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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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charakteristren gehört in die Posse, nicht ins Trauerspiel. Nur der Reiteroffizier
Rosen, ein wilder Haudegen, der das Leben leicht-humoristisch nimmt und
dabei eine gute Haut ist, erregt Interesse. Es scheint fast, als wenn nur die
flüchtigere Dichtkunst (Kotzebue, Thümmel, Musäus), dem leichtlebigen thüringi¬
schen Völkchen gelingen könne.

Freilich war es mit so kahlen Charakteren nicht leicht, eine psychologische
Verwicklung und Spannung zustandezubringen, freilich konnte so eine Einheit
?rk(>t to" gar nicht entstehen. Das Uebergehen des Franzosen (Herzogs Rohan)
zu dem Deutschen (Bernhard), die Verliebtheit desselben in eine Tochter des
feindlichen Landes, welche Dinge sich im zweiten Act anspinnen, boten die ein¬
zige Gelegenheit zu einer menschlich interessanteren äußeren oder inneren Ver¬
wicklung, aber der Versasser läßt diesen Faden wieder entschlüpfen; Herzog
Rohan wird durch eine Kugel in der Schlacht erpedirt und Elise bekommt einen
magern Gruß vom Todtenbette des Helden. Ja, wenn man nicht zur Ge¬
schichte menschlich Persönliches hinzudichten will, wie kann man ein Drama
daraus machen? ,

Die Situationen im Einzelnen machen die beste Seite des Stückes aus.
Zwar sind auch darunter manche verbrauchte, z. B. erinnert die Art, wie
Guöbricmt zum Morde Bernhards bewogen wird (i, 1.), sehr an Buttlers
Werbung von Deverom und Macdonald; wie (S, 1.) die Entwicklung der
großen Pläne Bernhards kurz vor dem Tode an Wallenstein, an Geßlers:
Ich will. -- Dennoch zeigt sich hier eine geschickte Benutzung des Bühnen¬
effectes, am besten in den Schlachtscenen des dritten Actes, die außerordentlich
anziehend und lebendig sind, obwol immer nur recht hübsche Genrebilder. Die
Abführung des Duca ti Savelli bei Rheinfelden, die Selbstüberwindung Bern¬
hards gegen den grausamen Befehlshaber von Breisach sind sehr gut dargestellt.
Dagegen ist die Schlußscene mißlungen, das Auszerren des Sterbens ist übel
sentimental und langweilig, gar nicht heldenhaft. Hier, ganz am letzten Ende,
soll das Stück, das bisher nicht im mindesten tragisch gewesen, es auf einmal
werden, und Bernhard als ein Märtyrer der erhabensten Ideen untergehen;
hier sieht er ein, daß all sein Thun verfehlt gewesen und Deutschland wie dem
Protestantismus nur geschadet hat. Aber was nützt uns das, wenn er nicht
durch ein Quentchen Unbesonnenheit oder Uebermuth Schuld daran trägt?
Wir empfinden, wie ich schon bemerkte, eben nur eine kalte Verwunderung
darüber, wie Gott solch traurig Spiel zulassen könne, und denken lieber gar
nicht weiter darüber nach.

Mehrfache Verherrlichungen, des Weimaraner Fürstenhauses kommen vor,
unter andern, auch die Worte: >

"Den Namen Weimar tragen zu viele Helden." Wirklich sind mehre ungemein
wackere Fürsten aus diesem Hause hervorgegangen, durch Geist oder Charakter-


Li*

charakteristren gehört in die Posse, nicht ins Trauerspiel. Nur der Reiteroffizier
Rosen, ein wilder Haudegen, der das Leben leicht-humoristisch nimmt und
dabei eine gute Haut ist, erregt Interesse. Es scheint fast, als wenn nur die
flüchtigere Dichtkunst (Kotzebue, Thümmel, Musäus), dem leichtlebigen thüringi¬
schen Völkchen gelingen könne.

Freilich war es mit so kahlen Charakteren nicht leicht, eine psychologische
Verwicklung und Spannung zustandezubringen, freilich konnte so eine Einheit
?rk(>t to« gar nicht entstehen. Das Uebergehen des Franzosen (Herzogs Rohan)
zu dem Deutschen (Bernhard), die Verliebtheit desselben in eine Tochter des
feindlichen Landes, welche Dinge sich im zweiten Act anspinnen, boten die ein¬
zige Gelegenheit zu einer menschlich interessanteren äußeren oder inneren Ver¬
wicklung, aber der Versasser läßt diesen Faden wieder entschlüpfen; Herzog
Rohan wird durch eine Kugel in der Schlacht erpedirt und Elise bekommt einen
magern Gruß vom Todtenbette des Helden. Ja, wenn man nicht zur Ge¬
schichte menschlich Persönliches hinzudichten will, wie kann man ein Drama
daraus machen? ,

Die Situationen im Einzelnen machen die beste Seite des Stückes aus.
Zwar sind auch darunter manche verbrauchte, z. B. erinnert die Art, wie
Guöbricmt zum Morde Bernhards bewogen wird (i, 1.), sehr an Buttlers
Werbung von Deverom und Macdonald; wie (S, 1.) die Entwicklung der
großen Pläne Bernhards kurz vor dem Tode an Wallenstein, an Geßlers:
Ich will. — Dennoch zeigt sich hier eine geschickte Benutzung des Bühnen¬
effectes, am besten in den Schlachtscenen des dritten Actes, die außerordentlich
anziehend und lebendig sind, obwol immer nur recht hübsche Genrebilder. Die
Abführung des Duca ti Savelli bei Rheinfelden, die Selbstüberwindung Bern¬
hards gegen den grausamen Befehlshaber von Breisach sind sehr gut dargestellt.
Dagegen ist die Schlußscene mißlungen, das Auszerren des Sterbens ist übel
sentimental und langweilig, gar nicht heldenhaft. Hier, ganz am letzten Ende,
soll das Stück, das bisher nicht im mindesten tragisch gewesen, es auf einmal
werden, und Bernhard als ein Märtyrer der erhabensten Ideen untergehen;
hier sieht er ein, daß all sein Thun verfehlt gewesen und Deutschland wie dem
Protestantismus nur geschadet hat. Aber was nützt uns das, wenn er nicht
durch ein Quentchen Unbesonnenheit oder Uebermuth Schuld daran trägt?
Wir empfinden, wie ich schon bemerkte, eben nur eine kalte Verwunderung
darüber, wie Gott solch traurig Spiel zulassen könne, und denken lieber gar
nicht weiter darüber nach.

Mehrfache Verherrlichungen, des Weimaraner Fürstenhauses kommen vor,
unter andern, auch die Worte: >

„Den Namen Weimar tragen zu viele Helden." Wirklich sind mehre ungemein
wackere Fürsten aus diesem Hause hervorgegangen, durch Geist oder Charakter-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/355>, abgerufen am 26.06.2024.