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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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die zehn Gebote Gottes, die "fünf Gebote der Kirche" u. s. w. in Form einer
Betrachtung, so daß aus eine gewandte Weise das Volk gleichen Schritt mit
der heiligen Meßhandlung des Priesters einhaltend, unter Gebeten "zur Ein¬
sicht in das eigne Gewissen gelangt." Die Priester feiern von ö^/s bis 9 Uhr
die heilige Messe, sitzen Beichte und spenden das heilige Abendmahl. Um
9 Uhr wird die erste und Hauptpredigt gehalten, sodann folgt das allgemeine
Gebet und nach diesem vor dem ausgesetzten hochwürdigsten Gute ein feierliches
Hochamt. Nachmittags wird das Unternehmen eröffnet durch Gesang, dem
eine Predigt über Standes- und Berufspflichten sich anschließt. Alle priester¬
lichen Betrachtungen und Vortrage gehen darauf hinaus, den "Bußeiser" zu
erwirken. Die von mehren sich ablösenden Ordensgeistlichen gehaltenen Pre¬
digten behandeln die Bestimmung und das Endziel des Menschen hienieden,
die "menschliche Freiheit", das Bedürfniß der göttlichen Gnade, die Gerechtig¬
keit Gottes, das Mahnen der Ewigkeit, die Nothwendigkeit der Bekehrung,
die Schrecklichkeit der Sünde, die letzten Dinge, die "Hölle", "ihr Dasein
und ihre Ewigkeit" und endlich die Schrecken der Verdammung. Ist, so spricht
der von der Wirksamkeit der Volksmissionen erfüllte l)r. Buß -- ist die Seele
deö Sünders so in die Angst der Verdammniß getaucht und mürbe gemacht,
dann schildert ein zweiter, redefertiger Priester in der ganzen Fülle christ¬
licher Liebe die unbegrenzte Barmherzigkeit Gottes, die Gnadenmittel der Kirche,
zumal das Sacrament der Buße, die Neue, den "Vorsatz", das Sündenbe¬
kenntniß, das neue Leben und die Vereinigung mit Christo in der heiligen
Communion, den würdigen Empfang, die Versöhnung mit dem Nächsten (selbst
dem Ketzer?) und die Feindesliebe, die Liebe der heiligen Kirche und ihrer
Institutionen; der Priester mahnt zur Erneuerung des Taufgelübdeö und zur
Beharrlichkeit im "Guten". So, meint Buß, wird die weichgewordene Seele
des Volks von der Höhe seiner Berufung bis herab in die Tiefe des Sün-
denfalls und von da bis zur Lichthöhe der seligkeitbringenden Ewigkeit geführt
und angeleitet, an dieser großen, ernsten Station ihre eignen Zustände zu
ermessen. Nach priesterlichem Ausdrucke hallen in der Missionszeit alle Stim¬
men der Ewigkeit und des Gewissens und der beide vermittelnden Kirche in
diesem großen Wandelgang der Seelen zusammen; der eine Geist, der aus
all den Missionspredigten spreche, der Donner des Gerichts, die wehmuthvvlle
Klage des Gewissens und das Anleuchten der göttlichen Gnade, sollen, so be¬
hauptet die Priesterschaft, so erschütternd wirken, daß selten ein "Sünder" wi¬
derstehe. Zu diesen Messen und Predigten kommen die stundenlang andauern¬
den "Lebens- und Generalbeichlen" der Einzelnen, welche von einer großen
Anzahl Geistlicher Tausenden abgenommen werden. Die feierliche Ertheilung
des heiligen Missionsablasseö soll schließlich den Dank der Bekehrten gegen Gott
und die Kirche erwecken. --


die zehn Gebote Gottes, die „fünf Gebote der Kirche" u. s. w. in Form einer
Betrachtung, so daß aus eine gewandte Weise das Volk gleichen Schritt mit
der heiligen Meßhandlung des Priesters einhaltend, unter Gebeten „zur Ein¬
sicht in das eigne Gewissen gelangt." Die Priester feiern von ö^/s bis 9 Uhr
die heilige Messe, sitzen Beichte und spenden das heilige Abendmahl. Um
9 Uhr wird die erste und Hauptpredigt gehalten, sodann folgt das allgemeine
Gebet und nach diesem vor dem ausgesetzten hochwürdigsten Gute ein feierliches
Hochamt. Nachmittags wird das Unternehmen eröffnet durch Gesang, dem
eine Predigt über Standes- und Berufspflichten sich anschließt. Alle priester¬
lichen Betrachtungen und Vortrage gehen darauf hinaus, den „Bußeiser" zu
erwirken. Die von mehren sich ablösenden Ordensgeistlichen gehaltenen Pre¬
digten behandeln die Bestimmung und das Endziel des Menschen hienieden,
die „menschliche Freiheit", das Bedürfniß der göttlichen Gnade, die Gerechtig¬
keit Gottes, das Mahnen der Ewigkeit, die Nothwendigkeit der Bekehrung,
die Schrecklichkeit der Sünde, die letzten Dinge, die „Hölle", „ihr Dasein
und ihre Ewigkeit" und endlich die Schrecken der Verdammung. Ist, so spricht
der von der Wirksamkeit der Volksmissionen erfüllte l)r. Buß — ist die Seele
deö Sünders so in die Angst der Verdammniß getaucht und mürbe gemacht,
dann schildert ein zweiter, redefertiger Priester in der ganzen Fülle christ¬
licher Liebe die unbegrenzte Barmherzigkeit Gottes, die Gnadenmittel der Kirche,
zumal das Sacrament der Buße, die Neue, den „Vorsatz", das Sündenbe¬
kenntniß, das neue Leben und die Vereinigung mit Christo in der heiligen
Communion, den würdigen Empfang, die Versöhnung mit dem Nächsten (selbst
dem Ketzer?) und die Feindesliebe, die Liebe der heiligen Kirche und ihrer
Institutionen; der Priester mahnt zur Erneuerung des Taufgelübdeö und zur
Beharrlichkeit im „Guten". So, meint Buß, wird die weichgewordene Seele
des Volks von der Höhe seiner Berufung bis herab in die Tiefe des Sün-
denfalls und von da bis zur Lichthöhe der seligkeitbringenden Ewigkeit geführt
und angeleitet, an dieser großen, ernsten Station ihre eignen Zustände zu
ermessen. Nach priesterlichem Ausdrucke hallen in der Missionszeit alle Stim¬
men der Ewigkeit und des Gewissens und der beide vermittelnden Kirche in
diesem großen Wandelgang der Seelen zusammen; der eine Geist, der aus
all den Missionspredigten spreche, der Donner des Gerichts, die wehmuthvvlle
Klage des Gewissens und das Anleuchten der göttlichen Gnade, sollen, so be¬
hauptet die Priesterschaft, so erschütternd wirken, daß selten ein „Sünder" wi¬
derstehe. Zu diesen Messen und Predigten kommen die stundenlang andauern¬
den „Lebens- und Generalbeichlen" der Einzelnen, welche von einer großen
Anzahl Geistlicher Tausenden abgenommen werden. Die feierliche Ertheilung
des heiligen Missionsablasseö soll schließlich den Dank der Bekehrten gegen Gott
und die Kirche erwecken. —


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[0359] die zehn Gebote Gottes, die „fünf Gebote der Kirche" u. s. w. in Form einer Betrachtung, so daß aus eine gewandte Weise das Volk gleichen Schritt mit der heiligen Meßhandlung des Priesters einhaltend, unter Gebeten „zur Ein¬ sicht in das eigne Gewissen gelangt." Die Priester feiern von ö^/s bis 9 Uhr die heilige Messe, sitzen Beichte und spenden das heilige Abendmahl. Um 9 Uhr wird die erste und Hauptpredigt gehalten, sodann folgt das allgemeine Gebet und nach diesem vor dem ausgesetzten hochwürdigsten Gute ein feierliches Hochamt. Nachmittags wird das Unternehmen eröffnet durch Gesang, dem eine Predigt über Standes- und Berufspflichten sich anschließt. Alle priester¬ lichen Betrachtungen und Vortrage gehen darauf hinaus, den „Bußeiser" zu erwirken. Die von mehren sich ablösenden Ordensgeistlichen gehaltenen Pre¬ digten behandeln die Bestimmung und das Endziel des Menschen hienieden, die „menschliche Freiheit", das Bedürfniß der göttlichen Gnade, die Gerechtig¬ keit Gottes, das Mahnen der Ewigkeit, die Nothwendigkeit der Bekehrung, die Schrecklichkeit der Sünde, die letzten Dinge, die „Hölle", „ihr Dasein und ihre Ewigkeit" und endlich die Schrecken der Verdammung. Ist, so spricht der von der Wirksamkeit der Volksmissionen erfüllte l)r. Buß — ist die Seele deö Sünders so in die Angst der Verdammniß getaucht und mürbe gemacht, dann schildert ein zweiter, redefertiger Priester in der ganzen Fülle christ¬ licher Liebe die unbegrenzte Barmherzigkeit Gottes, die Gnadenmittel der Kirche, zumal das Sacrament der Buße, die Neue, den „Vorsatz", das Sündenbe¬ kenntniß, das neue Leben und die Vereinigung mit Christo in der heiligen Communion, den würdigen Empfang, die Versöhnung mit dem Nächsten (selbst dem Ketzer?) und die Feindesliebe, die Liebe der heiligen Kirche und ihrer Institutionen; der Priester mahnt zur Erneuerung des Taufgelübdeö und zur Beharrlichkeit im „Guten". So, meint Buß, wird die weichgewordene Seele des Volks von der Höhe seiner Berufung bis herab in die Tiefe des Sün- denfalls und von da bis zur Lichthöhe der seligkeitbringenden Ewigkeit geführt und angeleitet, an dieser großen, ernsten Station ihre eignen Zustände zu ermessen. Nach priesterlichem Ausdrucke hallen in der Missionszeit alle Stim¬ men der Ewigkeit und des Gewissens und der beide vermittelnden Kirche in diesem großen Wandelgang der Seelen zusammen; der eine Geist, der aus all den Missionspredigten spreche, der Donner des Gerichts, die wehmuthvvlle Klage des Gewissens und das Anleuchten der göttlichen Gnade, sollen, so be¬ hauptet die Priesterschaft, so erschütternd wirken, daß selten ein „Sünder" wi¬ derstehe. Zu diesen Messen und Predigten kommen die stundenlang andauern¬ den „Lebens- und Generalbeichlen" der Einzelnen, welche von einer großen Anzahl Geistlicher Tausenden abgenommen werden. Die feierliche Ertheilung des heiligen Missionsablasseö soll schließlich den Dank der Bekehrten gegen Gott und die Kirche erwecken. —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/359>, abgerufen am 26.06.2024.