überhaupt der durch ihrer Hände Arbeit sich Ernährenden, zahlreiche
„innerlich Bekehrte".

Aber nicht allein das Volk oder die Laienschaft, auch ein großer Theil
solcher, die bereits die heiligen Weihen empfangen hallten, ferner die Lehrer
und Erzieher katholischer Confesston erschienen der Kirche einer den hierarchischen
Absichten mehr zusagenden geistigen Wandelung höchst bedürftig; es wurden
daher in größerer Ausdehnung wie bisher sogenannte „geistliche Exer¬
citien" für Priester und Lehrer angeordnet. Unter Leitung eines besonders
zu diesem Zwecke auserlesenen, durch Frömmigkeit und Talente hervorragenden
Geistlichen — vorzugsweise verwendete man Jesuiten und Redemptoristen gern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/360>, abgerufen am 26.06.2024.